Blusowski sucht den Blues
Eine ausgelassene Tour durch Kasseler Bars und Tanz- und Musiklokale.
Blusowski kommt aus dem Osten, aus dem Osten Deutschlands, aus Berlin. Seine Wurzeln sind noch östlicher. Viel östlicher. Irgendwo dort in der Steppe. Berlin war da schon westlicher. So las er in seiner Kindheit auch was über eine große Steppe. Über die Prärie. Dort lebten Indianer. Zu denen kamen dann die Bleichgesichter. Solche wie er. Auch aus dem Osten. Die hatten ein paar Dunkle dabei und die hatten den Blues. Und diesen hatte dann auch Blusowski.
So ging es dann weiter. Blusowski machte dies und das. Und manchmal nichts. Die Arbeit erfand ganz sicher mal jemand anderes. Er wurde älter. Und der Blues hatte ihn wieder. Weil es sich mit ihm besser altern lässt, als mit dem Punk oder so was. So verschlug es ihn nach Kassel. Fünf Tage lang. Im Januar. Es ist kalt. Das Wetter kommt aus dem Osten.
Abend 1 – ein Mittwoch
Auf zum Schlachthof. Wie der Name schon andeutet, hier wurde mal gearbeitet. Geschlachtet eben. Nun wird musiziert. Blues eben.
Offene Bühne, also jeder darf, wenn er glaubt, dass er kann. Das Publikum erscheint auffallend überwiegend männlich, alt und weiß. Der Blusowski sieht die Stammcombo, sie besteht aus drei Leuten. Deren Schlagzeuger führt ein. An ihm wendet man sich auch, wenn der Glaube besteht, zu passen. Er findet später schon, dass alle passen. Entweder ist es klar, welches Lied gespielt wird oder einer der Combo gibt die Harmonie vor. A-Moll, E-Moll usw.
Moll geht, Dur sagt keiner. Der Blusowski meint auch, keines zu hören. Blues eben. Moll steht für das Klagen, Jammern, Lamentieren über die Dinge, die so ein Leben mit sich bringt. Das Verlassenwerden und Sich-abplagen-müssen. Und trotzdem dabei Spaß haben! Das ist der Witz.
Einer der Musiker gefällt ihm besonders. Offenbar der älteste Teilnehmer, ein totaler Weißkopf, am Bass. Jeder Ton, der sich aus dem Mund seines hageren Resonanzkörper begibt, stimmt. Er postiert sich zwischen Schlagzeug und Rhythmusgitarre, und jeder im Saal weiß, wo es langgeht. Der Blusowski ist darüber zufrieden gestimmt worden. Nun trinkt er sein Bier aus und erfährt noch, dass es dieses und anderes nur an Veranstaltungstagen gibt. Dann aber, bis der letzte die Nase voll hat. Wenn das nichts ist? Blusowski hat zwar noch Platz in der Nase, geht jetzt schon. Denn er will zur Mutter. Bis dorthin sind es ca. fünf Minuten zu laufen. Es handelt sich um einen kleinen Laden, keine Livemusik, sondern aus der Konserve. Eher Punk & Co. Den Punk kennt B. Noch aus seinen Jugendjahren. Er selbst war keiner, aber einige stammten, tief im deutschen Osten, aus dem gleichen Stamm. Sie nannten sich im übrigen „Kunden“. Nicht Blueser. Das nur nebenbei. So lebten sich Punker und Blueser auseinander. Verbunden nur in einem: In der heftigen Abneigung gegen den üblichen Diskogänger. Den Popper, wie dieser seinerseits im Westen Deutschlands bezeichnet wurde. Die Punker sind jetzt entweder weltberühmt, tot oder verschwunden. Vom Punk alt zu werden ist offenbar riskanter, als vom Blues. Denkt sich Blusowski.
