Nicaragua und Zentralamerika mit Kind erleben
Ein Reisebericht von Kristina Gruber und Thomas Schwander
Von Mitte Dezember 2022 bis Mitte März 2023 verbringen wir – Thomas, Kristina und Finn – unsere Elternzeit in Nicaragua und Zentralamerika. Mit dem Rucksack und den öffentlichen Verkehrsmitteln bereisen wir Städte, Strände und Naturschutzgebiete.
Vor 13 Jahren waren wir das erste Mal in Nicaragua. Wir, Kristina (38) und Thomas (38), haben 2010 ein Semester an der Universität in León studiert. Kristina hat zudem über den DAAD Deutsch unterrichtet. Wir haben uns beide in das Land verliebt. Nun wollen wir es wieder bereisen, diesmal als Familie mit Finn, unserem sechsjährigen Sohn. Wir haben dafür drei Monate Elternzeit genommen. Mit zwei Wanderrucksäcken, je 40 Liter, und einem Kinderrucksack machen wir uns auf den Weg.
Nicaragua ist ein einfaches Land mit einer revolutionären Geschichte. Die aktuelle politische Situation ist jedoch kritisch. Wir entscheiden uns daher, erstmal nach Costa Rica zu fliegen. Mitte Dezember 2022 geht unser Flug. Im Gegensatz zu Nicaragua ist Costa Rica eines der reichsten und sichersten Länder Zentralamerikas, aber auch sehr teuer. Die erste Zeit ist für Finn nicht einfach, er vermisst seine Freunde. Gleichzeitig macht es ihm riesigen Spaß mit den Wellen zu spielen und zu schnorcheln. Costa Rica hat tolle Strände. Die Strände an der Pazifikküste sind bei Surfern sehr beliebt. Die schwarz-weißen Strände auf der Karibikseite eignen sich besonders gut zum schnorcheln. Wir müssen uns auch um- bzw. einstellen von täglicher Erwerbsarbeit auf 100 Prozent Freizeit und viel Zeit zu dritt. Wir akklimatisieren uns in einer Ferienwohnung direkt am Strand, dort stoßen für zwei Wochen Freunde aus Deutschland zu uns. Weihnachten verbringen wir unter einer Palme statt einem Tannenbaum. Wir machen auch erste Bekanntschaft mit Brüllaffen, Kolibris, Leguanen und Pelikanen.
Strände Nicaraguas und eine Jungle Bowl
Anfang Januar reisen wir mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, in sogenannten „Chicken Buses“, nach Nicaragua. Das sind ausrangierte amerikanische Schulbusse, die auf dem Dach auch mal Hühner oder Schweine transportieren. Die erste Station ist San Juan del Sur, nicht unweit zur Grenze von Costa Rica im Süden Nicaraguas. Der nahe gelegene Strand „Playa Maderas“ ist einer der schönsten Strände Nicaraguas. Wir verbringen die Tage am Strand, leihen Surfbretter aus und erkunden die Umgebung. Während wir Eltern wieder Schritt für Schritt unsere Spanischkenntnisse auffrischen, ist die Sprache für Finn das Schwierigste. Häufig wird er angesprochen und kann die Sprache weder verstehen noch antworten. Wir buchen uns also bewusst in einem von einer deutschen Familie mit drei Kindern geführten Hostel ein. Außerdem gibt es dort eine „Jungle Bowl“ zum Skaten. Genau das richtige für Thomas und Finn, die auch in Kassel oft am Skaten sind. Finn kommt mit den Kindern ins Spiel und übt sich im Reise-Small Talk mit den deutsch sprechenden Gästen. Da ist zum Beispiel Marvin, der gerade im Hostel als Freiwilliger arbeitet und die Monate davor durch Zentralamerika gereist ist. Andere fliehen aus dem kalten Deutschland und besuchen Nicaragua aufgrund der Strände und zahlreichen Vulkane. Besonders beliebt ist das Vulkanboarding am Cerro Negro in der Nähe von León oder ein Besuch auf der Isla Ometepe, die größte Vulkaninsel in einem Süßwassersee.
