Bayerische Braukunst in Kassel
Von Eva Rohland
Von einer kleinen Bierbrauerei entwickelte sich die Brauerei A. Kropf zu einem modernen Großunternehmen. Weit über die Grenzen Kassels hinaus war der Familienbetrieb bekannt. Mit jährlich bis zu 250.000 Hektolitern gebrautem Bier, zählte die Martini-Brauerei zu den größeren Regionalmarken der Bundesrepublik.
Adolf Andreas Christian Kropf erwarb am ersten Juli 1859 ein Hausgrundstück in der Mittelgasse 56 und gründete die Kasseler Brauerei A. Kropf. Für die Gastwirtschaft zahlte Kropf 19.500 Thaler – umgerechnet knapp 30.000 Euro. Das Grundstück lag unter dem Chor der Kasseler Martinskirche, an der Stelle, wo die Mittelgasse den Ostrand des Martinsplatzes berührt. Das spätere Brauereigebäude stammt aus dem 14. Jahrhundert und wurde ursprünglich für einen Stiftsherrn von Stankt Martin errichtet. Um die Verbundenheit zur Martinskirche aufrechtzuerhalten, nahm die Brauerfamilie das Turmpaar der Kirche in ihr Firmensiegel auf. Die Martinskirche entstand ab Mitte des 14. Jahrhunderts auf dem höchsten Punkt der mittelalterlichen Stadt Kassel mit ursprünglich einem Kirchturm. Bauliche Vollendung erhielt sie Ende des 19. Jahrhunderts mit der Fertigstellung des zweiten Turmes. Für die Kropfs entwickelten sich die Martinstürme zum Wahrzeichen ihres Bieres. Als sichtbare Verbindung zu der Kirche, bewahrte der Braumeister den Hammer der alten Viertelstundenglocke in der Brauerei auf, den viele Gäste bewunderten.
Abb. 1: Hof der Bayerischen Bierhalle.
Adolf Kropf war ein Nachkomme einer bayerischen Brauerfamilie. Aufgrund ihres Glaubens war die Familie gezwungen, ihren Hof im Bertechsgardener Land zu verlassen. Ursprünglich dem Baufach verschrieben, lernte Kropf die Tochter des damaligen Kasseler Bierbrauers Schulz aus der Obersten Gasse in Kassel kennen und führte gemeinsam mit ihr die familiäre Brautradition weiter. 1859 heirate er Johanna Schulz und eröffnete zusammen mit ihr die Brauerei in der Mittelgasse mit dem zugehörigen Hausausschank der “Bayerischen Bierhalle”.
Auf dem Weg zum Großbetrieb
19 handwerkliche Brauereien waren um 1860 in Kassel aktiv, knapp 38.000 Menschen lebten in der Residenzstadt. Eine davon war die Martini-Brauerei. Ihr Braumeister Adolf Kropf, bot als erster Kasseler Brauer ein untergäriges Bier von dunkler Farbe mit einem hohen Stammwürzgehalt an, das nach bayerischer Art gebraut war. Bis heute gilt Bayern als Ursprungsland des deutschen Bieres, die Bürger aus Kassel kannten ein solches Gebräu bisher nicht und waren beeindruckt von dem ungewohnten Geschmack. Durch das gute Bier, die zentrale Lage und die gemütliche Einrichtung entwickelte sich die Bayerische Bierhalle zum Stammtisch- und Bürgertreff und gefragten Veranstaltungsort.
In den nächsten Jahren nahm der Bierkonsum in Kassel stetig zu. 1864 bewies die Familie erneut unternehmerisches Gespür und erwarb für günstige 500 Thaler, umgerechnet weniger als 800 Euro, eine Kalkgrube in der Kölnischen Straße 102. Bei dem Grundstück handelt es sich um das spätere Firmengelände im Stadtteil Vorderer Westen, wo heute das Martiniquartier entsteht. Zunächst ließ Kropf weitere Lagerkeller für das Martini-Gebräu anlegen. Durch die Lagerung der Getränke in den kühlen Kellern wurde eine verbesserte Reife der Biere das ganze Jahr über gewährleistet. Zwei Gär- und Lagerkeller entstanden in den Felsen des Kratzenberges. Auf 2,5 km erstreckt sich der Muschelkalk-Höhenzug vom Kasseler Hauptbahnhof bis nach Kirchditmold.
