Lernen, das Unfassbare zu akzeptieren
Erfahrungen von Beate Burmester, Sterbe- und Trauerbegleiterin
Durch die Erfüllung von Wünschen, Unterstützung bei der Beschäftigung mit Glaubens- und Sinnfragen sowie Begleitung und Beratung hilft Sterbe- und Trauerbegleitung Familien mit sterbenden oder trauernden Kindern und Jugendlichen.
Sterben junge Menschen oder Kinder, ist das etwas so Unfassbares, dass viele Menschen gar nicht darüber sprechen können. Es ist wie ein Tabu. Beim Tod von alten Menschen, sind die Angehörigen auch traurig. Aber diese Menschen haben ihr Leben gelebt. Kinder dagegen wollen leben; daher ist die Begleitung von sterbenden Kindern und Jugendlichen eine besondere. Leiden sie an Krebs oder einer anderen unheilbaren Krankheit und wissen sie um ihren Zustand, trauern sie schon während der Krankheit um all das, was sie nicht mehr machen können. In einem schleichenden Prozess verlieren sie ihre Fähigkeiten, beispielsweise die Fähigkeit zu gehen oder zu sprechen. Sie wollen aber häufig bis zum Ende noch alles so leben, wie sie es bisher auch immer gelebt haben. Begleitende müssen mit viel Fingerspitzengefühl abwägen, was noch möglich ist. Schwerkranke oder schwerstbehinderte Kinder sind selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Ihre Versorgung, etwa durch ein Palliativ-Team sowie durch Physio-, Ergo- oder Logotherapie, findet überwiegend zu Hause statt. In entsprechende Schulen, beschützende Werkstätten oder Integrations-Kitas werden sie morgens mit dem Auto gefahren und nachmittags wieder zurückgebracht. Beim Kinderpalliativdienst gehen wir deswegen auf die Wünsche der Kinder und Jugendlichen ein und versuchen, zu ermöglichen, was sie gerne noch einmal erleben möchten. Einen Jugendlichen haben wir zum Beispiel bei einem Besuch im Fußballstadion begleitet. Bei kleineren Kindern geht es eher darum, den Alltag so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, beispielsweise das Spielen mit den Freunden zuzulassen, soweit es der Zustand des Kindes noch erlaubt.
Eine weitere Besonderheit bei der Sterbebegleitung von jungen Menschen ist, dass das ganze Familiensystem mitbegleitet wird. Da sind die Eltern, Großeltern, Geschwister und weitere Verwandte, die auch Unterstützung brauchen. Die Frage nach dem „Warum“ ist immer ein großes Thema in diesen Familien; Sinn- und Schuldfragen stehen im Raum und gerade bei den Eltern tauchen häufig Schuldgefühle auf. Schwierig kann es insbesondere in der Paarbeziehung werden, da die Menschen unterschiedlich mit Trauer und Angst umgehen. Häufig wollen Frauen viel reden. Sie haben es auch leichter durch ihre Sozialisation, so dass sie eher mal weinen können. Männer reden nicht so viel; sie agieren mehr und betätigen sich gerne körperlich. Durch den unterschiedlichen Weg zu Trauern kommt es oft zu Streit zwischen den Partnern. Meine Aufgabe ist es dann zu moderieren, darauf hinzuweisen, dass Frauen und Männer anders trauern und so das Verstehen füreinander zu ermöglichen. Die Kinder fragen sich natürlich: „Warum ich? Das ist doch gemein.“ In solchen Momenten gucke ich, was es für einen Glauben in der Familie gibt und frage das Kind nach seiner Jenseitsvorstellung. Die meisten von uns denken ja irgendwie, dass wir in den Himmel kommen, und das denken Kinder natürlich auch. Sie können dann eine Idee davon entwickeln, wie es da ist. Und dann kann man damit weiterarbeiten. Ich glaube nicht unbedingt, dass es mit einem christlichen Glauben leichter ist, da das Thema „Gott“ für ein Kind sehr abstrakt ist. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, diese ganze Frage von Glauben und Sinn sehr früh zu stellen und auch offen, auf kindgerechte Art zu besprechen.
Irgendwann kommt der sterbende Mensch an einen Punkt, an dem er mit seinem bevorstehenden Tod einverstanden sein kann. Das Hadern und die Wut nehmen ab und es entsteht Frieden. Ich habe lange im Hospiz gearbeitet und habe erfahren, dass das in fast jedem Sterbeprozess so ist; auch bei Kindern. Aus meiner Perspektive ist das das Wichtigste. Das kann dann auch ein Trost für die Angehörigen sein.
