Zehn Fragen an Violetta Bock als OB-Kandidatin
Kassels Bürgerinnen und Bürger wählen am 12. März 2023 ihr neues Stadtoberhaupt. Mit sechs Kandidatinnen und Kandidaten ist das Spektrum der Wahlangebote ein Großes und es verspricht ein spannendes „Rennen“ zu werden, das sich voraussichtlich erst in der Stichwahl am 26. März entscheiden dürfte.
Was war im bisherigen Wahlkampf ihr heiterster oder auch skurrilster Moment?
Ach, da gibt es viele, zum Beispiel wenn im Parteibüro Sätze fallen, wie „ich geh noch ein paar Vios hängen“ oder „Vio ist alle“ – natürlich auf Plakate bezogen.
Was war die bislang für Sie bewegendste Begegnung mit den Menschen unserer Stadt?
Wenn die Bedeutung von Solidarität spürbar wird. Etwa als uns ein Postbeschäftigter beim Verteilen des Materials in Briefkästen hinterlief und uns für den Solidaritätsbesuch beim Streik ein paar Tage davor dankte.
Stellen Sie sich vor: Sie haben am 12. März 2023 die OB-Wahl mit absoluter Mehrheit für sich entschieden und es gibt eine rauschende Wahlparty. Bei welchem Song schweben Sie tanzenderweise ein paar Zentimeter über dem Boden oder rocken Luftgitarre spielend die Tanzfläche?
Rio Reiser, König von Deutschland
First we take Manhatten – Leonhard Cohen
Als Oberbürgermeister/in liegt ein harter Job vor Ihnen. Wie und wo tanken Sie Energie, um den vor unserer Stadt liegenden Herausforderungen zu begegnen?
Es sind die Menschen, die mich motivieren: Wenn Iraner:innen nach einer Rede bei den wöchentlichen Kundgebungen zu mir kommen und deutlich wird, wie wichtig es ist vor Ort zu sein. Oder wenn mich Betriebsrät*innen vom insolventen Altenheim als Verbündete sehen für die Rekommunalisierung. Wenn wir Pläne schmieden im Fraktionsbüro oder Plakate kleistern mit Genoss*innen. Meine Energie ziehe ich aus der gemeinsamen politischen Arbeit für eine bessere Welt.
Zu welchen historischen oder zeitgenössischen Vorbildern blicken Sie dabei auf? Warum gerade diese Personen?
Es gibt viele. Von Clara Zetkin, die mit ihrer Geradlinigkeit und internationalistischen Haltung die Arbeiter:innenbewegung und den Internationalen Frauentag geprägt hat. Bis zur Sängerin Miriam Makeba, die sich Zeit ihres Lebens für Menschenrechte einsetzte. Letztendlich muss jede:r den eigenen Weg finden.
Welche Bücher oder andere Werke und Begegnungen haben Sie entscheidend beeinflusst, um die Person zu werden, die Sie heute sind?
Ganz klassisch die Schriften von Marx im Studium, beim Auslandssemester in Newark der Organizingansatz, weshalb ich „Das Handbuch Transformatives Organizing“ mit ins Deutsche übersetzt habe um es mit Nachbar:innen zu lesen und die Amazonkolleg:innen, die inzwischen seit zehn Jahren kämpfen, um einem der reichste Männer der Welt den Tarifvertrag abzuringen.
Was wird Ihre erste entscheidende Amtshandlung als OB sein?
Ehrlichkeit und Transparenz in allen Fragen und bei allen Entscheidungsfindungen. Keine nichtigen und ausweichenden Antworten mehr, wenn Fraktionen und Bürger:innen Fragen stellen.
Ich will schnell einen neuen Stil der Offenheit und des Miteinander einführen. Zu oft wird Kritik aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht geäußert. Dabei bringt genau sie uns weiter.
Kurzfristig werde ich u.a. bei drei akut drängenden Punkten aktiv: Erstens, die Eltern der knapp 1000 Kinder aktiv anschreiben, die keinen Kita- oder Krippenplatz bekommen haben, um Möglichkeiten für die Betreuung oder Entschädigung zu finden, bis alle Plätze gebaut sind. Zweitens, die menschenwürdige Unterbringung der geschätzt 1000 Obdachlosen in Kassel. Drittens, die Unterstützung der Tarifforderungen von ver.di im öffentlichen Dienst gegenüber dem bundesweiten Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände. Denn die Kolleg:innen sind es, die den Laden am Laufen halten und von denen wir viel mehr in den nächsten Jahren brauchen, von der Kita über die Pflege, den Nahverkehr bis zu den Stadtreinigern.