Pferdekutschen transportieren die Bierfässer von der Brauerei in der Mittelgasse in das heutige Martiniquartier. Von dort aus gelangten die schweren Fässer über Treppen in die Kelleranlagen. Die meisten Brauereien, die noch in der Innenstadt brauten, verlegten ihre Lagerräume an den Stadtrand.
Abb. 2: Über Pferdekutschen werden die Bierfässer transportiert.
Der Standort in der Mittelgasse lief so gut, dass Adolf Kropf das angrenzende Wohnhaus – Graben 51 – kaufte, wo ein zusätzliches Sudhaus entstand. Zeitgleich ließ er die Lagerräume in der Kölnischen Straße weiter vergrößern und verbessern. Die Brauerei war nun weit über die Grenzen Kassels hinaus bekannt. Im Jahr 1894 verzeichneten die Kropfs ihren bis dato größten Erfolg mit 24.000 Hektolitern (hl), also 2,4 Mio Liter, verkauftem Bier. Das sollte das letzte Jahr sein, in dem der erste Teil der Arbeit, die Sudhausarbeit, in der Mittelgasse und der zweite Teil, die Gärung und Lagerung, in der Kölnischen Straße stattfand. Einstimmig beschlossen die Unternehmer, ihren gesamten Betrieb in den Vorderen Westen zu verlegen. Lediglich der Brauereiausschank in der Bayerischen Bierhalle blieb bestehen. Das Grundstück in der Mittelgasse war zu diesem Zeitpunkt vollkommen ausgelastet. Während in diesen Jahren viele andere kleine Brauereibetriebe aufgaben, entwickelte sich die Brauerei A. Kropf zu einem großen Betrieb mit handwerklicher Tradition.
Traditionen und Fortschritte
In der Kölnischen Straße 102 entstand eine moderne Brauerei mit einem Sudhaus, einem Kühlgebäude, einem Kesselhaus für zwei Dampfkessel, einem neuen Schornstein, neuen Pferdestallungen, einem neuerrichteten Kontor-, also Bürogebäude und 70 hl fassenden Lagerfässern. Adolf Kropf braute im April 1895 unter großem Jubel der Einheimischen das erste Bier im neuen Sudhaus. 1896 nahm der Bierumsatz weiter zu und stieg auf etwa 40.000 hl. Zu dieser Zeit betrug der Bierpreis für 100 Liter Bier 18 Mark. Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871, führte der Reichstag die Reichsmark ein und die Thaler als Zahlungsmittel verschwanden. In den Gastwirtschaften kostete ein “Schoppen”, also ein halber Liter Bier, 13 Pfennig. Ein Arbeiter verdiente zur selben Zeit durchschnittlich 57 Mark im Monat.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, vermutlich der Überarbeitung geschuldet, erlitt Adolf Kropf 1896 einen Schlaganfall, der ihn dazu zwang, die Geschäfte seinem Sohn Georg zu übertragen. Noch vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, ließ Georg Kropfs Ergänzungsbauten errichten. Die Brauerei wurde neu organisiert und die Lager durch Tieferlegung der Keller vergrößert.
Durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 stockte das Wirtschaftsleben. Auch viele Brauer waren militärpflichtig, sodass die Martinibrauerei kurzzeitig kein Bier herstellte. Unter großen Schwierigkeiten nahmen Ersatzkräfte den Betrieb wieder auf und entwickelten ein Kriegsbier, das größten Anklang fand. Georg Kropf starb in der Kriegszeit. Sein Sohn Erich übernahm den Betrieb 1929 mit 21 Jahren. Erich Kropf steckte voller Ideen und bewies unternehmerischen Weitblick, indem er den Betrieb erweiterte und zeitgemäß modernisierte. Er erkannte früh, dass alkoholfreie Getränke beliebter werden und erwarb den Mineralbrunnen-Betrieb “Johanniter-Quelle” aus Bad Wildungen.
Abb. 3: Die Martini-Brauerei in der Kölnischen Straße 102.