Granada, Laguna de Apoyo und eine Vulkantour
Nächste Station: Die Stadt Granada am Lago de Nicaragua. Der Nicaraguasee ist der größte Binnensee in Mittelamerika und liegt im Südwesten Nicaraguas. Granada ist die drittgrößte Stadt und im kolonialistischen Stil erbaut. Die Stadt ist auch bei den Einheimischen als Ausflugsort sehr beliebt. Bereits Ende Januar sind viele Unterkünfte für die Ostertage ausgebucht. Dank heller LED-Beleuchtung kann man mittlerweile abends bis vor zur Seepromenade laufen. Vor 13 Jahren war es dort noch zu unsicher. Wir übernachten bei Valeria in der gleichnamigen Hospedaje Valeria. Diese lebt dort mit ihrem Bruder Alejandro. Uns wird in Erinnerung bleiben, wie dieser mehrmals am Tag ruft: „Hola Finni, como estas?“ Mittlerweile weiß auch Finn, dass das bedeutet „Hallo Finni, wie geht es dir?“
In Granada lernen wir Sergio kennen, mit dem wir am letzten Tag der Schulferien einen Ausflug zur Laguna de Apoyo machen. Mit dabei, seine achtjährige Tochter Anna. Ohne viele Worte spielen Finn und Anna den ganzen Tag gemeinsam im Wasser. Wir machen Feuer und Freunde von Sergio fangen Fische mir der Harpune, dazu gibt es Kartoffeln und Knoblauch aus der Glut.
Die Laguna de Apoyo ist ein Kratersee, an dem wir später noch ein paar Tage länger verbringen und wo Finn schwimmen lernt. Insgesamt stehen diese Tage unter dem Motto Vulkane. Nicaragua hat viele davon.
Wir besuchen den Vulkan Masaya, in dem die Lava brodelt, bei Nacht, besteigen den mit Urwald bedeckten Vulkan Mombacho
und paddeln zwischen den Isletas de Granada, die im Nicaraguasee liegen und nach einem Ausbruch des Vulkan Mombacho entstanden sind. An diesen Orten begegnen uns viele verschiedene Vögel und bunte Schmetterlinge.
Die Stadt León und Schildkröten(eier)
Schließlich geht es wieder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in den Nordwesten Nicaraguas, nach León und an die nahegelegenen Strände. Wir schwelgen in Erinnerungen. Hier haben wir die meiste Zeit unseres Auslandssemesters vor 13 Jahren verbracht. Viel hat sich nicht verändert. Nur wir trinken weniger Nica libre – ein Getränk aus dem nationalen Rum namens Flor de Caña (span. für Blüte des Zuckerrohrs) gemischt mit Wasser oder Cola.
León ist eine der wärmsten Städte in Nicaragua. Zu dieser Jahreszeit kann es über 40 Grad warm werden. Bald ziehen wir weiter an die Strände Las Peñitas und Los Brasiles. Finn freundet sich immer mal mit anderen deutschen Backpackern an, diesmal mit Felix und Paul aus Berlin. Die beiden sind Anfang dreißig und verbringen ihren Jahresurlaub in Nicaragua. Sie spielen Tischtennis und Fußball, der Abschied von ihnen fällt unserem Sohn schwer. Wir übernachten in der Surfing Turtle Lodge, ein Hostel das zugleich Auffangstation für Schildkröteneier ist. Die werden sonst als Delikatesse verkauft. Kurz vor der Abreise haben wir Glück und begleiten frisch geschlüpfte Schildkröten auf dem Weg ins Meer. Das bewegt uns sehr.
Die Stadt Matagalpa und der Kaffee
Nächste Station: Die Stadt Matagalpa nördlich von der Hauptstadt Managua und das weitere zwei Stunden entfernte Naturschutzgebiet Macizos de Peñas Blancas. Das Klima ist mild, die Natur wunderschön, die Menschen herzlich. Wir kommen auf der Finca von Don Chico und seiner Familie unter, schlafen in einer Hütte inmitten von Kaffeepflanzen. Don Chico erklärt uns die tägliche Arbeit mit dem Kaffee. Die Preise sind gerade niedrig. Um sich abzusichern, vermietet die Familie seit ein paar Jahren auch Zimmer. Der über 80-jährige will uns auf den Gipfel der vor uns aufragenden Nebelberge führen. Aber es regnet zu viel, ungewöhnlich viel für diese Jahreszeit. Eigentlich ist gerade Trockenzeit auf der Seite des Pazifiks. Trockenzeit ist in der Regel von November bis April und Regenzeit zwischen Mai und November. Alle sprechen von einem Wetterphänomen, das aus Nordamerika kommt. Auf der anderen Seite, der Karibik, regnet es fast das ganze Jahr über.
