
Innovativer Theaterbau schreitet voran
Mit der neuen Interimsspielstätte für das Staatstheater Kassel auf dem Gelände der ehemaligen Jägerkaserne I wird derzeit auf Initiative der Stadt Kassel unter enormem Zeitdruck ein hochkomplexes Bauprojekt realisiert: modular, vollständig rück‐ sowie wiederaufbaubar und dabei ein vollwertiges Theater.
Für Oper, Schauspiel, Tanz und Konzert wird hier künftig eine neue Bühne geboten, eingebettet in eine bestehende städtische Struktur, die sich dynamisch entwickelt.
Oberbürgermeister Sven Schoeller dankte gleich zu Beginn des Vor-Ort-Termins am Donnerstag den beteiligten Akteuren: Dem Land Hessen in der gemeinsamen Trägerschaft des Staatstheaters, der städtischen Tochtergesellschaft GWG als Bauherrin, der Generalübernehmerin NÜSSLI, den weiteren beteiligten städtischen Gesellschaften, Ämtern und Eigenbetrieben, den Planungsteams, den ausführenden Baufirmen und nicht zuletzt dem Staatstheater als künftigem Nutzer. „Es ist faszinierend zu sehen, in welcher Geschwindigkeit die Interimsspielstätte des Opernhauses unseres Staatstheaters entsteht und wie auf dieser Großbaustelle, die gleichzeitig den nachhaltigen Ausbau der Quartiersinfrastruktur für Wohnungsbau zum Ziel hat, ein Zahnrad in das andere greift. Wenn das Projekt auch nur annähernd in dem ambitionierten Zeitplan bleiben sollte, dann wird der Theaterbau nicht nur ein großer Gewinn für den Kulturstandort Kassel, sondern es wäre auch ein Ausrufezeichen für die Funktionstüchtigkeit der Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure.“

Ortstermin an der Interimsspielstätte des Staatstheaters Kassel (v.li.) Uwe Gabriel (GWG), Otto Schweitzer (NÜSSLI), Intendant Florian Lutz, Oberbürgermeister Sven Schoeller und Hessens‐ Kunst‐ und Kulturminister Timon Gremmels. Stadt Kassel; Fotograf: Harry Soremski
Auch Kunst- und Kulturminister Timon Gremmels zeigt sich beeindruckt vom zügigen Baufortschritt: „Die imposanten Dimensionen des Modulbaus sind nun greifbar und machen bereits jetzt Lust auf die Herausforderung, die Interimsspielstätte mit Leben zu füllen.“
„Mit der Umsetzung dieses besonderen Projektes stehen die Stadt Kassel und das Land Hessen als Träger gemeinsam zu ihrer Verantwortung für das Staatstheater Kassel. Jeder leistet seinen Beitrag, damit auch während der Sanierungsphase des Großen Hauses das Musiktheater weiterhin eine angemessene Spielstätte hat“, so Gremmels weiter.
Visionärer Theaterbau
Für das Staatstheater Kassel beginnt ein spannendes neues Kapitel, wenn in der kommenden Spielzeit mit dem INTERIM in zentraler Lage zwischen Park Schönfeld, Auestadion und Nordhessenarena ein vollständig wandelbares Theater eröffnet wird, dessen zentraler Veranstaltungssaal mit einer Höhe von bis zu 18 Metern und einer rechteckigen Grundfläche von 27 mal 55 Metern eindrucksvolle Dimensionen hat. Umgeben von einem großzügigen Foyer und einem Containerdorf für die über 100 Backstage‐Räume, entsteht hier unter Federführung der Stadt Kassel ein visionärer Theaterneubau.
