Einen lebendigen Fachbereich feiern
Mit einem bunten Jubiläumsfest blickte der Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung der Universität Kassel auf seine Anfänge zurück. In entspannter Atmosphäre tauschten sich Studierende und Lehrende über die Zukunft ihr persönliches Erleben des Fachbereichs aus.
Lehrende, Lernende und Besucher:innen hatten am Mittwoch den 31. Mai ihre Arbeit niedergelegt, um den sonnigen Nachmittag gemeinsam mit schönen Gesprächen zu genießen. Nach einem lauten Eröffnungsgong ließen sie sich auf selbstgebauten Sitzgelegenheiten nieder. Unter freien Himmel und mit Musik im Hintergrund entstand schnell eine lockere Atmosphäre und so freuten sich die Dozierenden auf die Fragen und Anregungen der Studierenden.
Die Veranstaltung “Open House – Hot chairs” war Teil des vielseitigen Programms, mit dem der Fachbereich sein 50-jähriges Jubiläum feierte.
Ließen die spannenden Vorträgen von ehemaligen Profesor:innen und Absolvent:innen die Anfänge des Fachgebiets Revue passieren, so gab der lebendige Austausch einen Einblick in das heutige Fachgebiet. Die Performance entstand in Zusammenarbeit mit Raamwerk, einem Team aus Kreativschaffenden, die bespielbare Aktionen im öffentlichen Raum initiieren, und Architekturstudierenden.
In wechselnden Gesprächsrunden kamen die Besucher:innen mit den Lehrenden auf unkonventionelle und ungezwungene Weise ins Gespräch.
Spielerisch ins Gespräch kommen
Mit dem Vorplatz des ASL Neubaus hätte die Universität keinen treffenderen Platz wählen können, um die Anfänge und Zukunft des Fachbereichs zu feiern:
Seit 2016 bietet das sechseckige Gebäude aus Glas und Stahl einen markanten Lernort mit Blick auf die umliegenden Backsteingebäude und verbindet so die alte und moderne Architektur auf dem Campusgelände.Die denkmalgeschützten Gebäude gehörten im 19. Jahrhundert zum Fabrikgelände der Zelt- und Tuchfabrik Gottschalk & Co. Im Jahr 2002 erweiterte hier die Universität Kassel ihren Campus, dabei blieben von dem ehemaligen Fabrikgebäude vier Backsteingebäude erhalten.
Über den Platz verteilt und auf den rosa Sitzgelegenheiten lernten nun die Besucher:innen den Fachbereich und seine Lehrenden spielerisch näher kennen. Raamwerk initiierten die Performance “Open house – Hot chairs” und hatte diese zusammen mit Studierenden in einem vorangegangenen Seminar erarbeitet. Dabei orientierten sie sich an Hannah Hurtzigs “Schwarzmarkt des nützlichen Wissens und Nichtwissens”, einem Format zum Austausch und Wissenstransfer.
Durch das Ziehen eines Tickets erhielten die Besucher:innen eine Nummer, die sie einem Fachbereich zuordnete. Anschließend tauschten sie sich in kleineren Sitzgruppen mit Dozierenden aus 28 Fachbereichen, wie Entwerfen im Bestand, Stadtmanagement oder Freiraumplanung, über Themen wie Forschung, Lehre oder eigene Erfahrungen aus. Durch das einander Gegenübersitzen sollte ein niedrigschwelliges Gespräch ohne Hierarchien entstehen. “Der direkte Kontakt kann zuerst etwas unangenehm sein, aber nach und nach stellt sich ein lockeres Gespräch ein. Und das ist dann überraschend schön”, erklärte Britta Wagemann von Raamwerk.
Ergänzend zu den eigenen Gesprächsthemen, konnten sich die Besucher:innen von sogenannten “hot questions” inspirieren lassen. “Wie viele Stunden arbeitest du pro Woche? Was tust du für den Klimaschutz?”, hieß es da. An Angeln ließen Raamwerk und die Studierenden ihre zuvor gesammelten Fragen, in die Gesprächsgruppen hineinragen.
Austausch auf Augenhöhe
Kommt es im Universitätsalltag nach den Vorlesungen selten zu Gesprächen zwischen Studierenden und Dozierenden, so entstand während der Veranstaltung ein lebendiger Austausch. Auch nachdem offizielle Ende der “Hot chairs” blieben viele Teilnehmende sitzen und unterhielten sich gerne weiter. “In dem ungezwungenen Beisammensitzen kann man die Nahbarkeit der Dozierenden erfahren”, freute sich ein Student. “Ich würde mir öfters einen Austausch zwischen den Studierenden und den Professorinnen und Professoren wünschen.”
In den Gesprächen erzählten die Studierenden etwa von ihren Beweggründen für ein Studium und von Themen, die sie bewegen. Dabei kam es immer wieder zu lebhaften Diskussionen über den Umweltschutz. Ein Thema, welches bereits die Lehrenden zu ihrer Studienzeit beschäftigte. Prof. Dr.-Ing. Leibenath vom Fachgebiet Landschaftsplanung und Kommunikation freute sich, dass sich die Studierenden weiterhin für das Klima einsetzen, Lösungen suchen und nicht resignieren. So würden auch nach dem Studium leider viele Ideen für eine bessere Welt, sowie innovative Architekturkonzepte, auf Widerstände stoßen. Davon solle man sich allerdings nicht entmutigen lassen. “Wenn man etwas bewegen will, kommen immer Konflikte auf. Dabei ist es wichtig optimistisch zu bleiben. Nicht naiv, aber neugierig und aufgeschlossen.”, riet Leibenath. “Man muss sich die eigenen Ideale bewahren und sie festhalten. Nicht nur im Kopf, sondern sie auch aufschreiben, damit man sie nicht vergisst.”, stimmte ihm seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Alena Birnbaum zu.