Im Zweiten Weltkrieg fiel die Bayerische Bierhalle in der Mittelgasse dem Krieg zum Opfer und auch in der Kölnischen Straße waren die Kriegsschäden groß. Erich Kropf ließ den Standort aus eigener Initiative und mit der Unterstützung seiner Mitarbeiter wiederaufbauen. Die Martini-Brauerei blieb als Privatunternehmen erhalten. Kropf unterstütze auch Gaststätten, die das Martinbier ausschenkten, mit finanziellen Mitteln. Vor dem zweiten Weltkrieg boten 145 Gastwirtschaften das Gebräu an, danach waren es nur noch zwölf. Das 1938 aufgebaute Sudhaus überstand den Krieg verhältnismäßig gut und bis 1954 erzeugten die Brauer eine Million Hektoliter Bier in dem Gebäude.
Betriebsschließung und Produktionsverlagerung
1957 verstarb Erich Kropf. Seine Söhne Helmut und Erich übernahmen die Großbrauerei, sodass die vierte Generation die Unternehmenstradition fortführte. In den Folgejahren entwickelte sich die Martinibrauerei zu einer der größten Betriebe dieser Branche in Hessen. Inzwischen fuhren 100 Lastwagen über eine Million Kilometer jährlich durch ganz Deutschland und belieferten verschiedenste Betriebe mit dem Martinibräu und seinen alkoholfreien Getränken.
Abb. 4: Lastkraftwagen bringen die Kropf-Martini-Biere zu den Gaststätten.
Den letzten Rekordausstoß erreichte die Brauerei 1968 mit 250.000 Hektolitern Bier. Der Familienbetrieb investierte 1970 erneut in den Standort, als er sich dem Vitamalz-Brauerei-Verband anschloss und dazu verpflichtete, Vitamalz nach einheitlichem Rezept zu brauen.
In den folgenden Jahren nahmen die Konzentrationsprozesse auch in der Brauindustrie zu. Die Martini-Brauerei gab ihre Selbstständigkeit 1992 auf, als die Henninger-Bräu AG Frankfurt sie aufkaufte. Im Zuge dessen sank die Zahl der Mitarbeiter von 264 auf 118. 1997 übernahm die Einbecker Brauhaus AG die Brauerei und die Unternehmer investierten mehrere Millionen Euro in den Ausbau des Kasseler Standorts in der Kölnischen Straße 102. Zum 150-jährigen Jubiläum erhielt die Fassade eine Neugestaltung, doch die roten Zahlen nahmen weiter zu. Die Martini-Brauerei konnte sich nicht mehr am Markt halten, sodass 2016 der Betrieb in Kassel seine Türen schloss. Seitdem wird das Martinibier ausschließlich in Einbeck gebraut. Dort verzeichnete die Marke Martini im vergangenen Jahr ein deutliches Minus in Höhe von 15 Prozent.
Quellen:
-StadtA KS, C 32, 15. Brauerei Kropf und die bayrische Brauhalle (Manuskript und Korrespondenz mit den Brauerei-Besitzern).
-StadtA KS, III G e sg 1. Jahrbuch 1986.
-StadtA KS, III G e sg 4. 100 Jahre Brauerei A. Kropf Kassel.
-StadtA KS, III G e sg 006. Martini ProBier Journal.
-StadtA KS, III G e sg 3. 75 Jahre Kropf Martini-Bräu.
Abbildungen:
-Abb. 1: Hof der Bayerischen Bierhalle. Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens E.V. Institut für Gärungsgewerbe und Biotechnologie zu Berlin: Jahrbuch 1986, Berlin, 1986, S. 182.
-Abb. 2: Über Pferdekutschen werden die Bierfässer transportiert. o.A.: Martini ProBier Journal, Kassel, 1984.
-Abb. 3: Die Martini-Brauerei in der Kölnischen Straße 102. Photographie: Karl Eberth, aus: 75 Jahre Martini-Bräu, Kassel, o.J.
-Abb. 4: Lastkraftwagen bringen die Kropf-Martini-Biere zu den Gaststätten. Flieger, Heinz: 100 Jahre Brauerei A. Kropf Kassel, Düsseldorf, o.J.