Mehrgenerationenhaus Hofgeismar-Hümme
Historische Architektur gemeinsam bewahren
Ein Ort der Begegnung ist das Mehrgenerationenhaus Hofgeismar-Hümme. Dass das ehemalige Bahnhofsgebäude heute wieder in neuen Glanz erstrahlt, ist vor allem dem großen Engagement der Bürgerinnen und Bürger zu verdanken.
Licht durchflutet die großen Stahlglasfenster, als die ersten Töne des klassischen Konzertes ertönen, bunte Farben färben den Boden eines einstigen Waschhauses ein und Kinder sprühen vor dem alten Fachwerkschuppen Graffitis: Seit Oktober 2015 bietet das Mehrgenerationenhaus Hofgeismar-Hümme mit vielfältigen Events, regelmäßigen Aktionen und spannenden Volkshochschulkursen einen Treffpunkt für alle Generationen. Engagierte Bürger:innen retteten das leerstehende und denkmalgeschützte Bahnhofsgebäude aus dem Jahr 1897 vor der Vergessenheit und dem Zerfall. Mit erheblichen Eigenleistungen und großer Sorgfalt sanierten sie das Hauptgebäude und füllen es seitdem wieder mit neuem Leben. „Wir holen die Menschen aus ihren Häusern und bringen sie zusammen”, sagt Mira Hennecke, die als Projektleiterin gemeinsam mit dem Verein “Generationshaus Bahnhof-Hümme” das lebendige Treiben im Haus organisiert. Die Veranstaltungsangebote richten sich nach den Bedürfnissen und Interessen der Gemeinde. “Unser Angebot ist für alle Generationen offen und bringt uns einander näher”. Zusätzlich zu den abwechslungsreichen Veranstaltungen bietet eine Vielzahl an freiwillig Engagierten eigene Kurse an. Sie lassen die Teilnehmenden an ihren Talenten teilhaben, inspirieren einander und profitieren gleichzeitig von dem Können der anderen. So halten sie sich etwa regelmäßig gemeinsam fit, unterstützen einander in der Nähwerkstatt beim Ausbessern der eigenen Kleidung oder tauschen sich bei Café und Kuchen aus.
Mehr statt leer
Ungefähr 15 Jahre stand das historische Bahnhofsgebäude leer, das Dach drohte einzubrechen. Doch eine Arbeitsgruppe von Hümmer Bürger:innen sah hier eine Menge wertvolles Potenzial, das es zu schützen galt und setzten sich für den Erhalt des Gebäudes, der Nebengebäude und Außenanlagen ein. Die Stadt Hofgeismar kaufte der Deutschen Bahn das Areal inklusive der Gebäudebestände ab und durch Fördergelder und die Unterstützung der evangelischen Kirchengemeinde ermöglichte die Bevölkerung mit ihrem Engagement die Umnutzung des Bahnhofsgebäudes zum Mehrgenerationenhaus. Die Sanierung des Gebäudes war eine wahre Teamleistung: Durch den Aufruf in der Dorfzeitung fanden sich schnell viele Unterstützer:innen, die für knapp zweieinhalb Jahre jeden zweiten Sonntag zusammen das Gebäude grundsanierten und bei der Umgestaltung halfen. Knapp 4.000 Stunden Eigenleistung kamen dabei zustande. Wer nicht über handwerkliche Fähigkeiten verfügte, übernahm administrative Aufgaben oder brachte Mittagessen mit. “Der Prozess hat uns ordentlich zusammengeschweißt, das war eine tolle Zeit”, erinnert sich Peter Nissen, der Vereinsvorsitzende.
Die Atmosphäre bewahren
Mit der Verleihung der “Silbernen Halbkugel” zeichnete das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz 2022 diesen großen ehrenamtlichen Einsatz der Bürger:innen für den Erhalt und die Pflege des Gebäudes aus. “Das war für uns die Krönung”, freut sich Peter Nissen. “Da sind wir mächtig stolz drauf”. Die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege half den Charakter der Anlage zu bewahren und behutsam an die neue Nutzung anzupassen. So vermitteln die Schiebefenster zum früheren Ticketverkauf im Eingangsbereich eine einzigartige Atmosphäre. Die Aufarbeitung der weißen Holztüren und der Fliesen, sowie die originalgetreue Nachbildung der Fenster und der schwarzen Dachziegel unterstreichen den Charme der alten Zeiten. Einen eigenen Ort für sich haben die Kinder und Jugendlichen in dem ehemaligen Güterschuppen. Und wo im Nebengebäude einst das Waschen der Dienstkleidung stattfand, befindet sich heute das Kunstatelier. Nach einer neuen Dacheindeckung und dem Einbau moderner Fenster nach historischem Vorbild, sowie dem Austausch des abgenutzten Holzbodens, gibt es hier seit letztem Jahr einen Raum für kreatives Schaffen, an dem sich die künstlerischen Prozesse auch mal auf dem Boden verewigen dürfen.
Zusammenkommen und sich austauschen
Während der Sanierung gab es natürlich auch Überraschungen: Im großen Veranstaltungssaal sollten zwei massive Stahlträger eine tragende Wand ersetzen und so einen großen zusammenhängenden Raum schaffen. Doch die knapp 100 Stützen, welche die Träger während der Montage stabilisierten, hoben die Decke an und verursachten dabei Haarrisse, also feine Risse an den Wänden. War der Saal eigentlich schon fertig, mussten diese nun wieder behoben werden. Die Bürger:innen nahmen den Zwischenfall mit Humor und so etablierte sich zwischen ihnen als Antwort auf Unerwartetes: “Reg‘ dich nicht auf, es sind nur Haarrisse”. Das Mehrgenerationenhaus lebt von Beginn an von dem Engagement und der Gemeinschaft der Bürger:innen. “Da muss man sich auch mal würdigen”, findet Peter Nissen. So feiern sie beispielsweise beim jährlichen Jahresempfang den “Geburtstag” des Mehrgenerationenhauses oder kommen beim sogenannten “white dinner” ganz in weiß gekleidet auf dem Vorplatz zusammen und genießen unter freiem Himmel das gemeinsame Essen. Mit dem Ausbau des Außenbereiches in ebenfalls historisch nachempfundenen Materialien können sie bald auch auf dem neuen “Willkommensplatz” zusammenkommen und sich freuen, wie schön das Miteinander durch ihren Einsatz für das historischen Gebäude ist. Denn da sind sich alle einig: Erstrahlt ein solch historisches Gebäude in neuem Glanz, ist das eine große Freude.
Dank der denkmalgerechten Sanierung ist das gesamte Bahnhofsensemble heute ein lebendiges Zentrum für Jung und Alt.
Der Deutsche Preis für Denkmalschutz
Der Denkmalschutz bewahrt besondere Architektur für die nächsten Generationen. Seit 1978 zeichnet das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz Einzelpersonen, Gruppen und Vereine aus, die sich für den Erhalt des Kulturerbes einsetzen und Medienschaffende, die über den Denkmalschutz aufklären. Die “Silbernen Halbkugel” ehrt dabei Menschen, die sich ehrenamtlich und mit großem Engagement für die Pflege und den Schutz des baulichen und archäologischen Erbes einsetzen. Dabei versinnbildlicht der Preis in Form einer silbernen Halbkugel mit abstrahierten Baukörpern die Aufgabenbereiche des Denkmalschutzes.
21.12.2023
Text:
Helena Wolf
Fotos:
Peter Nissen, Inge Seidenstücker
Auch in der Ausgabe 118, Winter 2023/24
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