Tomaten aus partizipativer Züchtung kamen besser durch den nassen Sommer
Früchte aus einem Uni-Kassel-Projekt waren resistenter – jeder kann mitmachen
Besser gemeinsam züchten, findet Dr. Bernd Horneburg, Leiter des Ökologischen Freiland-Tomatenprojekts an der Uni Kassel. Die neuen Sorten seien resistenter gegen die Kraut- und Braunfäule.
Im Ökologischen Freiland-Tomatenprojekt züchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Profi-Gärtnerinnen und Hobbygärtner und andere Beteiligte neue Sorten, ohne von sogenannten intellektuellen Eigentumsrechten finanziell zu profitieren. Neun neue Sorten hat das Projekt seit dem bundesweiten Start 2003 hervorgebracht. Als besonders resistent gegen die Kraut- und Braunfäule (einen Pilz mit dem wissenschaftlichen Namen Phytophtora infestans) erwiesen sich die Sorten Primabella, Resibella, Rondobella, Vivagrande und im Hausgarten Sunviva. Der zurückliegende feuchte Sommer war die Nagelprobe.
„Die vorangegangenen Jahre 2018 bis 2020 waren in fast allen Gegenden Deutschlands günstig für den Tomatenanbau im Freiland: Es war trocken und heiß, der Befall mit P. infestans spielte keine oder nur eine geringe Rolle“, berichtet Horneburg. Das war und ist in diesem Jahr anders: „In vielen Gärten waren Sorten mit geringer oder mittlerer Resistenz so stark geschädigt, dass der Ertrag gering blieb. Auch der kommerzielle Anbau in Folientunneln und unbeheizten Gewächshäusern wurde teilweise stark geschädigt, weil die Tomatenpflanzen bei niedrigen Temperaturen und hoher Luftfeuchte lange feucht blieben und befallen wurden. Sorten, die im Freiland Tomatenprojekt gezüchtet wurden, konnten die Saison hingegen verlängern und den Ertrag stark erhöhen.“
Der Agrarwissenschaftler Horneburg, der an der Universität Kassel am Fachgebiet Ökologische Pflanzenzüchtung und Agrarbiodiversität forscht und lehrt, führt dies auf den breiten Zuchtansatz zurück, der sich auf die Vielfalt der Tomate stützt: „Durch die partizipative Züchtung an verschiedensten Orten ist es möglich, Sorten zu entwickeln, die mit stark wechselnden klimatischen Bedingungen umgehen können.“ Jährliche Treffen, sogenannte Tomatentage, sicherten zudem den Austausch zwischen den Beteiligten; der jüngste fand im September bei Göttingen statt. Beim Tomatentag werden Beobachtungen und Daten aus Exaktversuchen ausgetauscht, um für sehr unterschiedliche Boden- und Klimabedingungen die besten Sorten zu züchten. Anleitungen und wissenschaftliche Ergebnisse stehen öffentlich über die Projekthomepage zur Verfügung. Der Geschmack wird durch Verkostungen in jedem Schritt der Züchtung berücksichtigt.
Phytophthora infestans ist ein Schadpilz, der sich an seine Umwelt anpassen und Resistenzen brechen kann. Horneburg: „Eine Stärke des Projekts ist die „Sensorfunktion“ des Netzwerks: Verlieren Sorten an einem Ort die Resistenz, wird direkt in der Fülle der Zuchtlinien nach einer neuen Lösung gesucht.“
Das Ökologische Freiland-Tomatenprojekt will großen Saatgut-Konzernen etwas entgegensetzen. Auch für Eigenschaften von Tomaten werden oft Patente beantragt; beinhaltet eine neue Sorte entsprechende Merkmale, werden Lizenzgebühren fällig oder die Nutzung ganz untersagt – ein Hemmnis für die Entwicklung verbesserter Sorten. Die Patente für Tomaten liegen dabei bei einigen wenigen Unternehmen. Im Freiland-Tomatenprojekt hingegen bestimmen Züchterinnen und Züchter, Anbau, Handel, Beratung und Konsumentinnen und Konsumenten gemeinsam die Ziele und selektieren die besten Zuchtlinien, beschreibt Horneburg: „Wir tauschen Wissen, Pflanzen und Samen aus, um gemeinsam nach neuen, vielversprechenden Sorten zu suchen.“ Die Sorten Sunviva und Vivagrande sind sogar durch die Open-Source Saatgut Lizenz als Gemeingut geschützt.
Das Projekt dient nicht nur der Züchtung von Resistenzen: „die Qualität von selbstgezogenen Tomaten ist unschlagbar und sie tragen zu einer lebendigen Sortenvielfalt bei“, bekräftigt Horneburg. 2003 gründete er das Tomaten-Projekt, 2020 brachte er es an die Uni Kassel mit. In manchen Jahren gibt es über 30 Standorte deutschlandweit.
Die Tomate ist das beliebteste Gemüse in Deutschland. Mehr als 28 Kilogramm verzehren wir jährlich pro Kopf. Über 75 Prozent der Frischware kommt aus ausländischen Gewächshäusern, verarbeitete Tomaten häufig sogar aus Übersee. Tomaten aus ökologischem Anbau im Freiland verbrauchen 34 g CO2-Äquivalente pro kg Tomaten, 99 g entstehen in konventionellen Folientunneln und bis zu 1.570 g in beheizten Gewächshäusern.
Tomaten der Sorte Sunviva. Foto: Freiland-Tomatenprojekt.
Pressemeldung der Universität Kassel