Staatstheater‐Intendant Florian Lutz: „Bei dem Versuch, Spielpläne und Theaterformen zu entwickeln, die so offen und vielfältig sind wie die demokratischen Stadtgesellschaften, in denen wir leben, stoßen wir immer wieder an die Grenzen der historischen Theaterräume, in denen wir gewohnt sind zu spielen. Trotz ihrer faszinierenden bühnentechnischen Möglichkeiten zeugen ihre frontalen Bühnenarchitekturen bis heute von den auf Repräsentation zielenden Kunstformen der autoritären Zeitalter, denen sie entstammen. Zeitgemäße Theaterprogramme aber, die von großen Opern und Konzertformaten über offene Schauspielabende und raumgreifende Tanz‐Performances bis hin zu Poetryslams, Techno‐Partys und rauschenden Bällen die Weiterentwicklung ihrer künstlerischen Genres begünstigen wollen, würden von verwandlungsfähigeren Theater‐Räumen profitieren, von multifunktionalen Kulturorten mit flexiblen bühnentechnischen Komponenten. Die Idee eines solchen Zukunftstheaters scheint sich jetzt tatsächlich zu erfüllen: Das Herz unseres INTERIMS ist eine Art ‚Salle modulable‘, die in ihren vielfältigen Bespielungsmöglichkeiten wie ein utopischer Grundraum für die Diversität heutiger Theaterformen anmutet.“

Interim, Innenaufnahme. Stadt Kassel; Fotograf: Harry Soremski
Noch ist es eine leere Halle auf Grundlage einer Stahlbaukonstruktion, doch Stück für Stück wird das Theater weiter Gestalt annehmen und schon bald soll der multifunktionale Theatersaal umgeben sein von einer umlaufenden vierstöckigen Galerie, die sowohl für Technik und Beleuchtung als auch als Spielfläche oder Träger von großen Projektionsflächen verwendet werden kann. Vor allem aber können die vier Ebenen dieser insgesamt zehn Meter hohen Konstruktion als Zuschauerränge dienen. In den hölzernen Bühnenboden wird sowohl ein Orchestergraben eingelassen, der nach Bedarf geschlossen werden kann, als auch eine große Schwerlasten‐Drehscheibe, die Dekorationen wie auch Podesterien drehen kann. Weiterhin umfasst die Planung die Möglichkeit einer Bühnenerhöhung auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine flexible Zuschauertribüne, die man in den unterschiedlichsten Konstellationen aufbauen kann. Und über der gesamten Fläche wird sich eine Obermaschinerie mit 28 Zugstangen erstrecken, die vollständige Verwandlungen auch nach oben zulassen. So soll nach entsprechendem Ausbau in einem Bespielungsblock ein Konzertsaal oder klassischer Guckkasten mit zentralperspektivischer Blickachse entstehen, in einem anderen ein immersiver 360-Grad‐Raum, in dem sich Bühnenfläche und Publikum durchmischen, und dann wieder eine riesige Arena mit Draufblick aus sich gegenüberliegenden Zuschauerrängen.
Im Sommer 2025 soll der gesamte Spielbetrieb des Opernhauses bereits auf dem Weg ins INTERIM sein, dessen Eröffnung für den 31. Oktober 2025 geplant wird – aus Bauablaufsicht ein sehr ehrgeiziges Ziel, für das es keine Garantien gibt. Da die Umsetzung einer ganzen Opernbühne sowie vor allem der Umzug von bis zu 300 Mitarbeitenden und ihren über 100 verschiedenen Arbeitsräumen nicht allein während der sechswöchigen Sommerpause zu meistern ist, hat sich das Staatstheater entschlossen, dem Publikum zum Beginn der Spielzeit im alten Opernhaus noch zwei Produktionen mit geringem bühnentechnischem Aufwand anzubieten, bis die neue Spielstätte eröffnet wird.
„Ich persönlich freue mich schon jetzt sehr auf unser INTERIM, das dank seiner räumlichen Möglichkeiten ein immersives Erleben der Zuschauenden in Aussicht stellt und Theater noch lebendiger, noch unmittelbarer und noch intensiver werden lassen könnte. Dieses innovative und nachhaltige Modelltheater könnte zugleich eine richtungsweisende Rolle in der Entwicklung der Theaterbauten insgesamt einnehmen und die mit dem Ottoneum als erstem festen Theaterbau nördlich der Alpen begonnene, bedeutende Theatergeschichte Kassels fortschreiben, die von Tradition und Innovation geprägt ist“, so Schoeller.