Kinder trauern anders
Kinder trauern anders als Erwachsene, wenn eine nahestehende Person stirbt. Das Besondere an Kindertrauer ist, dass es große Unterschiede zwischen den Altersgruppen gibt. Eine Zwölfjährige trauert anders als ein Vierjähriger. Kleine Kinder haben noch keine Idee davon, was „tot“ ist. Aber sie spüren die Emotionen und wenn etwas nicht stimmt. Grundschulkinder verstehen das schon eher und wollen es auch begreifen. Sie wollen in irgendeiner Form beteiligt sein, etwas in den Sarg legen oder den Sarg bemalen. Sie fragen, wo der Verstorbene dann hinkommt, oder wollen ihn nochmal anfassen. Jugendliche wiederum, die in der Pubertät sind, wollen mit dem Tod nichts zu tun haben und verdrängen das eher. Sie wollen raus ins Leben, und sie wollen auch nicht anders sein als andere Kinder oder Jugendliche. Oder aber sie ziehen sich zurück und entwickeln unter Umständen auch Suizidgedanken.
Der Ausdruck von Emotionen unterscheidet sich bei Kindern und Erwachsenen; zum Beispiel das Weinen. Wenn ein Kind weint, dann ist es eine schlimme Situation, dann ist es Schmerz. Wenn ein Erwachsener weint, dann ist es eher Trauer. Teils reagieren Kinder auf den Tod eines nahestehenden Menschen auch mit Wut, weil sie sich verlassen fühlen. Da ist es gut, genau zu gucken, in welchem Alter das Kind ist und welche Reaktionen es gerade braucht. Kinder wollen dann auch schnell in trauerfreie Zeiten und wollen spielen. Eltern haben dann oft das Gefühl, dass das Kind nicht richtig trauert, und befürchten, da in der Begleitung ihres Kindes etwas zu verpassen. Allerdings erlebe ich es so, dass Kinder ihre Trauer sehr genau zeigen; über körperliche Symptome, wie Bauchweh, oder sie haben Albträume, sind anhänglich oder nässen auch mal ein. Natürlich kann es immer sein, dass Trauer später wieder aufbricht; auch bei Kindern. Ein gelungener Trauerprozess ist es, wenn es Rituale gibt, wenn alle Beteiligten offen miteinander sprechen können und wenn das Kind eben keine Symptome entwickelt, sondern der Verstorbene im Leben des Kindes einen Platz einnehmen kann.
Zu wenig Trauerangebote für Jugendliche
Für Jugendliche gibt es meines Erachtens zu wenig Angebote der Trauerbegleitung. Die verschwinden so ein bisschen, da sie mit dem Tod nichts zu tun haben wollen. Da bedürfte es eigentlich einer Trauergruppe. Das war auch der ursprüngliche Gedanke hinter dem Projekt „Kinder trauern anders“, das ich zusammen mit zwei Kollegen ins Leben gerufen habe. Wir wollten eine Gruppe für trauernde Kinder anbieten und gleichzeitig auch die Eltern in einer Art Elterncafé betreuen. In anderen Städten gibt es so etwas, aber in Kassel ist das leider nicht ins Laufen gekommen. Problematisch ist dabei das Alter der Kinder und Jugendlichen. Zwölfjährige können natürlich nicht zusammen mit Vierjährigen in einer Gruppe sein. Die Nachfrage war zu gering, um Gruppen mit Gleichaltrigen aufzubauen. Stattdessen beraten und begleiten wir einzelne Familien, die auf uns zukommen und bieten auch Beratung in Schulen und Kindergärten an. Wenn Jugendliche in den betroffenen Familien sind, gucke ich immer, dass sie zumindest online angebunden sind, denn da gibt es Trauerangebote, wo sie sich mit jemanden aus- tauschen können.
Mir ist noch wichtig zu betonen: Trauer ist kein linearer Prozess. Trauer kommt und geht in Wellen und braucht seine Zeit. Es ist absolut notwendig, das auch zuzulassen. Dabei geht es um Gefühle, und es ist wichtig, diese Gefühle ernst zu nehmen.
26.05.2022
Text:
Rosemarie Rohde
Illustrationen:
Leonie Heidel
Beate Burmester begleitet Menschen in Krisen und Übergangssituationen. Die gelernte Erzieherin und Heilpraktikerin für Psychotherapie arbeitet als Sterbe- und Trauerbegleiterin. In eigener Praxis und beim ambulanten Kinderpalliativdienst “Kleine Riesen Nordhessen” sowie in dem Projekt “Kinder trauern anders”.
Themenseiten “Abschied nehmen” auch im StadtZeit Kassel Magazin, Ausgabe 109, April/Mai 2022
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