Zu Pferd von Nordhessen bis ins Elsass
Drei Frauen, drei Pferde, vier Wochen Zeit: Heike Dippel, Petra Jordan und Gundula Zeitz haben sich einen Traum erfüllt und sind im September von Nordhessen bis ins Elsass geritten. Rund 500 Kilometer legten sie zurück – und erlebten einen unvergesslichen Altweibersommer.
Waaas? So lange – und so weit?!“ Anfangs ernten die drei Frauen noch ungläubige Blicke, wenn sie Freunden und Verwandten erzählten, was ihr Plan für September 2021 ist. Start in Kelze im Landkreis Kassel. Ziel: Elsass, Frankreich. 21 Etappen, Ruhetage sind auch eingeplant, zwischen 15 und 35 Kilometer pro Tag, durch den Habichtswald, Kellerwald, Burgwald, Westerwald, Taunus, Pfälzerwald. Ohne Trossfahrzeug, das Gepäck am Pferd. „Abholen lassen wir uns am 2. Oktober, mit dem Hänger“. „Nee, oder??“ – „Doch!!“ – „Echt jetzt?! Aber … ihr seid doch auch nicht mehr die Jüngsten … “ Gemein, auch wenn’s schon irgendwie stimmt – aber frau ist so jung, wie sie sich fühlt. Und: Wenn nicht jetzt, wann dann? „Ja – aber warum?“ Nun, DAS können auch nur Nicht-Reiter*innen fragen.
Abschalten vom Alltag. Entspannen. Sich auf einen ganz anderen Rhythmus einlassen: „Zeitdruck, Stress und Hektik sind schnell vergessen, wenn man mit dem Pferd unterwegs ist“, sagt Heike Dippel (57), unterwegs mit Appalosa-Wallach Dakota (11) „Bei kaum einer anderen Gelegenheit lernen sich Pferd und Reiterin so gut kennen wie bei einem Wanderritt, denn man verbringt ja den ganzen Tag zusammen“, erklärt Petra Jordan (61), zu ihr gehört Tinker-Stute Coby (10). „Den ganzen Tag draußen an der frischen Luft zu sein, die Natur hautnah zu erleben, die Schönheit der Landschaft zu genießen – auch das macht für mich das Wanderreiten aus“, ergänzt Gundula Zeitz (57), unterwegs mit Fjord-Wallach Haldir (11).
Die drei Frauen kennen sich über ihr gemeinsames Hobby: Petra Jordan und Heike Dippel, die auch Berittführerin, Geländerittführerin und Übungsleiterin ist, reiten seit ihrer Kindheit und halten seit mehr als 30 Jahren Pferde, Gundula Zeitz hat mit Ende 30 über eine Reitbeteiligung wieder angefangen – und hat sich Haldir zum 50. Geburtstag geschenkt.
Aufwendige Routenplanung
Es war Heike Dippel, die vor gut eineinhalb Jahren die Idee zu dem gemeinsamen Wanderritt hatte, vier Wochen, einfach mal raus. Die Udenhäuserin, die gemeinsam mit ihrem Mann Ottmar eine Pferdewaage betreibt, mit der die beiden bundesweit unterwegs sind, musste nur wenig Überzeugungsarbeit leisten: Petra Jordan, die in Grebenstein einen Pflegedienst betreibt, und Gundula Zeitz, selbstständige Redakteurin und PR-Beraterin in Kassel, waren begeistert. „Natürlich wussten wir damals noch nicht, ob das überhaupt klappt, es war ja noch mitten im Corona-Lockdown, als wir die ersten Pläne schmiedeten – aber einen solchen Ritt muss man gut vorbereiten, das dauert seine Zeit“, sagt Heike Dippel.
Zunächst galt es, Quartiere zu finden, meist Wanderreitstationen, die darauf eingerichtet sind, nicht nur Menschen, sondern auch Pferde zu beherbergen. Tatsächlich gibt es ein bundesweites Netz solcher Stationen. Zudem konnten die Dippels ihre zahlreichen Kontakte zu Pferdehaltern nutzen. Dann musste die Route ausgearbeitet werden: „Wir haben die App Komoot genutzt und uns Stellen, die schwierig werden könnten – wie Bundesstraßen- oder Bahnschienen-Überquerungen oder Autobahn-Untertunnelungen –, über Google Earth genauer angeschaut“, sagt Dippel. Aber ist das Reiten überall erlaubt? „Das ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt, in Hessen darf man zum Beispiel auf Straßen und festen Waldwegen reiten, die mindestens zwei Meter breit sind, außerdem auf gekennzeichneten Waldwegen“, erklärt Jordan.