Die Getränke sind hier sehr preiswert, es darf geraucht und Tischfußball gespielt werden. Es wimmelt von Zetteln und diversen
Schriftzeichen an den Wänden in allen Räumen, wie schon an der
Eingangstür. Hinter einer Diskjockey-Box sind alte Schallplatten angeheftet: von Heino, Harald Juhnke und anderen Stars der BRD-Aufbaugeneration, die irgendwie eine Mutter besingen. Die sich wahrscheinlich davon sich keineswegs erbaut gezeigt hätte. Die örtliche Anitfa wacht über allem und ist laut Plakat auch einschreitend, sollte sich jemand erkenntlich in irgend einer Weise als intolerant erweisen. Da Blusowski jedoch gar nichts macht, außer sein Bier zu trinken, zu gucken und hin und her zu laufen, kann ihm auch nichts geschehen. Und es geschieht ihm auch nichts. Aus Nichts wird
Nichts. Eine Rechnung die immer aufgeht! Denkt er sich. Bezahlt sein Bier und zieht raus in die Kälte des Januar.
Mit der Straßenbahn geht es nun in das Herz Kassels. Zumindest jenes dass für die Musik schlägt, ob zum Tanzen, Singen oder Hören. B. besieht sich die Gegend um die Friedrich-Ebert-Straße. Hier findet man ihn fast ausschließlich in den nächsten Abenden vor. Als erstes geht es ins Hot Legs. Einer Kneipe mit lauter gitarrenstrotzender Musik, in den diversen treibenden Rhythmen, die seinerzeit um die ganze Welt gingen. Und so auch in die seiner Jugend. Wieder offene Bühne. Sehr eng im Vergleich zum Schlachthof, aber dadurch keineswegs schlechter. Für Zwei Euronen Eintritt und fairen Preisen erlebt der B. eine gute Stimmung eines nun auch wesentlich gemischteren Publikums.
„Nicht schlecht“, denkt sich resümierend der B. aus Berlin. Für ihn
gilt ein solches Urteil als absolutes Superlativ.
Abend 2 – ein Donnerstag
Der B. Lernt das Shamrock kennen. Ein Irish Pup in der ehemaligen Hauptpost. Groß – und hochsaalig mit vielen Nischen. Old Britain prunkt aus allen Nähten.
Heute ist Karaoke. Ein Wettbewerb an dem sich jeder bis zu einem bestimmten Zeitpunkt anmelden kann über ein Portal aus dem Netz. Das Internet kennt der Blusowski, so ganz von gestern ist er ja nicht. Auch seine Helden sind da zu sehen, vor allem für lau. Aber er bemerkt auch, dass vor allem für Gruppen bestuhlt wird. Klar! Gruppen trinken, singen und bezahlen dann mehr. So ist die Welt nun mal. Auch wenn es Blusowski oder wem auch noch nicht gefällt. So bleibt für ihn nur ein Art Katzentisch in Form eines kleinen Fasses. Auch findet er auf diesem eine Fahne mit einer Nummer vor. Mit dieser ist es möglich, sich zu einer Darbietung einzutragen. Immerhin ist eine junge Kellnerin so freundlich, ihm einen Stuhl dort hinzutragen. Er trinkt Irish Car Bomb für 3,50. Quasi Guinness mit Baileys. Die gesanglichen Darbietungen? Hier braucht der Blusowski viel Toleranz. Siehe da, die hat er. Er schaut sich um. Scheint ein durchorganisierter Betrieb zu sein. Schankwirtschaft, Technik, alles stimmt. Stimmung kommt dann wie von selbst. Darin ist sich Blusowski sicher. Er singt zwar nicht gern, das Tanzen kriegt er auch nicht so hin. Aber Hören und Sehen kann er gut. Und schau mal an, schon ist sie da. Die Stimmung. Das ging ja wirklich schnell. Staunt Blusowski.
Nun zieht es ihn die King Schulz-Bar; Blusowski erwartet Stil und Eleganz. Elegant ist die Getränkekarte und eine der beiden Bardamen könnte es durchaus sein. Den Stil versteht der B. nicht. Das Publikum erscheint ihm ähnlich wie bei der Mutter. Jung und studentisch. Und sie verhalten sich Blusowski gegenüber auffallend höflich. Ist es Ironie? Oder doch dem Altersunterschied geschuldet?
Nun denn, warum auch immer. Schlecht ist es nicht. So schlendert er noch am Hot Legs vorbei, in dem sich heute nur zwei Personen befinden. Eine vor und eine hinter der Bar. Es ist still und spät.
