Abwechslungsreiche Landkultur
Von Maria Bisalieva
Schülerinnen und Schüler bringen kulturelle Impulse in die ländlichen Regionen Nordhessens. Interessierten zeigen die Kulturbotinnen und Kulturboten wichtige Standorte der Industrie, der Geschichte und der Kultur aus ihrer Perspektive.
Es ist ein bewölkter Samstagvormittag der ersten Sommerferienwoche, die RT1 hält an der Haltestelle Hofgeismar-Hümme. Eine einzige Person steigt aus. Die Straßen um den ehemaligen Bahnhof, in dem heute das Generationshaus Hümme ist, sind still und leer. Die Eingangstür des Generationshauses öffnet sich automatisch. Schlagartig ändert sich die Geräuschkulisse. Von allen Seiten kommen lebhafte Gespräche und ausgelassenes Lachen. Pia Thielemann und Chiara Siebert, zwei Schülerinnen, die nach den Sommerferien in die zwölfte Klasse kommen, stehen in der Küche und kneten Teig. Die beiden Schülerinnen arbeiten die ersten drei Sommerferienwochen als Kulturbotinnen im Generationshaus-Hümme. Sie unterstützen die Ferien-Workshops für Kinder und Jugendliche, an manchen Tagen auch als Teilnehmerinnen. Heute bereiten sie, für die Teilnehmenden des Jugend-Fotoworkshops nebenan, das Mittagessen vor: Es gibt Pizza.
Kulturtourismus auf dem Land stärken
„Das Kulturboten-Projekt beruht auf Vorbildern, die seit einigen Jahren erfolgreich in Skandinavien praktiziert werden.“, berichtet Daniel Teppe, Projektmanager der GrimmHeimat NordHessen, „Eine lange in Schweden tätige Kulturwissenschaftlerin, die vor drei Jahren ein Praktikum bei uns absolvierte, machte uns mit der Idee bekannt.“ Nach dem erfolgreichen Debüt 2019 findet das Projekt findet dieses Jahr zum zweiten Mal statt. Insgesamt 18 Kulturbotinnen und -boten sind diese Sommerferien, auf drei Standorte verteilt im Einsatz. Interessierte können sich die Alte Synagoge Vöhl, das Generationshaus Bahnhof Hümme in Hofgeismar oder das Eisenbahnenensemble in Bebra zusammen mit den Kulturboten anschauen. In Bebra haben Besucher die Möglichkeit, an einer Führung rund um den alten Lokschuppen und den Wasserturm teilzunehmen, das Generationshaus in Hümme bietet ein wechselndes Workshopangebot für Kinder- und Jugendliche und in der Alten Synagoge Vöhl können Besucher etwas über die Geschichte der Synagoge, sowie das jüdische Leben rund um den Edersee lernen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft fördert das Projekt, das zur Stärkung des Kulturtourismus im ländlichen Raum dient, vollständig.
In Ferien kreativ sein
„Eine Freundin aus meiner Klasse hat mich auf einen Zeitungsartikel über das Kulturboten-Projekt aufmerksam gemacht, als wir über Ferienjobs geredet haben“, berichtet Pia Thielemann. Ab Januar geben die Partnerorganisationen — die Eisenbahnfreunde Bebra e.V., das Generationshaus Bahnhof Hümme e.V., derFörderkreis ‚Synagoge Vöhl‘ sowie die GrimmHeimat NordHessen — das Projekt in Schulen in der Nähe der drei Standorte in Form von Infoverantstaltungen, Flyern und Anzeigen in Lokalzeitungen bekannt. Daraufhin bewerben sich Schülerinnen und Schüler ab 16 Jahren schriftlich. „Es gab mehrere Bewerbungen auf die Stelle“, sagt Chiara Siebert und wendet ihren Blick lächelnd Pia Thielemann zu, „aber, scheinbar haben wir das ganz gut hingekriegt.“ Die beiden mögen die abwechslungsreichen Arbeitstage als Kulturbotinnen „Nächste Woche machen wir einen Töpferkurs und einen Buchbindekurs. Ich wollte schon immer mal töpfern!“, erzählt Pia Thielemann voller Vorfreude beim Besuch der Reporterin. „Und am letzten Tag organisieren wir eine Schatzsuche. Ich freue mich darauf sie vorzubereiten, vor allem weil es den Kindern bestimmt Spaß macht!“, fügt Chiara Siebert hinzu. Darüber hinaus sind die Kulturbotinnen und – boten auch als Social-Media Redakteurinnen – und Redakteure tätig und aktualisieren die Instagramseite des Generationshauses Bahnhof Hümme. Die Sommerangebote in Hümme finden genauso wie das Kulturboten-Projekt nächstes Jahr erneut statt.
Neue Erkenntnisse über vergangene Ereignisse
„Ich finde es interessant mehr über den Ort zu erfahren, an dem ich aufgewachsen bin“, sagt Regina Nazarenus begeistert. Zusammen mit Celine Marie Iemmolo ist sie in der Synagoge Vöhl als Kulturbotin tätig, „Wir lernen sehr viel über die Juden, die hier gelebt haben und die Synagoge selbst.“ Zuerst war in dem Gebäude eine jüdische Schule. Ab dem 18. August 1829 fanden dort die ersten Gottesdienste statt – am Schabbat, also am Samstag. In der Woche nutzten Lehrerinnen und Lehrer das Gebäude weiterhin für den Unterricht. Danach lebten jüdische und später auch christliche Familien in dem Synagogengebäude. 1999 kaufte der Förderkreis Synagoge Vöhl das Haus. Im Jahr 2000 begann der Förderkreis mit der Recherche über die jüdische Bevölkerung, die in der Synagoge und in der Region gelebt haben. Auch die Landkulturbotinnen recherchieren während ihrer Arbeit weiter zur Geschichte der Synagoge. „Kommen Besucher, geben wir ihnen Führungen.“, erzählt Regina Nazarenus, „Aktuell gibt es sogar eine Kunstausstellung. Für mich eine Herausforderung Führungen zu machen, da ich etwas schüchtern bin. Deswegen ist es eine super Möglichkeit, um über meinen Schatten zu springen!“ Solange keine Besucher da sind, arbeiten die Landkulturbotinnen an ihrem persönlichen Projekt: Sie bereiten eine Präsentation über die Synagoge früher und heute vor. „Am meisten gefällt es mir, dass ich die Geschichte der Synagoge an andere Menschen weitergeben kann und selbst viel dabei lerne“, fährt Regina Nazarenus fort. Auch Celine Marie Iemmolo findet ihre Arbeit als Kulturbotin bereichernd. „Das Thema ‚Juden‘ hatte ich auch in meiner Abschlussprüfung. Ich versuche es mir die Situation dieser Menschen damals so nah wie möglich zu bringen. ‚Wie wäre es, wenn wir heute in ihrer Situation wären?‘ frage ich mich dann.“
Das Ergebnis ihrer Recherche präsentieren die Landkulturbotinnen am 10. September um 19 Uhr in der Vöhler Synagoge. Celine Marie Iemmolo und Regina Nazarenus sind gespannt was aus ihrem Projekt wird. „Wir freuen uns darauf das Ergebnis zu präsentieren, damit die Besucher sehen, dass wir uns Mühe gegeben haben und wir ihnen etwas beibringen können.“