Kyotos Badehäuser
Ob zuhause, in natürlich heißen Quellen oder öffentlichen Badehäusern – im warmen Wasser ist die Anspannung des japanischen Alltags wie weggewaschen.
Das tägliche Baden ist ein wichtiger Bestandteil der japanischen Kultur. Heutzutage haben die meisten Japanerinnen und Japaner Badewannen in den eigenen vier Wänden. Als es noch nicht so war, gab es in jeder Nachbarschaft Badehäuser, die Sentos genannt werden. Dort trafen sich die Menschen aus der Gegend und ließen gemeinsam den Tag ausklingen. Noch heute sind viele der alten Gebäude erhalten und werden vor allem von der älteren Bevölkerung gerne genutzt. Als ich zwischen 2023 und 2024 ein Auslandssemester in Kyoto machte, bemerkte ich, dass es in der Stadt besonders viele Badehäuser gab und beschloss diese nach und nach zu erkunden. Dafür besuchte ich ein paar Mal im Monat unterschiedliche Sentos.
Ein entspannter Unterschlupf
Die meisten Badehäuser haben bis ein oder sogar zwei Uhr nachts geöffnet und bieten sich für einen spontanen Besuch am Abend an. An einem Winterabend fing es plötzlich an in Strömen zu gießen und da ich ohne Regenschirm unterwegs war, beschloss ich, die Zeit, bis der Regen sich beruhigte, in dem nächst-gelegenen Sento zu überbrücken. Nachdem ich die Schiebetür am Eingang zur Seite schob, kam mit direkt der Duft von Seife entgegen. Hell beleuchtete eine gelbe Lampe den Eingangsbereich, es war warm und der Sento-Mitarbeitende grüßte freundlich, Guten Abend. Ich zog meine Schuhe aus und stellte sie in eines der hölzernen Schließfächer, die genau die richtige Größe für zwei Turnschuhe hatten. Dann ging ich zu dem lächelnden, älteren Herrn am Schalter, um für den Eintritt und ein Leihhandtuch zu zahlen. „Was ist mit Schampoo und Duschgel?“ fragte ich, während ich das leise Surren des Getränkekühlschranks hinter der Theke wahrnahm. „Gibt es beides drinnen im Waschbereich“, bekam ich als Antwort. „Ich wünsche Ihnen einen entspannten Aufenthalt!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und schlüpfte unter dem roten Vorhang hindurch in den Frauenbereich.
Der Boden des Umkleidezimmers war mit Matten aus gepresstem Reisstroh, die Tatami genannt werden, verlegt und im Raum befanden sich einige Sitzgelegenheiten. An einer Wand waren größere Schließfächer und geflochtene Körbe für die Kleidung und an der anderen Wand standen ebenso geflochtene Hocker vor Spiegeltischen, die mit Föhns ausgestattet waren. Abgesehen von einer Mitarbeiterin, die den Raum durchfegte, war die Umkleide leer. Vor der dicken Glasschiebetür, die zum Wasch- und Baderaum führte, waren einige Waschbecken aus denen kaltes Wasser floss, zusätzlich gab es einen Trinkbrunnen. Mein Handtuch wickelte ich mir um den Kopf um die vielen Regelschilder „Keine Haare oder Handtücher ins Wasser!“ „Erst waschen dann baden!“ „Nicht in den Becken tauchen!“ zu befolgen.
Von warmen und kalten Wassern
Einen Fuß vor den anderen setzend, um nicht auszurutschen, begab ich mich in den Waschbereich des gefliesten Raumes. Beim Reingehen nahm ich mir einen Hocker und eine Waschschüssel. Zwei Reihen von beschlagenen Spiegeln, daneben ein Duschkopf und jeweils einem Hahn für kaltes und warmes Wasser befanden sich auf Kniehöhe des Waschbereichs. Einige ältere Frauen schäumten sich gründlich die Haare ein, aber da alle mit sich selbst beschäftigt waren, gab es mir ein Gefühl von Privatsphäre. Nach dem Duschen begab ich mich in eines der warmen Becken. Zwischen 40,5 und 43 Grad waren die Temperaturen des Badewassers erstmal gewöhnungsbedürftig heiß und ich stellte fest, dass schon ein Grad bei heißem Wasser einen großen Unterschied machte. Dennoch tat es gut, sich nach dem ungemütlichen Wetter draußen aufzuwärmen. Als ich nach dem Baden, noch ganz warm, zurück in den Eingangsbereich ging und mein Handtuch zurückgab sah ich, dass es noch immer stark regnete und bestimmt noch kälter war. Seufzend drehte ich mich zum Getränkekühlschrank und fragte mich, warum Japanerinnen und Japaner nach dem Baden meistens Milch tranken. Unter den Reihen von Glasflaschen mit Milch befanden sich auch andere Getränke und ich griff nach einer Limonade mit einer kleinen Zitrusfrucht auf dem Glasboden. Mit dem Getränk in der Hand begab ich mich zum Schuhregal als der Herr an der Theke bemerkte, dass ich keinen Regenschirm dabeihatte. Ohne lange darüber nachzudenken, reichte er mir einen der durchsichtigen Regenschirme. Auf einem Aufkleber am Griff stand der Name des Sentos: „Tama no Yu“, Juwelenbad. „Das ist eine Rettung! Den bringe ich auf jeden Fall zurück!“, bedankte ich mich erleichtert und freute mich über den guten Grund zum Wiederkommen.
Frischer Wind für alte Sentos
Viele Badehausbesitzende sind mittlerweile, genau wie ihre Einrichtungen, in die Jahre gekommen. Die Badehäuser kommen in allen Formen und Farben vor. Einige sind ganz unscheinbar, im Untergeschoss von Wohngebäuden, andere bestehen aus Holz, was ein sehr beliebtes Baumaterial in Japan ist und wiederum andere haben tempelartige Eingangsbereiche mit geschwungenen, verzierten Holz-Dächern. An dem Vorhang mit der Aufschrift „Yu“, was Heißwasser bedeutet erkennt man ein Sento am einfachsten. Da das Renovieren der Gebäude sich für die älteren Betreiberinnen und Betreiber oft nicht lohnt, droht die Badehauskultur auszusterben, zumal immer weniger junge Menschen Badehäuser nutzen. Umso überraschter war ich, als ich die 28-Jährige Sakura traf, die zusammen mit ihrem Freund Niwa ein altes Badehaus am Kamo Fluss in Kyoto übernahm und ihm ein neues Image gab. Sie ist in Tokio aufgewachsen und war als Kind mit ihrer Mutter ungefähr einmal im Monat im Badehaus, bis sie irgendwann älter wurde und mehr mit ihren Freundinnen und Freunden unternahm. Während ihres Studiums ging sie mit ihren Kommilitoninnen in sogenannte Super Sentos. Becken mit verschiedenen Badesalzen kombiniert mit Massageliegen, Whirlpools und Saunen schaffen Wellnessoasen, die über einfache Badehäuser hinausgehen. Als beliebter Ausflugsort sind Super Sentos ein Lösungsansatz, um jüngere Generationen für die Badekultur zu begeistern. Bei ihren Ausflügen bemerkte Sakura, dass die traditionellen Badehäuser, die sie als Kind mit ihrer Mutter besuchte, etwas Besonderes waren. Sie stellte sich vor, wie sie als Oma in einem solchen, alten Sento arbeiten würde. Nach dem Studium arbeitete Sakura in einem Bürojob. Doch sie fand ihre Arbeit langweilig und wünschte sich, etwas anderes zu machen. Eines Tages sah sie in den Sozialen Medien einen Beitrag eines 24-jährigen Badehausbesitzers, der auf der Suche nach neuen Mitarbeitenden war. Plötzlich begriff Sakura, dass sie nicht bis zu ihrer Rente warten musste – sie konnte schon jetzt in einem Sento arbeiten und sich selbst für den Erhalt dieser alten Badehäuser einsetzen!
Ein lebhaftes Nachbarschaftsprojekt
Zwei Jahre später, nachdem sie als Mitarbeiterin in verschiedenen Badehäusern die Pflege und Instandhaltung in Form von kleinen Reparaturen, die Beheizung und das Management erlernte, bekam Sakura eine großartige Gelegenheit. Die Betreiber des alten Badehauses am Kamo Fluss, der durch das Stadtzentrum von Kyoto fließt und nach den vielen Wildenten, die sich darin aufhalten benannt wurde, wollten bald in den Ruhestand gehen. Sakura wusste sofort, dass sie das Sento mit dem Namen Kamogawa-Yu übernehmen wird. Bevor die alten Betreiber das Sento an Sakura übergaben, kam sie oft als Besucherin zum Baden vorbei und schaute sich ihren baldigen Arbeitsort genau an. Sie beobachtete welche Besuchenden zu welcher Zeit vorbeikamen, welche Fliesen verlegt waren und welche Getränke verkauft wurden. Nach einem heißen Bad trinken die Besuchenden zum Beispiel gerne Milch für die Revitalisierung der Haut und auch die Flüssigkeitszufuhr. Mit jedem Besuch plante Sakura die Umgestaltung der Lobby und des Waschbereichs. Im Sommer 2023 war es so weit: Die Neu-Eröffnung vom Kamogawa-Yu stand an. Seitdem betreiben Sakura und Niwa das kleine, liebevoll eingerichtete Sento mit Sauna am Kamo Fluss. Alle dreißig Minuten heizen sie den Ofen, der das Wasser in den Becken erwärmt mit Holz auf und haben fast jeden Tag bis spät in die Nacht geöffnet. Das neue, junge Image gefällt den Leuten. Manchmal bringen Kundinnen und Kunden dem Paar als Dankeschön Essen vorbei. Sakura hat sich extra die Haare rosa gefärbt, um von den älteren Gästen auf der Straße wiedererkannt zu werden. „Mir ist es wichtig eine Verbindung mit den Menschen aus dem Stadtteil aufzubauen! In Zukunft plane ich deshalb Musikveranstaltungen, Ausstellungen und Projekte mit anderen Läden! Mein Ziel ist es mit dem Kamogawa-Yu und gemeinsam mit anderen unseren Stadtteil lebhafter zu machen!“
Text und Illustration:
Maria Bisalieva
Diesen Artikel auch zu lesen in der StadtZeit-Ausgabe 120, Sommer 2024
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