Die Museen für alle erlebbar machen!
Die Kunst- und Kulturlandschaft macht sich auf den Weg, um kulturelle Teilhabe für möglichst viele Menschen zu bieten. Eine Annäherung.
Anfang September verwandeln sich die Museen und Galerien in Kassel in lebendige Orte voller Wissen und Menschen. Bis tief in die Nacht hinein öffnen die Häuser ihre Eingangstüren und laden zum Erkunden und Lernen ein. Dann streifen die Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellungen, betrachten Kunstwerke und Objekte und tauchen in die faszinierenden Geschichten ein, die die Museen parat haben und welche die Mitarbeitenden vermitteln. Kinder drängen sich auf den Sitzmöglichkeiten und lauschen gespannt den Videoinstallationen in einer der vielen Ausstellungen, andere sitzen draußen und zischen ein Feierabendgetränk ihrer Wahl. Die letzten Sommertage sind angebrochen und Freundesgruppen, Familien, Paare und einzelne Gäste nutzen die Museumsnacht, um den Tag mit einer der vielen Führungen, einer Lesung oder auch Musik und kulinarischen Angeboten abzuschließen und einen schönen Abend zu verbringen.
Mit solchen Aktionstagen und -nächten machen sich viele Museumshäuser auf den Weg, um sich zu öffnen und eine aktivere Rolle in der Gesellschaft einzunehmen. Den engen Kontakt zu Besucherinnen und Besuchern aufzubauen und zu stärken, nimmt für viele, die „Museum machen“ aktuell eine große Rolle ein. Durch den so entstehenden gegenseitigen Austausch und Kontakt auf Augenhöhe entsteht Raum, um die Teilhabe am kulturellen Leben sowie Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch für alle zu ermöglichen. „Das alle Menschen ganz gleich ihrer Herkunft oder ihrer Einstellungen Zugang zu den Orten der Kultur in einer Stadt haben, ist ungeheuer wichtig. Nur so kann die Kultur ihren integrativen Funktionsauftrag auch tatsächlich erfüllen“, erklärte Oberbürgermeister und Kulturdezernent Dr. Sven Schoeller vergangenes Jahr in einem Interview der Hessenschau zur Museumnacht.
Die Besucherinnen und Besucher wertschätzen
Um ein gelingendes Museumserlebnis zu schaffen, denken, planen und setzen die Museumsschaffenden viel aus Sicht der Besucherinnen und Besucher um. Dass sie Ausstellungen aus der Perspektive des Publikums konzipieren, erscheint heute total logisch – vor allem früher war der Blickwinkel aber rein auf die Sammlungen fokussiert. Inzwischen arbeiten Kuratorinnen und Kuratoren, die die Ausstellungen erarbeiten, mit den Mitarbeitenden der Bildung und Vermittlung eng zusammen, damit ein stimmiges Gesamtbild entsteht. Die Bildungs- und Vermittlungsangebote sind ebenso wichtig wie die Ausstellungen selbst und kein ergänzendes Element mehr. So entstehen neue und vielfältige Zugänge und Angebote für alle Besucherinnen und Besucher.
Dazu gehören klassische Maßnahmen der Barrierefreiheit wie Zugänge für Menschen mit Rollstuhl, mobile Sitzmöglichkeiten für Menschen mit eingeschränkter Mobilität aber auch Audioguides für Menschen mit Sehbeeinträchtigung. Besonders geeignet sind auch Tastmodelle, die sowohl Menschen mit Beeinträchtigung der Sinneswahrnehmung als auch Kindern Möglichkeiten bieten, um das ausgestellte Objekt erfahren und verstehen zu können. Leichte Sprache mit einfachen, kurzen Sätzen und alltäglichen Worten, wie sie zum Beispiel die Grimmwelt auf der Webseite und als App-Anwendung für die Dauerausstellung anbietet, ermöglicht sowohl Kindern, als auch Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund oder auch Personen mit kognitiven Einschränkungen einen autonomen und gelingenden Museumsbesuch. Digitale Anwendungen wie Film- oder Videostationen aber auch Interaktive Apps, die zum eigenständigen Entdecken und Erkunden einladen, kommen darüber hinaus dem veränderten Kultur- und Rezeptionsverhalten der Besucherinnen und Besucher entgegen. Sich aktiv und nach eigenem durch die Inhalte der Ausstellung zu bewegen kommt heute bei vielen Menschen besser an, als fest vorgegebene Wege und viele lange Erklärtexte. Die Museen rücken so näher an die Lebensrealität vieler Menschen heran, um sie abzuholen, durch die Ausstellung zu begleiten und bekannte und neue Blickwinkel anzubieten.
Sich im Museum zuhause zu fühlen und daher zum Beispiel die Möglichkeit zu haben, sich auf den Boden zu setzen, wenn einem danach ist, ist ein wichtiger Baustein, um den Besucherinnen und Besuchern entgegen zu kommen und sie aktiv willkommen zu heißen.
Bild: Paula Behrendts mit KI Leonardo
Das Alltägliche im Museum integrieren
Die Hinwendung zu den Bedürfnissen des Publikums zeigt sich bei vielen Museen auch auf inhaltlicher Ebene: Wie Menschen ihre Stadt wahrnehmen oder wie der örtliche Fußballverein den Zusammenhalt in schwierigen Zeiten stärkt, sind dann wichtige Blickpunkte innerhalb der Ausstellungen. Als Alltagexpertinnen und -experten haben die Besuchenden dann viel zu sagen, können über ihr Lieblingsobjekt abstimmen, Fragen stellen oder Objekte und Blickwinkel kommentieren.
Hessen Kassel Heritage stellt in der Gesprächsreihe „Westöstliches Sofa“ beispielsweise ausgewählte Objekte vor und spricht mit Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern über deren Erfahrungen. Das große Gewächshaus in Wilhelmshöhe ist dann ein passendes „Stück Geschichte“, um zum Beispiel über die Teekultur Ostasiens zu sprechen und Erfahrungen und Geschichten übers Teetrinken zu teilen. Um die eigenen Themen und Inhalte auch direkt in die Stadtgesellschaft zu bringen und unmittelbaren Austausch zu leben, haben sich viele Museen auch besondere Formate ausgedacht: Mit kleinen Vorträgen in Bars und Cafés werden Museen im Alltag und der Stadtgesellschaft sichtbarer. „Museum“ findet dann sowohl in den eigenen Räumlichkeiten, als auch an alltäglichen Orten statt. Die Abendveranstaltungen der Caricatura verbinden beispielsweise desöfteren komische Texte und Musik. Das senkt darüber hinaus die Hemmschwellen für einen Besuch. Denn laut Fachliteratur haben einige Menschen auch Sorge, weil sie nicht wissen, wie sie sich im Museum verhalten sollen und dürfen oder trauen sich nicht, alleine eine Ausstellung zu besuchen.
Das eigene Wirken und Tun hinterfragen
Dass Museen sich auf den Weg in die Gesellschaft machen, hat unterschiedliche Gründe. Ein besonders prägnanter ist, dass die Häuser ihr Selbstverständnis und ihre Deutungshoheit hinterfragen. Sowohl die Besucherinnen und Besucher als auch die Museumsschaffenden selbst, stellen beides zunehmend in Frage. Die Museen sehen sich inzwischen immer weniger als Institutionen der Macht oder Ausdruck von Machtverhältnissen, sondern viel eher als lernende Institutionen. Sie öffnen daher ihre Museumsthemen, schärfen ihren Blick für neue Fragestellungen mit Bezug zur Gegenwart und suchen den aktiven Kontakt zu den Besucherinnen und Besucher, um mit deren Input neue Blickwinkel einzunehmen. So integrieren die Museen auch Themen wie Kolonialismus, Rassismus, Diversität, Migration, Digitalisierung, Inklusion und Teilhabe umfassend in ihren Museumsalltag: Objekte aus kolonialen Kontexten lassen sich so kritisch aufarbeiten und hinsichtlich ihrer genauen Herkunft erforschen, Ausstellungen werden mit Betroffenengruppen konzipiert, um sicher zu stellen, dass sie im Museum als Teil der Gesellschaft sichtbar sind und Wertschätzung erfahren. Die Museen entwickeln sich so zu wichtigen Orten der Gesellschaft, die die Vielfalt der Bürgerinnen und Bürger spiegeln und nah am Leben der Menschen stattfindet. Das Museum ist dann ein offener Ort voller Begegnung und Austausch in dem Menschen mit verschiedenen Interessen und Hintergründen zusammenkommen, um Kunst und Kultur zu erleben. Aktionen wie die Kasseler Museumsnacht sind wichtige Bausteine, um Hemmschwellen abzubauen und das Museum für alle zu entwickeln.
Zur Kasseler Museumsnacht öffnen auch 2024 die Museen wieder ihre Tore.
Bild: Paula Behrendts mit KI Leonardo
Das Museum
Offizielle Definition des Nationalkomitees des internationalen Museumsverbandes:
„Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch.”
12.06.2024
Paula Behrendts
hat ihre Masterarbeit in Soziologie zur aktuellen Öffnungsbewegung der Museumslandschaft geschrieben.
>>Paula bei LinkedIn
Die Kasseler Museumsnacht findet auch 2024 statt!
Türen am 7.September geöffnet.
Zum Ausklang eines Kasseler Sommers gehört im September jeden Jahres traditionell die Museumsnacht. Im Jahr 2024 werden am Samstag, 7. September 2024, die Türen der Museen, Galerien und kulturellen Institutionen bis in die Nacht hinein geöffnet sein. Es erwarten Sie zahlreiche Ausstellungen, Führungen, Lesungen, Kinderprogramme und Musik sowie ein vielfältiges kulinarisches Angebot und ein anspruchsvolles, künstlerisches Rahmenprogramm.