Intensives Training
„Wir haben auch die Pferde trainiert, das hat jede von uns ein bisschen anders gehandhabt“, sagt Zeitz. „Ich habe für Haldir Ende 2020 einen richtigen Trainingsplan geschrieben und über den Winter zum Beispiel gezielt an seiner Rückenmuskulatur gearbeitet, an der Aktivierung der Hinterhand, der Trittsicherheit. Im Frühjahr kamen dann immer mehr Ausritte dazu, dabei ging es mir dann auch darum, Kraft und Kondition aufzubauen“, erklärt die 57-Jährige. „Und ich habe mich selbst vorbereitet, habe Gymnastik und Pilates gemacht, bin viel gejoggt und gewandert, denn bei einem Wanderritt geht man ja auch viel zu Fuß, man muss selbst auch fit sein“, ergänzt sie.
Los geht es dann schließlich am 3. September, von Kelze nach Neu-Berich oberhalb des Twistesees führt die erste Etappe. Dann Basdorf oberhalb des Edersees, Bottendorf im Burgwald, Wetter-Oberrosphe, Gladenbach-Frohnhausen, Bellersdorf, Löhnberg, Beselich-Hünstetten …
„Dichte Laubwälder, windgepeitschte, baumlose Hochebenen, wuchtige Basaltkegel, verwunschene Seen, Feuchtwiesen, Moore und Auenwälder, aber auch Magerrasen und Heideflächen: Seit Tagen erleben wir, wie vielfältig und abwechslungsreich die hessischen Wälder sind. Einige große Waldgebiete haben wir auf unserer Tour nun schon gestreift: Habichtswald, Kellerwald, Burgwald, Westerwald – in jedem lassen sich schützenswerte Besonderheiten entdecken. Immer wieder stoßen wir auf Natur- und Landschaftsschutzgebiete…“, schreibt Gundula Zeitz in einem Reisebericht. „Übrigens: Hessen ist in Sachen Wald zusammen mit Rheinland-Pfalz Spitzenreiter in Deutschland: Rund 42 Prozent des Bundeslandes sind von Wald bedeckt – das sind mehr als 894.000 Hektar. Unvorstellbar! Ein Fußballfeld entspricht ungefähr einem Hektar, also sind das … naja: immer noch unvorstellbar. Aber wunderschön … Wir genießen die Ruhe in den Wäldern, manchmal begegnen wir stundenlang keinem einzigen Menschen, dafür entdecken wir jede Menge Tierspuren“.
„Die Pferde sind ein Türöffner“
Begegnungen gibt es in den Dörfern, die die drei passieren: „Die Pferde sind ein Türöffner“, sagt Heike Dippel. Ältere Menschen bleiben stehen, sprechen die drei an: „Wie schön, wir hatten auch mal Pferde …“, und dann erzählen sie von früher. Da ist der junge Handwerker, der gerade von der Arbeit kommt und den Reiterinnen, die ihre Pferde am Wegesrand grasen lassen, Wasser anbietet, da sind die Radfahrer, die am Brunnen rasten und sich die Route beschreiben lassen. „In Dauborn haben wir auf einem Hof gefragt, ob wir unsere Trinkflaschen auffüllen dürfen“, erzählt Heike Dippel, „der Besitzer Holger Becker und seine Freunde waren gerade dabei, die Scheune für ein großes Fest vorzubereiten. Wir haben dann nicht nur Wasser, sondern auch Kaffee und ein frisch gezapftes Bier bekommen – und wir mussten den Dauborner Korn probieren“. Dauborn, ein Ortsteil der Gemeinde Hünfelden im mittelhessischen Landkreis Limburg-Weilburg, gilt als „Schnapsbrenner-Hochburg“, so jedenfalls erzählt es Becker den Reiterinnen.
Von Beselich-Hünstetten geht es nach Wiesbaden-Frauenstein, oberhalb des Rheins. Für die Überquerung des Flusses bekamen die Reiterinnen Unterstützung von ihren Männern, die mit dem Pferdehänger kamen: „Den Rhein zu Pferd zu überqueren wäre schwierig gewesen: Die großen Straßen- und Autobahnbrücken kamen natürlich nicht infrage und auf den Fähren werden Pferde nicht unbedingt mitgenommen“, sagt Petra Jordan. „Unsere Männer haben uns dann ein Stück hinter dem Rhein in den Weinbergen wieder ausgesetzt“, schmunzelt sie.
Unerwartete Hilfe
Weiter geht’s in Rheinland-Pfalz: Planig, Altenbamberg, Wartenberg-Rohrbach, Trippstadt, Darstein … hier wäre die Reise für Gundula Zeitz fast zu Ende gewesen: „Bei Haldir war vorne ein Hufeisen locker, der Hufschmied, den unsere Vermieterin Melanie Reiss organisiert hatte, konnte es nicht mehr befestigen. Ohne Hufschutz – Hufeisen oder sogenannte Hufschuhe aus Kunststoff, die eine Profilsohle haben und dem Pferd vor dem Ritt angezogen und nachher wieder ausgezogen werden – kann man eine solche Tour aber nicht machen. Ich hatte schon überlegt, wie ich die Rückreise organisiere – da haben uns drei Frauen aus Bayern geholfen, die mit ihren Pferden in unserem Quartier ein paar Tage Urlaub gemacht hatten und am nächsten Tag abreisen wollten. Sie hatten jede Menge Hufschuhe dabei – und ein Paar hat tatsächlich gepasst“, erzählt Zeitz. Der Fjordwallach lief also vorne mit Hufschuhen weiter, „er musste sich erst ein bisschen daran gewöhnen, deshalb bin ich erst viel zu Fuß gelaufen, aber bald ging es super.“
Der kleine Weiler St. Germanshof unmittelbar an der Grenze ist die letzte Station vor dem Elsass. Die drei übernachten in der Wanderreitstation von Julia Arnswald. „Nach einem ausgiebigen Frühstück in St. Germanshof brechen wir am späten Vormittag Richtung Frankreich auf. Eigentlich ein Katzensprung: Der Bach am Ende von Julias Weiden ist die Grenze. Doch die Brücke, die wir ins Auge gefasst hatten, ist wegen Baggerarbeiten gesperrt. Und auch durch den Bach geht es an der Stelle nicht weiter. Wir suchen uns über unsere App einen anderen Weg … aber der wird eine echte Herausforderung für uns – und für die Pferde“, schreibt Gundula Zeitz in ihrem Reisebericht.
„Wir sind stolz auf unsere Pferde“
„Wir steigen ab und führen, als aus dem Weg ein schmaler Pfad wird… Er wird so eng, dass es irgendwann kein Zurück mehr gibt. Rechts geht es steil bergauf, links steil bergab. Hochkonzentriert kämpfen wir sechs uns Schritt für Schritt durch das Gestrüpp, eine gefühlte Ewigkeit … Am Ende dauert es vielleicht eine halbe Stunde, bis wir eine passierbare Brücke und eine Furt erreichen. Frankreich! Wir sind alle erschöpft, machen erstmal Pause. Dakota, Coby und Haldir schlafen auf der Stelle ein. Wir sind unglaublich stolz auf unsere Pferde! Für uns ist es ein sehr emotionaler Moment, nach 22 Tagen und fast 400 km sind wir nun in Frankreich. Am Nachmittag erreichen wir Lembach im Elsass …“
Im Elsass werden die Etappen kürzer: „Wir haben das extra so geplant, um die Pferde wieder abzutrainieren“, erklärt Heike Dippel. Obersteinbach, Equelshardt – das ist schon Lothringen, hier haben die Freundinnen ein Blockhaus gemietet, bleiben ein paar Tage, erkunden die Gegend zu Fuß. Von Eguelshardt geht es noch einmal zurück nach Obersteinbach, dann nach Merkwiller-Pechelbronn und schließlich nach Schleithal, wo sich die drei mit ihren Pferden wie geplant am 2. Oktober abholen lassen.
Es war ein unbeschreibliches Erlebnis, darüber sind sich die drei Frauen einig. „Unter dem Strich hat alles gut geklappt. Es war manchmal eine Herausforderung, aber wir haben uns durchgebissen – und darauf können wir stolz sein“, meint Heike Dippel. „Ich habe viel über mein Pferd gelernt – zum Beispiel, dass es noch gelassener und souveräner ist, als ich dachte“, schmunzelt Gundula Zeitz. Fazit der drei: „Wir würden es wieder tun!“