Abend 3 – Ein Freitag
Nun fängt Blusowski mit dem Ulenspiegel an. Zwar nur Musik aus der rockigen Konserve, aber handgemachte Musik würde gut passen, findet der B. und trinkt seinen Glühwein. Dieser wird draußen jeden Tag gereicht, bis kurz vor 23 Uhr. Es ist voll und wie der B. noch bemerken wird, durchmischt sich das Publikum immer wieder neu bis auf einem kleinen Tisch in der Mitte an dem Karten gespielt wird. Das gefällt Blusowski, aber er ist vor allem zum Beobachten hier und nicht zum Vergnügen. Also geht er. Einen Ort mit guter Stimmung zu verlassen, dass kennt der B. ja schon.
Nun besucht er die Adressen, die er tags zuvor schon aufsuchte. Im King Schulz, wie gehabt. Im Shamrock spielt nun eine Band. Dimple, eine Frau und ein Mann, je zur Saiten-Instrumentalisierung und Gesang. Irish Folk und internationaler Pop in guter Qualität. Der Stimmungspegel zeigt sich noch hochlagiger als am Abend zuvor. Und der B. staunt. Fingerhakeln wie in einem bayrischen Bierzelt. Ausgelassen herumtanzende Männer, auch einige Frauen. Hier hinein passt es. Nun ins Hot Legs. Hier wird heute auf Tischen getanzt, die dafür offenbar fest montiert wurden. Es wird manch schönes Bein gezeigt und von Luftgitarren aus Gummi begleitet. Klassik-Rock. Wohl jeden Freitag. Die Gitarrentitanen der 60/70/80-ziger geben sich die Ehre. Eine Titanin ist auch dabei. Joan Jett. Sie ist auf einem Video zu sehen. Die Luft ist angezündet. Sie bleibt es einige Stunden lang. Lange Zeit später erst geht der B. in die verschneite Nacht.
Abend 4 – Ein Samstag
Blusowski schlurft das letzte mal durch die Schauplätze des Vortages. Heute ist er noch ein wenig benommen. Und vermutlich sind es manche andere auch. Auf Tischen sieht er niemanden tanzen. Es wird sich getroffen, ein wenig erzählt und dazu was getrunken. Das macht der B. auch, bis auf das Erzählen. Das macht er jetzt gerade am Computer.
Jedoch nahm er sich die ganze Woche eines vor. Die Disko für Erwachsene im Theaterstübchen aufzusuchen. Geht lange. Kostet zehn Euronen. Und der Raum ist auf jeden Fall gemütlich, aber nur in Gänze, wenn ein Konzert stattfindet. Tags zuvor schaute er kurz hinein und kann es deshalb bestätigen.
Erwachsener sind die Leute auch dort, jedenfalls erwachsener als in den anderen Örtlichkeiten.Dabei werden sie von jungen Leuten be- dient. Da versteht Blusowski, heute ist er nicht der Hellste, den Witz an der Sache. Erwachsenen sein heißt: alt! Bei manchen fast uralt. So hätte er jedenfalls als Kind gedacht. Aber er ist kein Kind mehr. Schon lange nicht.
Aber es ist Disko. In reinster Form. In einer alle Stile durch schlagenden 1/4-Taktung. Der B. versucht Haltung zu bewahren. Sein Feind aus der Jugend ist noch lebendig. Eine Musik die nur sporadisch seine heißgeliebte Gitarre anklingen lässt.
Der B. steht mit diesem Gefühl auf weiter Flur ganz allein da. Alle um ihn herum scheinen es zu mögen und sie zeigen es ausgiebig. Das ist auch der Blues. So denkt der B. und geht wieder in die Nacht. Vielleicht hätte er es danach besser gefunden. Vielleicht kämen sie ja doch noch: Die fordernden Gesänge, elektrisierende Gitarren und Hammondorgeln, treibende Schlagzeuge, stetige Bässe.
Aber das wird er wohl zumindest in dieser Nacht nicht mehr erfahren.
24.03.2023
Illustrationen: Maria Bisalieva
Auch zu lesen in der Ausgabe 114, Februar/März
>> hier zu lesen