„Einmal bis zur Endstation, bitte!“
Tagtäglich fahren viele Menschen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B. Mit Bus und Bahn lassen sich Stadt und Region auf neuen Wegen erkunden. Ein Mikro-Reisebericht.
Von Kassel aus, wo ich aufgewachsen bin und an der Uni studiert habe, bin ich nach dem Ende meines Studiums umgezogen – nach Frankfurt in die fünftgrößte Stadt Deutschlands. Ich kenne mich hier noch nicht gut aus, bin zwar viel im eigenen Kiez unterwegs und fahre regelmäßig zum Museumsufer, um dort die örtlichen Kunst- und Kulturangebote wahrzunehmen nutze dafür immer die U-Bahn, da die meine Direktverbindung ins Zentrum der Stadt ist. Und in der Untergrundbahn sieht man eben viel Untergrund und wenig Stadt. Um das zu ändern, bin ich nach einem Zahnarzttermin sehr spontan in den nächsten Bus gestiegen, um mit meinem Deutschlandticket durch die Gegend zu fahren und Frankfurt zu sehen. Die Buslinie M72 hat mich vom Stadtteil Heddernheim bis nach Rödelheim gefahren und weil mir die Fahrt bis da zu kurz war, bin ich da dann noch in die M55 gestiegen und bis zur Endstation „Friedhof Sindlingen“ sitzen geblieben. Mit guter Musik und einem Fensterplatz bin ich so knapp 90 Minuten zu den äußersten Frankfurter Stadtteilen gefahren, meinen Gedanken nachgegangen und habe die verschiedenen Fahrgäste und Straßenzüge beobachtet.
Ein sich wandelndes Straßenbild
Die öffentlichen Verkehrsmittel befördern nach Angaben des statistischen Bundesamts jährlich um die 6,7 bis 9,5 Milliarden Menschen. Vergangenes Jahr sind es ca. 8,2 Milliarden gewesen. So viele Menschen haben verschiedene Reiseziele und Routen, die die Öffis abdecken müssen. Entsprechend steuert der Personennahverkehr auch alle möglichen Stationen an: große Bahnhöfe und kleinere Knotenpunkte an denen anderen Linien abfahren, Krankenhäuser und Schulen, Einkaufszentren und Innenstädte, Parks und Friedhöfe, Veranstaltungsorte und Kirchen. Daran anknüpfend wandelt sich das Straßenbild auf einer Busfahrt mehrmals – von Wohnvierteln mit schicken Villen geht’s weiter über die Plattenbausiedlungen durch die Grünzüge der Stadt, die öffentlichen Parks oder Kleingärten hin zu den kleineren Industriearealen bei denen Berufstätige ein- und austeigen. Auf meiner Busfahrt genieße ich die Abwechslung der Häuserfassaden, freue mich über schicke Vorgärten der Einfamilienhaussiedlung und frage mich im Industriegelände, warum Fabriken immer mit den typischen Dächern gebaut werden. Angeschrägte Dachkanten, die sich wie auf die Seite gekippte Zacken einer Krone abwechseln sind scheinbar besonders praktische Fabrikdächer. Die Suchmaschine verrät mir, dass es sich um Sheddächer, auch Sägezahndächer genannt, handelt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts in England erfunden, ermöglichen sie einen natürlichen und schattenfreien Lichteinfall und minimieren die Hitze im Gebäude. Wieder was dazu gelernt! Durch meine Reise bekomme ich ein Gefühl für die Stadt und für den Verkehr. Besonders klasse finde ich die vielen Wendeschleifen, die der Bus auf seinem Weg nimmt, um die Menschen in den Wohnblöcken einzusammeln und seine Route auf den Hauptstraßen weiterzufahren.
Die freundlichen Mitreisenden
Während der Bus in Rödelheim proppenvoll ist und mit jeder Menge Menschen startet, ist er auf dem Weg zur letzten Station, dem Sindlinger Friedhof, fast komplett leer. An einigen Stationen steigen besonders viele Menschen ein und aus; an anderen nur wenige. Das Buspublikum ist sehr durchmischt. Grundschulkinder treten gemeinsam den Heimweg an, Mutter und Sohn unterhalten sich über ihren Tag, Freundesgruppen pendeln zum nächst gelegenen Park und alte Damen transportieren ihre Einkäufe zwei bis drei Stationen weit, bevor sie dann wieder aussteigen. Was mir dabei besonders auffällt ist die Kommunikation zwischen den einzelnen Fahrgästen. Mobil eingeschränkte Menschen bekommen einen Sitzplatz angeboten und erhalten Hilfe, wenn sie aus dem Bus aussteigen. Bekannte treffen sich unverhofft und halten ein Schwätzchen in Busfahrtlänge. Wenn es eng wird, lächeln sich die Menschen in den Vierersitzen an und rücken ihre Taschen näher an den Körper, um den anderen genügend Platz zu lassen. Sehr angenehm. Durch die Fahrt bekomme ich ein Gefühl für die vielen Menschen in Frankfurt. Es ist wunderbar, dass alle zehn Minuten ein Bus fährt und alle drei bis fünf Minuten eine U-Bahn, denn es gibt viel Bedarf. Die Busfahrer grüßen sich auf ihren Strecken, juxen die kurzen Augenblicke mit guten Kollegen herum und schlängeln sich mit großer Präzision an Baustellen und Lieferautos vorbei. Hut ab für alle Busfahrenden, dass sie uns so zielsicher durch den Großstadtdschungel navigieren!
Auf dem Weg zu letzten Station ist der Bus fast komplett leer.
Foto: Paula Behrendts
„Ich möchte einfach nur hier sitzen“
Die Busfahrt ist daher sehr angenehm und ruhig. Keiner muss hupen oder bremsen. Die alten Leute finden sicher ihren Platz und werden nicht durchgeschüttelt. Die Sonne scheint ins Fenster und wärmt mich durch die Ärmel meiner Strickjacke. Zwischendurch schaue ich auf die Uhr im Display des Busses, das auch die Stationen anzeigt und frage mich, ob ich wohl besser aussteigen soll, um nicht zu lange unterwegs zu sein. Aber ich möchte nicht aufstehen, sondern einfach nur hier sitzen. Wie auch im Zeichentrick-Sketch „Feierabend“ von Loriot sitze ich „einfach nur da“, mache nichts und habe auch nicht die Intention etwas zu machen. Stattdessen möchte ich viel lieber der angenehmen Trägheit nachgehen, die durch das Schaukeln des Busses entsteht. Einfach mal den Bus nehmen, weil ich es kann – nicht, weil ich von A nach B will. Das ist ein sehr entspannender Gedanke und auch eine schöne Aktivität. Ich kann mich aus dem Alltagstrubel rausnehmen und andere Mitreisende auf ihren Wegen ein Stück begleiten. Mal den Beobachter oder die Beobachterin zu spielen, Raum für die eigenen Gedanken zu haben und an alles und nichts zu denken, ist eine gute Möglichkeit, um den Kopf frei zu bekommen. An der Endstation steige ich aus, drehe eine Runde über den Friedhof über freue mich über das Vogelgezwitscher. Die Busse fahren auch hier alle zehn Minuten, sodass ich gut wieder nach Hause komme. Den Heimweg trete ich mit vielen Ideen und Gedanken an, die sich auf der Fahrt in meinen Kopf geschlichen haben und sich um ganz andere Dinge drehen, als die typischen Themen aus Studium, Arbeit und Freundeskreis. Einfach mal zur Endstation fahren und nur so da sein, kann ich sehr empfehlen!
Die Endstation am äußersten westlichen Stadtrand ist gut angebunden. Die Buslinien kommen hier alle zehn Minuten.
Foto: Paula Behrendts
Paula Behrendts
hat ihrem Master in Soziologie an der Universität Kassel gemacht
und befindet sich beruflich im Anflug auf die Frankfurt Museumslandschaft.
Titelbild des Beitrags:
Paula Behrendts mit der KI Leonardo