Leyla und Meryem gehören dazu!
Zwei Kasselerinnen leben seit Jahren in der Stadt, doch eine dauerhafte Perspektive wird ihnen verwehrt.
„Alle werden gebraucht und alle gehören dazu“ schreibt die Stadt Kassel in ihrem Integrationskonzept 2019. Weltoffen und vielfältig präsentiert sich die documenta-Stadt.
Doch was sich als schöner Werbespruch eignet, verschwimmt schnell beim näheren Blick auf die tatsächlichen Lebensrealitäten vieler Kasseler*innen: Schon seit 30 Jahren in Deutschland, seit bald zehn Jahren in Kassel und trotzdem nicht offiziell geduldet und dadurch in vielerlei Hinsicht entrechtet – das beschreibt in wenigen Worten die Lage von Leyla und ihrer Mutter Meryem Lacin.
Die beiden im Vorderen Westen lebenden Frauen haben keinen Zugang zu regulärer medizinischer Versorgung. Leylas Erwerbsbeschäftigung bei einem sozialen Träger wird kriminalisiert und keine Behörde scheint bereit, Verantwortung für die Zukunft der beiden übernehmen zu wollen. Ihnen wird es verwehrt, dort zu wohnen, wo sie ihre Arbeit, ihre Freund*innen haben. Sie erhalten weder Ausweispapiere, noch eine Arbeitserlaubnis. Ursächlich dafür sind die restriktiven Migrations- und Asylgesetze Deutschlands, aber auch das Handeln lokaler und regionaler Behörden. Dieses ist so langsam und intransparent, dass es den von den behördlichen Entscheidungen betroffenen unfassbar schwer gemacht wird, ihre Rechte wahrzunehmen. Die Geschichte von Leyla und Meryem ist kein Einzelfall. Insbesondere Kurd*innen, die in der Türkei politisch verfolgt werden, verwehrt der deutsche Staat den notwendigen Schutz.
Wie viele andere musste auch die Familie Lacin 1988 aufgrund der türkischen Kriegshandlungen gegen die kurdische Zivilbevölkerung ins Exil fliehen und lebt seither durchgehend in Deutschland. Seit August 2011 sind sowohl die Mutter Meryem als auch ihre Tochter Leyla in Kassel sesshaft geworden. Doch weil sie zunächst in Bayern angekommen waren, hat sich ein Ränkespiel der organisierten Verantwortungslosigkeit zwischen den Behörden in Bayern und Kassel entwickelt: Die bayrischen Behörden sind ohne Erklärung untätig und die Kasseler Behörden verweisen beständig darauf, nicht zuständig zu sein. Aufgrund der Untätigkeit und widersprüchlichen Handlungen der Behörden in Bayern und Kassel haben weder Leyla noch Meryem in der langen Zeit ihres Lebens in Deutschland gültige Aufenthaltspapiere erhalten. Sie leben damit in einem rechtlosen Status.
Die Unsicherheit und Perspektivlosigkeit, die mit dieser Situation einhergeht, ist psychisch und physisch belastend. Im Fall von Meryem ist sie sogar akut lebensbedrohlich. Sie überlebte bereits mehrere Herzinfarkte und Schlaganfälle und muss sich momentan zuhause ohne ärztliche Versorgung auskurieren. Leyla kommt seit über fünf Jahren selbstständig für den Lebensunterhalt beider auf. Sie verfügt über eine Sozialversicherungsnummer und zahlt regelmäßig Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträge.
Doch nun wird auch noch Leylas Arbeit beim fab e.V. – dem Verein zur Förderung der Autonomie behinderter Menschen in Kassel – kriminalisiert. Durch die Kasseler Ausländerbehörde wurde der Zoll vor Kurzem von Leylas Tätigkeit beim fab e.V. informiert, die dem Verein hohe Strafen wegen illegaler Beschäftigung auferlegt. Der Zoll argumentiert, dass Leyla keine Arbeitserlaubnis habe. Er hat darüber hinaus angedroht, weitere solcher Forderung zu stellen, wenn keine Kündigung erfolgt. Leylas Arbeit wird von ihrem Arbeitgeber sowie Kolleg*innen sehr geschätzt und ist für die Unterstützung von Menschen mit Behinderung absolut zentral. Trotzdem wird der fab e.V. durch das Handeln des Zolls gezwungen, Leyla gegen seinen Willen zu kündigen. In Zeiten einer grassierenden Pandemie, die den unverzichtbaren Status von Pflege- und Assistenzarbeit deutlich vor Augen führen, wird damit eine erfahrene Arbeitskraft aus ihrem Beruf gedrängt. Ein Arbeitgeber aus dem wichtigen sozialen Bereich wird darüber hinaus vor massive finanzielle und soziale Probleme gestellt
Die Kasseler Stadtgesellschaft gibt viel auf ihre Diversität. Doch längst nicht alle Menschen, die in Kassel leben, arbeiten und sich einbringen, wird dies durch das deutsche Rechtssystem auch erlaubt. So geht es auch Leyla und ihrer Mutter Meryem.
Es hat sich daher ein Kreis von Freund*innen und Unterstützer*innen gegründet, der den beiden versucht zu helfen, in dieser Situation zu bestehen. Zusammen fordern sie, dass die Behörden den Fall bearbeiten und beiden Frauen eine Aufenthalts- sowie Arbeitserlaubnis ausstellen, sodass sie weiter in Kassel leben können. Auch Leylas Kolleg*innen setzen sich dafür ein, dass sie und ihre Mutter bleiben können.
Dafür gibt es auch eine Petition, die unterschrieben und geteilt werden kann, damit die beiden endlich ohne Angst und mit einer Perspektive ihr Leben in Kassel gestalten können und Leyla ihre Tätigkeit beim fab e.V. wiederaufnehmen kann: http://www.leyla-meryem-bleiben.org/
Denn: Leyla und ihre Mutter gehören dazu – ohne jeden Zweifel!
Pressemitteilung der “Initiative für Leyla und Meryem”
Im Podcast “Zwischenfunken” berichtet Leyla über ihre Situation. >>Hier hören