Rund 200 Gäste, darunter Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Kaufungen, Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindegremien, der Kirchengemeinden sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger nahmen teil an der Veranstaltung im Sandweg 1, vor dem letzten selbstgewählten Wohnsitz von Heinrich Träbing.
Die Idee für die Stolpersteine hatte der Künstler Gunter Demnig bereits im Jahr 1992: Die 96 x 96 x 100 Millimeter großen Messingplatten, die in einen Betonblock gegossen werden, markieren den letzten frei gewählten Wohnort der Betroffenen und beginnen stets mit den einleitenden Worten „Hier wohnte“. Bis heute liegen 116.000 Stolpersteine in 31 europäischen Ländern, damit ist es das größte dezentrale Mahnmal der Welt.

Rund 200 Gäste kamen zur Stolpersteinverlegung. Foto: Geminde Kaufungen
Ein Zeichen des Gedenken an die Opfer
Bürgermeister Arnim Roß betonte, dass die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit in Kaufungen Tradition habe und eine fortwährende Aufgabe bleibe. „Die Stolpersteine, die wir heute verlegen, sind ein Zeichen unseres Gedenkens an die Verfolgten und Opfer. Sie rufen dazu auf, diese Erinnerung lebendig zu halten, uns der Gefahren bewusst zu sein und der Notwendigkeit, diesen entgegenzutreten“, so der Verwaltungschef. Mit den Stolpersteinen werde das Schicksal der fünf Kaufunger Opfer im Ortsbild sichtbar gemacht. Angesichts des aktuellen Anwachsens faschistischer Bewegungen in Deutschland und Europa sei solche Erinnerungsarbeit nicht hoch genug einzuschätzen. „Wehret den Anfängen!“ rief er auf – ein Appell zur Wachsamkeit und Verantwortung gegenüber den Gefahren von Intoleranz und Hass.
Hauke Homeier, Museumsleiter und Mitinitiator des Projekts in Kaufungen, berichtete eindrucksvoll von den fünf Einzelschicksalen und erinnerte an das unermessliche Leid, das sie im Dritten Reich ertragen mussten: Siegmund Cohn betrieb in einem Haus in der Leipziger Straße 401 in Oberkaufungen einen kleinen Manufakturladen. Während der Reichspogromnacht im November 1938 wurde sein Haus mit Steinen beworfen. Cohn öffnete die Tür und wurde von der Sturmabteilung, kurz SA, geschlagen und in Schutzhaft genommen. Es folgten Jahre der Verfolgung und Unterdrückung, bis der Witwer jüdischen Glaubens im September 1942 schließlich in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde und zwei Monate später angeblich an Entkräftung verstarb.

Hauke Homeier, Museumsleiter des Regionalmuseums und Initiator der Veranstaltung. Foto: Gemeinde Kaufungen
Die Geschichte der Brüder Cohn
August Cohn trat schon früh in die Sozialistische Arbeiterjugend ein. In den 1920er Jahren wechselte Cohn zur kommunistischen Jugend und wurde schließlich 1932 Teil der Bezirksleitung. In 1932 nahm er am Sturm auf das Bürgermeisteramt in Oberkaufungen teil, bei dem Erwerbslose mit Gewalt die Auszahlung der Unterstützungsgelder erzwingen wollten.
Im Frühjahr 1933 wurde August Cohn in Untersuchungshaft genommen und 1933 aus der Kasseler Untersuchungshaft der SA übergeben. Diese brachte ihn nach Oberkaufungen und trieb ihn, rückwärts auf einem Ochsen sitzend, mit einem Schild um den Hals, auf dem „Staatsverbrecher Cohn“ zu lesen war, durch den Ort.
Nach seiner Verurteilung wegen hochverräterischer Unternehmungen, verbüßte er eine zweijährige Haftstrafe in Hameln. Aus dem Gefängnis entlassen, wurde er umgehend wieder verhaftet und erlebte die Zeit bis 1945 in verschiedenen Konzentrationslagern: Esterwegen, Sachsenhausen, Dachau, und Buchenwald. 1945 wurde er aus dem KZ Buchenwald befreit. 1946 wanderte er in die USA aus.
Wie sein Bruder August war auch Erwin Cohn in der Kommunistischen Jugend aktiv. 1933 wurde er verhaftet und am 1934 zu einer Haftstrafte wegen hochverräterischer Unternehmungen verurteilt, die er bis 1935 in der Haftanstalt Hameln absaß. Einen Tag nach seiner Entlassung wurde er vom örtlichen Gendarm in sogenannte Schutzhaft genommen und kam in das KZ Lichtenberg. Bis Kriegsende war er in verschiedenen Konzentrationslagern, u.a. Dachau und Buchenwald. Nach dem Krieg nahm er den Mädchennamen Köhler an und lebte bis zu seinem Tod 2002 in Kassel. Der letzte selbstgewählte Wohnort aller drei Cohns war die Leipziger Straße 401.

Die Stolpersteine für Erwin, August und Siegmund Cohn. Foto: Gemeinde Kaufungen
Heinrich Träbing und Anna Wettlaufer
Ähnliche, nicht minder grausame Schicksale ereilten auch Heinrich Träbing und Anna Wettlaufer: Als Mitglied der KPD setzte sich Träbing nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten für Familien von politischen Gefangenen aus der Arbeiterschaft ein. Durch seinen Aktivismus wurde die Polizei auf ihn aufmerksam, die ihn verhaftete und im Kasseler Polizeigefängnis misshandelte. Dort wurde er ermordet, seiner Frau wurde mitgeteilt, er hätte einen Herzschlag erlitten. Sie konnte schließlich erreichen, seine Leiche vor der Einäscherung zu begutachten und auf diese Weise eindeutig feststellen, dass er erschlagen worden war. Träbings letzter selbstgewählter Wohnort war der Sandweg 1. Anna Wettlaufer litt an einer psychischen Erkrankung und wurde zunächst nach Merxhausen in einer Heil- und Pflegeanstalt und anschließend in Eichenberg untergebracht. Von dort aus wurde sie im Rahmen der „Aktion T4“ in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Hadamar verlegt. Die Aktion T4 diente dazu, sogenanntes „lebensunwertes“ Leben zu vernichten und so einerseits den Staat von finanziellen Belastungen zu entbinden und andererseits die Fortpflanzung zu verhindern. Anna Wettlaufer kam am 4.7.1941 in Hadamar an und wurde noch am selben Tag in der dortigen Gaskammer ermordet. Ihr letzter selbstgewählter Wohnort war die Windhäuser Straße 20.
Musikalisch und mit eigenen inhaltlichen Beiträgen rundeten Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Kaufungen die Gedenkveranstaltung ab. Die Musikklasse 9b trug als Streichensemble unter der Leitung von Cirsten Baacke bewegende Stücke vor, die die Atmosphäre der Veranstaltung unterstrichen.
Simon Rombach, ein Schüler der 10. Jahrgangsstufe, die sich im Vorfeld intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hatten, reflektierte seine persönlichen Eindrücke „Mir erschien die NS-Zeit immer so weit weg, aber das ist sie gar nicht. Sie ist nah dran und durch die aktuellen Entwicklungen rückt sie immer weiter heran.“

Bild 6: Die Schülerinnen und Schüler der Musikklasse 9b der Integrierten Gesamtschule Kaufungen, die die Veranstaltung musikalisch rahmten. Foto: Gemeinde Kaufungen
Im Rahmen des Kaufunger Friedenspfades sind die Stolpersteine ein weiteres Gedenkprojekt, das die Erinnerung wach hält und als Mahnmal für die Zukunft dient.