Erfahrungen miteinander teilen
Manche Studierende beobachteten den Austausch lieber entspannt mit einem kühlen Getränk in der Hand und der Sonne im Gesicht. “Das direkte Gegenübersitzen hat doch etwas von einem Bewerbungsgespräch. Das muss man sich erst einmal trauen so ins Gespräch zu gehen”, fand eine Studierende. Ob in den Gesprächsrunden, oder auf den Stufen des Vorplatzes, die Studierenden lernten ihre Lehrenden und auch einander besser kennen. So hatte eine Gruppe Studierende zufällig in einer Gesprächsrunde festgestellt, dass sie zwar alle Stadtplanung studieren, sich aber noch nie bewusst gesehen und ausgetauscht hätten. “Wir beschäftigen uns eigentlich alle mit denselben Themen und da ist es schön, so entspannt in den Austausch zu kommen und die eigenen Erfahrungen zu teilen.”
ASL hilft, die Herausforderungen der Zukunft zu lösen
Nach dem lockeren Beisammensein kamen Vertreter:innen aller Fachgebiete in einem Festakt zum Jubiläum zu Wort.
In einer Videobotschaft würdigte Angela Dorn, Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, das “radikale Bildungsexperiment des Kassler Modells”. Als ehemaliger Student der Stadtplanung und Asta-Vorsitzender kam Jens Deutschendorf an seinen ehemaligen Campus zurück. Der Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, blickte mit vielen positiven Erinnerungen auf seine Studentenzeit zurück. Des Weiteren betonte Deutschendorf die Schlüsselrolle des Fachgebiets um den Herausforderungen, wie den Klimawandel und Wohnungsmangel, begegnen zu können. “Auf den Weg zur Klimaneutralität braucht es die Forschung und Lehre im Fachbereich Architektur, Stadt- und Regionalplanung.” Dabei zeichnete er den Studierenden eine rosige Zukunft: “Hier wird der Nachwuchs ausgebildet, den wir dringend brauchen. Sie sind aktuell gefragter denn je.” Dem schloss sich auch Annelie Bopp-Simon, Vizepräsidentin der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen, an. “Mit Ihrem Wirken können Sie den Raum und die Gesellschaft nachhaltig entwickeln.”
Ein Fachbereich, der bewegt
Die in den Gesprächsrunden so intensiv besprochenen Überlegungen über die Rolle der Architektur in der Klimadebatte, tauchten auch in einem weiteren Programmhighlight auf. In der anschließenden Vorlesungsreihe “FUSION” untersuchte der britische Architekt Jeremy Hill die Herangehensweisenzur Bewerkstelligung des Klimawandels.
“Architektur ist Klima”, behauptete Hill und stellte die allgegenwärtige Frage danach, wie die Architektur den Klimawandel beeinflusst, auf den Kopf und fragte stattdessen, was der Klimawandel mit der Architektur macht.
So zeigten die Veranstaltungen zum Jubiläum, was den Fachbereich der Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung so besonders macht: Dieser integrierte Studiengang traute sich, mit dem „Kasseler Modell“ neue Wege einzuschlagen und bietet den Studierenden seitdem vielfältigste Fachgebiete und Inspirationen für ihren beruflichen Werdegang.
So freute sich die Universitätspräsidentin Prof. Dr. Ute Clement: “Wir können zurecht stolz auf den Fachbereich sein. Er lebt und bewegt etwas. Wir sind stolz auf die letzten 50 Jahre und freuen uns auf die Nächsten.”
50 Jahre ASL in Kassel
Die damalige Gesamthochschule Kassel initiierte 1973 den Reformstudiengang Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung, kurz ASL. Das “Kasseler Modell” stellte tradierte pädagogische Konzepte, institutionelle Strukturen und fachliche Inhalte in Frage. Dabei dachte die Hochschule die Beziehung zwischen Wissenschaft, Planung und Gesellschaft neu. Der verstärkte Praxisbezug, sowie der interdisziplinäre Ansatz zwischen den Fachrichtungen stellten dabei ein radikales Bildungsexperiment dar.
“Schwarzmarkt des nützlichen Wissens und Nichtwissens”
Hannah Hurtzig gründete 1999 die “Mobile Akademie Berlin”, ein Kunstprojekt mit wechselnden Themenschwerpunkten zwischen Feldforschung, Kursangeboten und Aktionismus. Mit dem “Schwarzmarkt des nützlichen Wissens und Nichtwissens” entwickelte sie ein neues Format der Wissensvermittlung, welches zugleich einen performativen Akt darstellt. Der Markt gibt den Teilnehmenden in wechselnden Kleingruppen Raum für einen wechselseitigen Wissensaustausch. Für jedes Gespräch steht eine begrenzte Zeit zur Verfügung, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dabei sind die Gespräche auf der einen Seite durch das direkte Gegenübersitzen sehr persönlich und gleichzeitig durch den öffentlichen Raum, in welchem das Gespräch stattfindet, für alle Teilnehmenden und für die Beobachtenden leicht zugänglich.
02.06.23
Text:
Helena Wolff
Im StadtLabor des Freien Radios Kassel sprach ein generationenübergreifendes Team über die Anfänge und Zukunft des Fachbereichs ASL. Mit dabei: Sarah John von Zydowitz (Studierende), Britta Wagemann (Raamwerk), Christian Kopetzki (Hochschullehrer von 1978 bis 2005) und Alexander Stumm (wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets Architekturtheorie und Entwerfen).