Bauverlauf und Ausblick
Unterschiedliche Faktoren haben den Bauverlauf bisher beeinflusst und stellenweise zu Verzögerungen geführt. So erforderte die Bodensituation vor Ort direkt zum Baustart zusätzliche Stabilisierungsmaßnahmen: Über 1.000 Rüttelstopfsäulen wurden mit einer Tiefe von bis zu zehn Metern in den Boden eingebracht, um die notwendige Tragfähigkeit sicherzustellen. Auch die winterlichen Wetterbedingungen wirkten sich aus: Aufgrund anhaltenden Frosts konnten bestimmte Fassaden‐, Dachdecker‐ und Maurerarbeiten zeitweise nicht ausgeführt werden.
Ein nächster wichtiger Meilenstein ist die Montage und Anbindung der modularen Containeranlage. Insgesamt über 160 vorgefertigte Container bilden künftig die funktionale Infrastruktur rund um das Hauptgebäude. Sie beherbergen unter anderem Künstlergarderoben, Technik‐ und Lagerräume, einen Kostümfundus, Werkstätten, Büros, Küchenbereiche, Toiletten und einen Ticketshop.
Parallel zur Montage der Containeranlagen wird der Innenausbau des Hauptgebäudes fortgeführt. Der Fokus liegt derzeit auf der Theaterhalle, deren technischer und theaterspezifischer Ausbau mit zahlreichen beteiligten Gewerken bevorsteht. Während bislang mehrere Arbeitsschritte parallel umgesetzt werden konnten, folgen die meisten nächsten Schritte – regulär – in enger zeitlicher Abfolge aufeinander. Hier entstehen bauablauftechnische Abhängigkeiten, die präzise aufeinander abzustimmen sind.
Otto Schweitzer, Senior Projektleiter NÜSSLI: „Die enge Taktung der nächsten Bauphasen erfordert pragmatische Lösungsansätze und ein hohes Maß an Flexibilität. Um trotz der knappen Zeitstruktur Fortschritte in mehreren Bereichen zu ermöglichen, erarbeiten wir aktuell eine technische Lösung, die Parallelarbeiten in der Theaterhalle erlaubt. Normalerweise können der Bühnenboden im unteren Bereich und der sogenannte Schnürboden – die obere Technikebene über der Bühne, von der aus zum Beispiel Bühnenbilder und Beleuchtung gesteuert werden – aus baulichen und sicherheitstechnischen Gründen nur nacheinander bearbeitet werden. Mithilfe eines temporären Zwischenbodens könnten beide Ebenen sicher voneinander getrennt und somit zeitgleich ausgebaut werden. Diese Maßnahme würde es erlauben, mehrere Fachbetriebe und damit auch mehrere Gewerke zeitgleich einzubinden.“
GWG‐Geschäftsführer Uwe Gabriel: „Diese Herangehensweise zeigt, wie mit technischem Verständnis und vorausschauender Planung auf die aktuellen Rahmenbedingungen reagiert wird. Mit großer Dankbarkeit möchte ich die lösungsorientierte und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unserer Generalübernehmerin NÜSSLI hervorheben.“
Einige Arbeiten können erst nach Abschluss der baulichen Hauptgewerke beginnen. Dazu zählen unter anderem die Installation der Licht‐ und Tontechnik sowie die finale Abstimmung der Raumakustik, die erst erfolgen kann, wenn der Innenausbau vollständig abgeschlossen ist.
„Das Zusammenspiel aus anspruchsvollen Vorgaben für Versammlungsstätten und der auf Wiederverwendung konzipierten modularen Bauweise macht die Umsetzung besonders komplex. Das gesamte Projektteam arbeitet mit großem Engagement und setzt weiterhin alles daran, den verbleibenden Zeitraum bis zur geplanten Eröffnungspremiere so effizient wie möglich zu nutzen“, so Schweitzer.
Schoeller, Gabriel und NÜSSLI‐COO Stefan Sekiguchi, der am Donnerstag nicht in Kassel sein konnte, sind sich einig: „Trotz aller Herausforderungen zeigt sich schon jetzt, wie in kurzer Zeit eine leistungsfähige Interimsspielstätte entsteht – ein herausforderndes Großprojekt, das dem Engagement aller Beteiligten zu verdanken ist.“
Bau der Interimsspielstätte hat Quartiersentwicklung eingeleitet
Von Beginn an wurde der Theaterbau und dessen Erschließung nicht isoliert gedacht, sondern als integrierter Teil der städtebaulichen Transformation des Areals Jägerkaserne I. Ziel war und ist es damit, nicht nur den Theaterbetrieb sicherzustellen, sondern im Hinblick auf Leitungsanlagen und Straßenführung bereits eine spätere Umnutzung des gesamten Geländes – in erster Linie mit Wohnbebauung – vorzudenken sowie Wohnungsbau, der flächenmäßig bereits jetzt, parallel zum Theater, denkbar ist, zu ermöglichen.
