Bahnhof Wilhelmshöhe – Null Punkte !!??

Seit 30 Jahren in Betrieb – reif für eine Überarbeitung.

Ende April hat ein Bahnhofs-Ranking des Reisebuchungsportals Omio bundesweit Aufsehen erregt. Kassel-Wilhelmshöhe erreichte mit Null Punkten den letzten Platz von dreißig untersuchten Bahnhöfen in Deutschland. Hämische Kommentare blieben nicht aus.

Doch die wenigsten Kommentatoren hatten sich die Mühe gemacht, die Methodik dieser Untersuchung zu studieren. Tatsächlich gibt Omio Auskunft darüber, wie das Ranking zustande kam: https://de.omio.com/bahnhoefe. Erstes Kriterium war die Pünktlichkeit der Züge. Schon hier kann man fragen, wie stark die Qualität eines örtlichen Bahnhofs dafür verantwortlich ist, dass Züge pünktlich ankommen und abfahren. Viele Gründe gibt es für Verspätungen, die aber meist an den Zügen und an den Strecken liegen. Egal: Die Pünktlichkeitswerte aus dem Jahr 2019 hat Omio einer Bundestagsdrucksache entnommen. Schlägt man diese nach, stellt man erstaunt fest: Kassel-Wilhelmshöhe kommt darin gar nicht vor. Also legt man Durchschnittswerte für das ganze Bundesland zugrunde – eine fragwürdige Methodik, die gar nicht zum Vergleich mit anderen Bahnhöfen taugt.

Für das Kriterium „Rund um den Bahnhof“ übernimmt Omio die Anzahl von Shops, Gastronomie und Apotheken aus dem Branchenbuch Yelp, hat aber selbst Zweifel an der Zuverlässigkeit und schreibt: „Die tatsächliche Gesamtmenge kann abweichen“. Und ist es wirklich relevant für die Qualität des Bahnhofs, dass es in Köln 23, in Kassel-Wilhelmshöhe aber nur eine Apotheke im Umfeld des Bahnhofs gibt?

Für das Kriterium „Ausstattung des Bahnhofs“ übernimmt man die Angaben von bahnhof.de . Schlägt man die Seite auf, erfährt man auf der offiziellen Homepage der DB, dass es am Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe keine Toiletten gibt, keine ÖPNV-Anbindung, kein Taxi und auch keine Einkaufsmöglichkeit für Reisebedarf! Wer den Bahnhof kennt, weiß, das alles ist nicht richtig!

Die Entfernung zur Innenstadt gibt Omio für Kassel-Wilhelmshöhe mit 2,3 km an und bewertet dies negativ. Wenn ich aber gar nicht in die Innenstadt möchte? Wie gut (natürlich wie schlecht) sich Omio in deutschen Städten auskennt, zeigen die Angaben für Freiburg (0 km) und München (1,7 km).

Und dann liegt der Hamburger Hbf mit seinen gefährlich schmalen Bahnsteigen und Treppen auf Platz 6 noch vor dem Münchener Hbf mit den komfortabel breiten Zugängen zu den Zügen. Solche Beispiele ließen sich noch fortsetzen. Die wirklich relevanten Faktoren für die Qualität eines Bahnhofs hat Omio nicht im Blick.

Es wird deutlich: Das Ranking von Omio ist eine fleißige Schreibtischarbeit am PC ohne wirkliche Kenntnis der Örtlichkeiten und ohne Bewusstsein für die Fahrgastfreundlichkeit eines Bahnhofs. Und schlimmer noch: ohne wirkliche Kenntnis der betrieblichen Notwendigkeiten und sicherheitsrelevanten Merkmale des Geschehens auf den Bahnhöfen.

Man wundert sich, dass eine so oberflächliche Studie so viel Aufmerksamkeit in den Medien erreichen konnte!

Und wie steht es nun wirklich mit unserem Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe nach 30 Jahren im Betrieb?

Der Bahnhof hat sich im Grunde recht gut bewährt. Betritt man die Halle, fällt sofort eine der beiden großen Abfahrtstafeln ins Auge. Man findet seinen Zug und das Abfahrtsgleis schnell, und beim Zugang zum Bahnsteig sieht man als Bestätigung die Zugzielanzeiger, die unten am Gleis wiederholt werden. Die Bahnsteige sind sehr breit, man kann dort wunderbar Abstand halten. Und niemand wird von durchfahrenden Güterzügen erschreckt, denn die allermeisten fahren auf den von den Bahnsteigen getrennt liegenden Güterzuggleisen 5 und 6. (Man vergleiche dieses mal mit dem Bahnhof Fulda!).

Güterzug auf eigenem Gleis fährt nicht am Bahnsteig

Es gibt häufige Zugverbindungen im Fernverkehr, auch umsteigefreie Verbindungen zu entlegeneren Zielen, gute Verknüpfungen zum Regionalverkehr, teilweise sogar am selben Bahnsteig. Sehr gute Verknüpfung mit dem ÖPNV auf dem Bahnhofsvorplatz, sinnvolle „Arbeitsteilung“ mit dem Kasseler Hauptbahnhof. Auf dem Parkdeck gibt es viele Parkplätze, dort gibt es auch eine Leihwagenstation.

Natürlich ist nicht alles gut im Bahnhof Wilhelmshöhe! Der Fahrgastverband PRO BAHN hat bereits vor zwei Jahren ein Konzept zur Überarbeitung des Bahnhofs vorgelegt. Es ist dringend erforderlich, dass nicht nur die Strecke Hannover-Würzburg, sondern auch der Bahnhof erneuert wird. Sein Konzept stammt aus den 1980er Jahren. Die Neubaustrecke war so teuer geworden, dass man den Bahnhof möglichst billig erstellen wollte. Die Posse um die zunächst als überflüssig erachteten Toiletten im Bahnhof wurde bundesweit belächelt. Und an einen Bahnhof als „Einkaufswelt“ dachte damals natürlich noch niemand.

Die langen Rampen zu den Bahnsteigen waren von Anfang an umstritten. In der Bauphase 1989/90 versuchten Verantwortliche zu beschwichtigen, dann könnten ja auch Taxis auf die Bahnsteige fahren. Viel Unsinniges wurde geredet, viel Unsinniges wurde gebaut. Bis heute hat man die Taubenplage trotz mancherlei Nachbesserungen an Simsen etc. nicht im Griff. Und der Taubendreck wird nicht konsequent entfernt. Neuerdings behindern mehr oder weniger geordnet herumstehende E-Scooter vor dem Haupteingang vor Gleis 1-4 den Fußgängerverkehr. Es sind solche durchaus auch sicherheitsrelevante „Kleinigkeiten“, die die Fahrgastfreundlichkeit und Qualität eines Bahnhofs ausmachen.

E-Scooter behindern den Zugang und schränken den Fluchtweg ein.

Der Zugang zu den Bahnsteigen ist das Hauptproblem. Für viele Anreisende mit schweren Koffern sind die steilen Rampen ein großes Ärgernis. Und die Aufzüge führen nur auf das Parkdeck, sozusagen ins Nichts für alle, die dort kein Auto haben. Und an den Aufzügen ist viel zu wenig Platz für „Kiss and Ride“ – das wurde bei der Bauplanung gar nicht bedacht zur Entlastung des Haupteingangs. Kluge Konzepte sind nötig, um den Weg zu den Zügen zu erleichtern. Ohne Rolltreppen wird es nicht gehen und ohne zusätzliche Treppen südlich des Fußendes der Rampen auch nicht. Die großzügige Breite der Bahnsteige eröffnet Möglichkeiten.

Der Querbahnsteig, die schrecklich zugige „Bahnhofshalle“, erweist sich nicht erst seit Corona als zu schmal. Völlig unverständlich ist es, dass Verkehrsflächen gelegentlich auch noch an Drückerkolonnen vermietet werden, die für Zeitungen u.a. mehr oder weniger aufdringlich werben. Für eine Erweiterung der Verkehrsflächen bedarf es einer großen Lösung: Die Gleise 4 bis 7 könnten überbaut werden für windgeschützte Wartebereiche und für mehr Gastronomie, ebenso die Flächen zwischen den Rampen über den Gleisen 2 und 3 sowie 8 und 9. Dann könnte es in der „Halle“ auch wesentlich leiser werden, wenn unten brüllend laute Züge stehen.

Dieser Bereich über den Gleisen 4-7 könnte überbaut werden

Das Beleuchtungskonzept für die Bahnsteige müsste überarbeitet werden. Allzu oft wirken die Bahnsteige düster, unfreundlich, trostlos. Und die digitalen Zugansagen (die „Blech-Else“) sind oft nicht in Ordnung, insbesondere bei Fahrplanabweichungen und Gleisänderungen, die täglich vorkommen. Hier müssten die seit einiger Zeit wieder eingesetzten Zugabfertiger zu Aufsichtsbeamten werden, die die automatischen Ansagen durch eigene Ansagen ergänzen, präzisieren und korrigieren.

Natürlich kostet das alles Geld. Aber nach dreißig Jahren ist unser Bahnhof reif für eine Überarbeitung weg vom „Billig-Modell“ hin zu einer komfortablen Verkehrsstation, die für die kommende Verkehrswende gerüstet ist und unserer Stadt würdig ist.

Diese und weitere Vorschläge hat PRO BAHN in einem Positionspapier zur baulichen Zukunft des Bahnhofs Kassel-Wilhelmshöhe zusammengetragen, das per Mail beim PRO BAHN Regionalverband Nordhessen angefordert werden kann: nordhessen@pro-bahn-hessen.de

Ulrich Seng
Pro Bahn Regionalverband Nordhessen

Autor: Ulrich Seng
Pro Bahn Regionalverband Nordhessen