Märchenhafte Platzgestaltung
Leicht erschüttert nimmt man die preisgekrönte Planung für den Brüder-Grimm-Platz zur Kenntnis. Es ist schlicht nicht zu begreifen, wie eine doch sehr gemischte Jury zu ihrer Entscheidung gelangt ist. Immerhin hat sie sich für zwei Erste Preise entschieden :))
Ausgeastete Kiefernstangen sind kein Märchenwald, sie vermitteln vielmehr den Eindruck einer vom Sturm gerade noch verschonten Bauminsel. In älteren Märchenbuch-Illustrationen muss man Kiefern und Lärchen als Märchenwald-Bäume lange suchen. Richtiger wären Tanne oder Fichte, aber die sind untenherum dicht. Noch richtiger wäre ein Mischwald, wie er hierzulande den Normalfall darstellt (Reinhardswald!). Unter den mißhandelten Kiefern auch noch Büsche und Sträucher anzusiedeln, dürfte schwer werden, mindestens aber sehr arbeitsintensiv. Von den Baumscheiben unter den Lärchen gar nicht zu reden! Hat man sich dazu mit Gartenbauexperten abgestimmt?
Aufenthaltsqualität unter den astfreien Kiefern wird auch nicht entstehen. Eher muss man mit einem zweiten Palast der Winde rechnen (der hier vielleicht unbewusst Pate stand?).
Wie sich der „Märchenwald“ an diesem kleinklimatisch sehr speziellen Standort entwickelt, ist eine weitere Frage.
Die vielbeschworenen Sichtverbindungen zwischen den historischen Gebäuden entstehen auch bei einer lichten Bepflanzung mit Laub- und Nadelbäumen, die auf gewünschte Sichtachsen Rücksicht nimmt.
Was die verkehrstechnischen Notwendigkeiten anbelangt, haben die Planer leider nicht viele Möglichkeiten. Das sei zugestanden.
Das reichlich arrogante Statement des Planers (HNA, 3.6.21) zeigt einmal mehr die Abgehobenheit dieser Fachleute. Wenn ein Planer nach 20 Jahren Praxis immer noch nicht begriffen hat, dass das Publikum seine Planung nicht durch euphemistische Verkaufsrhetorik versteht, sondern nach seinen eigenen Vorstellungen vom Märchenwald urteilt, sollte er sich unter den kahlen Kiefern zur Ruhe setzen. Vielleicht verhilft ihm die geplante Lightshow dann zu Erleuchtung.
Der ganze Vorgang ist auch eine dreiste Demonstration, wie man mit Hilfe des Stadtparlaments dem Bürger seine Ignoranz vorgeführt hat. (Wessen Ignoranz gemeint ist, mag der geneigte Leser jetzt selbst entscheiden.) In diesem Zusammenhang beobachten wir mal die weitere Diskussion um das Documenta-Archiv.
Aber das Rathaus ist jedenfalls, wie immer wenn es um Platzgestaltung geht, zielsicher daneben gelandet. Schade.
Autor: Wolfgang Ehle
Seit zehn Jahren glücklicher Bewohner des Vorderen Westens. Wolfgang Ehle engagiert sich im Reparier Café, das er 2014 als erstes seiner Art in Kassel gründete, und setzt sich außerdem für Kultur und Kommunikation im Quartier ein. Er ist seit vielen Jahren aktiv in der Flüchtlingshilfe und engagiert sich umfassend für die Starthilfe und die Integration von Familien aus Syrien und den ostafrikanischen Krisengebieten. Als langjähriger Südhesse fördert er besonders den menschlichen Kontakt, der dem Nordhessen eher schwer fällt.