Einer, der sich seinerzeit selbst als leitender Angestellter der Bundesrepublik Deutschland beschrieb, soll Menschen mit Visionen empfohlen haben, zum Arzt zu gehen. Was empfehlen Sie?
Ich empfehle das Gegenteil. Es ist lebenswichtig, dass Menschen sich eine Zukunft vorstellen können, die ganz anders ist als die Gegenwart. Wir brauchen eine Vision in der Klimakatastrophe , denn wir stehen vor radikalen Veränderungen. Wir brauchen die Vision von Gemeinwohl, um Alternativen zur kapitalistischen Wirtschaft zu entwerfen.
Wie beschreiben Sie Ihre Vision für unsere Stadt?
Kassel wird vorbildlich im Angehen der sozialen und ökologischen Fragen, getragen von den unüberschaubaren Initiativen aus Nachbarschaften und Kolleg:innen in den Betrieben. Das macht allen Mut sich für ihre Vision einer anderen Gesellschaft zu aktivieren. „Lichtblicke in düsteren Zeiten.“ Ich will, dass es uns gelingt unter den Bedingungen der vielfältigen Krisenerscheinungen Kommunalpolitik so umzusetzen, dass sie den Menschen Mut gibt und Türen öffnet statt Probleme zu verschärfen.
Über eine Vision für Kassel hinaus gilt es, als OB ganz praktische Kommunalpolitik zu machen. Machen wir keine kleine Zeitreise: Wir schreiben das Jahr 2029. Ihre erste Amtszeit neigt sich dem Ende. Welches Resümee zu Ihrer Arbeit als Oberbürgermeister/in möchten Sie in der Zeitung lesen?
„Radikal sozial“ – mit diesem Slogan ist Violetta Bock vor 6 Jahren zur Oberbürgermeisterin gewählt worden. Sie warb für eine „menschenwürdige, klimagerechte und sorgende Stadt für alle“. Diese Traumstadt ist Kassel noch nicht, aber „Vio“ hat trotzdem gute Chancen auf eine zweite Amtszeit. Warum? Sie motiviert Viele zum mitmachen und steht für sozial gerechte Veränderung. Sie hat ihre Wählerbasis nicht verloren und Vorbehalte gegen die Linke abgebaut. Es war die hohe Wahlbeteiligung in ärmeren Quartieren, die Bock 2023 in die Stichwahl und dann knapp an die Rathausspitze brachte, wo sie viele Herzen in der Verwaltung gewann. Dass sie bis heute autofrei regelmäßig mit Bus und Tram unterwegs ist und regelmäßig in der „Rothen Ecke“ Rede und Antwort steht, sagt viel über ihren Lebensstil. Es scheint, dass sie in den neu belebten Bürgerhäuser in den Stadtteilen zu Hause ist – zwischen Sozialberatung, Volxküche und Repaircafé. Aber als OB ist sie auch Triebfeder für klimaneutralen Stadtumbau und hat dafür gesorgt, dass das Potential des Klimaschutzrates voll zum Tragen kommt. Sogar die Handwerkskammer lobt den regionalen Transformationsrat. Der Streit um die Erhöhung der Gewebesteuer 2026 ist abgeflaut. Bock hat dank der neuen StaVo-Mehrheit jetzt zusätzliche Millionen für sozial-ökologische Projekte. Bezahlt haben vor allem die Rüstungsunternehmen, die sich selbst vor sechs Jahren noch nicht vorstellen konnten, so schnell in Richtung Konversion umzusteuern.
24.02.2023
Violetta Bock (DIE LINKE)
Die gebürtige Passauerin und studierte Politikwissenschaftlerin ist seit 2016 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung und Fraktion der Kasseler Linken.
Im Stadtteil Rothenditmold startete sie ihr politisches Engagement. Sie bringt zahlreiche Erfahrungen als ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken in Kassel mit und wirkt aktuell als Mitglied in den Ausschüssen „Stadtentwicklung, Mobilität und Verkehr“, „Klima, Umwelt und Energie“ sowie im Wahlvorbereitungsausschuss. Aktivistisch setzte sie sich bei der Bewegung „Fridays for Future“, für geflüchtete Menschen beim zivilgesellschaftlichen Bündnis „Seebrücke“ oder bei Initiativen gegen Rechtextremismus ein.