So befinden sich die Erschließungsarbeiten in vollem Gange: Sämtliche Ver‐ und Entsorgungsleitungen (Fernwärme, Strom, Daten, Trinkwasser, Abwasser) werden auf engstem Raum koordiniert, kollisionsfrei geplant und teilweise schon verlegt, neue barrierefreie Zugangsbereiche geschaffen, Straßen gebaut bzw. ertüchtigt und Beleuchtungsanlagen aufgestellt.
Exerzierhalle als neuer Baustein im Gesamtprojekt
Betritt man das Areal der Jägerkaserne I, fällt schnell die ehemalige Exerzierhalle ins Auge. Das einstige Militärgebäude – seit 2022 im Eigentum der Stadt Kassel – steht bereits seit Jahren leer und ist deutlich sanierungsbedürftig. Im Zuge der angestoßenen Quartiersentwicklung ist es nur konsequent, sich auch diesem Ort zu widmen – aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht, aber auch um den weiteren Verfall der denkmalgeschützten Halle mit historischem Charme zu verhindern. Das Hochbauamt der Stadt Kassel hat kürzlich die GWG beauftragt, notwendige Instandsetzungsarbeiten an der Gebäudehülle ausführen zu lassen, da eine weitere Baustelle im Areal engste Abstimmung und Koordination mit dem Theaterbau erfordert.
Die Exerzierhalle könnte, beispielsweise mittels eines in die Halle eingestellten Baukörpers (Raum‐in‐Raum‐System), die begrenzten gastronomischen Möglichkeiten der Interimsspielstätte erweitern und zugleich dem Quartier und der Quartiersentwicklung zugutekommen.
Schoeller abschließend: „Theaterbau und Quartiersentwicklung bedingen und befördern sich hier auf beispielgebende Weise gegenseitig. Nicht zuletzt wird die Kultur das neue Quartier schon von Beginn an mitformen und prägen. Das Staatstheater setzt Impulse für urbanes Leben, ermöglicht Teilhabe und stellt Identifikation der Menschen mit ihrer Stadt und schließlich auch mit ihrem Quartier her.“

Geplantes Rampenbauwerk als Zuwegung. Grafik: Stadt Kassel
Zwei weitere Zuwegungen zur Interimsspielstätte in Vorbereitung
Ergänzend zum Hauptzugang aus der Ludwig‐Mond‐Straße wird es zwei weitere, fuß‐ und rad‐verkehrsfreundliche Zugänge geben. So ist geplant, das Gelände der ehemaligen Jägerkaserne direkt an den Park Schönfeld anzubinden. Eine neue Wegeverbindung wird hierfür in Form eines Rampenbauwerks (baumschonende Wegetrasse) vom Gelände der Jägerkaserne zur Frankfurter Straße geschaffen, um die Besuchenden des Theaters zur Tram‐Haltestelle Park Schönfeld oder alternativ zum PKW‐Parkplatz auf dem HNA‐Gelände an der Frankfurter Straße zu bringen. Dort wird das Parken ermöglicht: zu Aufführungszeiten stehen dank einer Vereinbarung zwischen GWG und HNA 200 Parkplätze zur Verfügung.
Zudem ist ein neuer Zugang auf Höhe der Auestadionkreuzung geplant, um das Theater auch über die ÖPNV‐Haltestelle Auestadion noch besser anzubinden. Hier wird über den vorhandenen Geh‐/Rad‐weg der Ludwig‐Mond‐Straße die vorgelagerte Grundstücksmauer geöffnet und ein großzügiger, barrierefreier Zugangsbereich zum Areal geplant und für den Bau vorbereitet.
Weitere Informationen zum Projekt: