Eine kleine Gedankenwelt zur documenta
Durch verschiedene kleine Hindernisse und einige meiner Gedanken hindurch, der Versuch einen Weg zu finden mich doch auf die documenta einzulassen.
Warst du schon auf der documenta? Was hast du schon gesehen? Und was sagst du dazu?
Es gibt diese Fragen, die für einen gewissen Zeitraum zum Smalltalk dazu gehören. Ich fange an aufzuzählen, ja, ich war im Fridericianum, habe aber noch nicht alles richtig gesehen, in der documenta Halle, im Ottoneum, in der Grimmwelt habe ich einen Teil gesehen, im Museum für Sepulkralkultur, beim Sandershaus, im Hübner Areal, im Rondell, eher ein Ort den ich vergesse, nicht wegen des Kunstwerks, wohl eher wegen seiner Größe, beim Bootshaus Ahoi, seit kurzem kann ich die Kirche St. Kunigundis dazu zählen, und an der Hafenstraße war ich kurz, aber nur bei der Eröffnungsfeier und dann fällt mir noch das ook-visitor-center ein. Ich bemerke während des Aufzählens, dass ich deutlich mehr Orte aufzähle und mir immer noch einer einfällt. Mein Gegenüber, der mir die Frage gestellt hat meint: „oh, also schon sehr viel!“. Ich versuche die Menge zu reduzieren, und meiner Wahrheit näher zu kommen und hänge an, dass ich aber teilweise nur kurz an den Orten war.
„Und?“ fragt mein Gegenüber.
Entweder mir fällt tatsächlich ein Aspekt ein, über den ich schonmal nachgedacht habe, oder ich frage mich einfach wie ich diese Frage beantworten soll.
Vor ein paar Monaten bestand die documenta für mich hauptsächlich aus einem Sollte. Ich studiere Bildende Kunst. Ich sollte am besten schon mehr darüber wissen als ich bisher weiß, das Gefühl war schon da, bevor ich irgendetwas wusste. Und ob ich schon etwas hätte wissen können, wusste ich auch nicht – bestimmt. Mein Kopf war woanders, nur das Gefühl war da.
Ich verstand gar nichts, dann erzählte jemand etwas davon und ich verstand ein bisschen mehr, dann las ich etwas und ich verstand ein bisschen mehr.
Ab und zu wurde das Sollte, das ich verspürte zu einem Wollte, blieb kurz und verschwand wieder.
Hauptsächlich stand ich der documenta kritisch gegenüber, Begriffe sollte ich kennen, kannte ich nicht, Kollektive sollte ich kennen, kannte ich nicht, und eine Gesellschaft, die nur auf positiven Werten aufgebaut ist, den lumbung-werten, Großzügigkeit, Humor, lokale Verankerung, Unabhängigkeit, Regeneration, Transparenz und Genügsamkeit – funktioniert nicht, Utopien funktionieren nie.
Und Argumente, die dafür sprachen, dass sie nicht funktionieren, fand ich auch. Und findet man.
Zwei Tage vor der Eröffnung fing ich abends an die verschiedenen Informationen auf der Internetseite zu verschlingen bis vier Uhr nachts.
Ich freute mich.
Zwei Tage später fing der Stress an, die Angst irgendwas zu verpassen und die Chancen nicht genutzt zu haben, weil ich am Ende doch übersehen hätte können, dass ich trotz dem Gefühl „ich sollte“, eigentlich auch gewollt hätte.
Morgens ins Fridericianum, in die Documenta Halle, in die Grimmwelt und ins Museum für Sepulkralkultur.
Und abends auf die Eröffnungsfeier.
An diesem Tag funktionierte die Utopie für mich. Überall lag ein bisschen Hoffnung, die man aufheben konnte und mitnehmen, wenn man wollte.
Ich verstand nicht alles, ich sah Mindmaps, die irgendwelche Praxen transportieren sollten, ich sah Videos, von denen ich nicht wusste, was sie zeigen sollten und ich sah Formen des Protestes, von denen ich nicht alles verstand.
Ich hatte die Sorge zu wenig zu begreifen, und wollte mehr erfahren.
Hatte das Gefühl, vieles ist ähnlich und die Informationen in der Ausstellung sind schwer zugänglich.
Und was ich am Anfang auch nicht verstand, wie konnte es sein, dass alle die beteiligt waren bei der documenta, voller Zuversicht und Begeisterung sein konnten.
Aber das spielte erst eine untergeordnete Rolle, da ich ja Hoffnung fand und später als die Kritik, präsenter wurde, da sie auch andere äußerten, wurde sie eben nur zu Kritikpunkten, die ich mit der Zeit begann zu verstehen, die ihre Berechtigung haben, aber die für mich keine Berechtigung mehr haben sollten, mich nicht auf die documenta einzulassen.
Ich verstand, dass Ruangrupa, das Kollektiv, das die Kuration der documenta übernommen hatte, vorher noch nie eine Ausstellung dieser Größenordnung und Bedeutung kuratiert hat.
Ich verstand, dass Menschen verschiedene Gewohnheiten haben und Ausstellungen in Indonesien, als auch in den Ländern, die unter einem Begriff, wie den Globalen Süden gezählt werden könnten sich zu denen unterscheiden, die ich und viele andere sonst gewohnt sind. Die ich im europäischen Raum gesehen habe, oder in den USA.
Ich verstand, dass es sehr schwer ist als Kollektiv, den Mix aus künstlerischer und aktivistischer Praxis, die vor allem im Prozess stattfindet, zu veranschaulichen.
Das Wissen, dass Utopien sein müssen und dürfen, auch wenn sie nie existieren werden, bestätigte sich mit jedem weiteren Besuch der documenta.
Ich empfand, dass die Inhalte wichtiger sind und man sie findet, wenn man sich auf andere Gewohnheiten einlässt.
Und ich empfand, dass Theorien, die man als notwendig für das Verständnis von Kunst und das Konzipieren einer „guten“ Ausstellung erachtet, auch weil man sie lernen musste, weniger von Nöten sind als man denkt.
Und ich verstand, dass wenn ich vielleicht ein paar der Wege, Workshops, Talks, Performances, die während den 100 Tagen angeboten werden, versuchen würde auszuprobieren, auch wenn ich vielleicht am Anfang eine Scheu empfinde, dass ich dann weniger den künstlerischen und aktivistischen Praxen von außen zusehen würde, sondern sie vielleicht besser verstehen würde und auch die Zugehörigkeit empfinde, die offensichtlich zu einem größeren Verständnis führt.
Ich verstand wieder, dass überall Konflikte zu finden sind, die es gilt mit einem Verständnis für alle, anzugehen und zu lösen.
Somit bin ich froh, dass ich in Kassel wohne und die Zeit, die damit entsteht, mir die Möglichkeit gibt, vielleicht ein größeres Verständnis für viele Fragen und Antworten, die die documenta bietet zu bekommen und um noch, als auch doch, ein wenig mehr von der documenta mitzunehmen.
09.08.2022