Ein ehemaliger Deutschschüler und die Politik
Vom Norden Nicaraguas aus wollen wir Richtung Südosten zum Río San Juan. Spontan machen wir einen Zwischenstopp in der Hauptstadt Managua und besuchen einen ehemaligen Schüler von Kristina, der mittlerweile 80 Jahre alt ist. Wir sprechen über Politik. Seit einer Protestwelle 2018 gegen die Regierung des Präsidenten Daniel Ortega und dessen Frau, Vizepräsidentin Rosario Murillo, geht das Regime massiv gegen Kritikerinnen und Kritiker vor. Fast alle nicht-staatlichen Organisationen wurden verboten, Oppositionelle werden bedroht, verhaftet und ins Exil gezwungen. Auch hohe Kirchenvertreter sind von der Repression betroffen. Kristinas Schüler betont, dass er trotzdem immer noch Sandinist ist – also Mitglied der regierenden, politisch links orientierten Partei Frente Sandinista de Liberación Nacional. Doch nicht (nur) aus Überzeugung, sondern auch aus Angst vor Gefängnis und Enteignung. Er sagt, das wolle er in seinem Alter nicht mehr riskieren. Er und seine Frau laden uns ein, über Nacht zu bleiben. Wir fahren in ihr Haus in einer „gated community“ – eine geschlossene und bewachte Wohnanlage, die in den Ballungszentren Nord- und Südamerikas häufig zu finden sind und vor allem für besser situierte Familien eine übliche Wohnform darstellen. Dort kümmern sich zwei Hausfrauen, zwei Gärtner und ein Fahrer um das in die Jahre gekommene Paar. Ein kurzer Einblick in den Wohlstand des durchweg armen Landes.
Das Leben am Grenzfluss und auf der Insel
Nach sechsstündiger Bus- und zweistündiger Bootsfahrt kommen wir im Südosten Nicaraguas in El Castillo am Río San Juan an. Der Grenzfluss zwischen Nicaragua und Costa Rica. Bis heute ist umstritten, wo genau die Grenze verläuft und es kommt immer wieder zu Streitigkeiten zwischen Nicaragua und Costa Rica. Finn freundet sich mit dem sechsjährigen Adrian an, der gegenüber vom Hostel wohnt. Sie spielen Billard, Lego und Fangen. Immer mal gibt es Gelegenheit in das Dorfleben einzutauchen, ob beim Friseur, dem Platz gegenüber der Kirche, am Hafen oder auf dem Sportplatz. Das Leben hier ist langsam und autofrei. Von dort fahren wir weiter zu einem Seitenfluss, dem Río Bartola. Dort lebt eine Gemeinschaft von 26 Familien. Sie versorgen sich weitestgehend selbst, verkaufen Kakao. Wir verbringen eine Nacht im Zelt, schwimmen im Fluss, unternehmen Touren ins Reserva Indio-Maiz und in die Gemeinschaft. Zurück in El Castillo lernen wir Hans kennen. Der 79-jährige Schweizer besitzt eine der Inseln im Archipélago de Solentiname, das im Südosten des Nicaraguasees liegt und durch einen der bedeutendsten Dichter Nicaraguas, Ernesto Cardenal, Bekanntheit erlangte. Hans lädt uns zu sich ein. Er lebt dort unerwartet einfach. Er initiiert Aufforstungsprojekte auf den Inseln und unterstützt die Familien. Seit zwei Jahren gibt es Dank eines Solarpanels auch Strom, ein landesweites Programm des Präsidenten, mit dem dieser die unabhängige Stromversorgung fördert. Wir bleiben vier Nächte und haben einen atemberaubenden Blick auf die Vulkane der Isla Ometepe am anderen Ende des Lago Nicaragua.
An den Karibikstränden von Costa Rica und Panama
Unsere letzten drei Wochen verbringen wir an der Karibikküste. Die Strände um Puerto Viejo de Talamanca in Costa Rica sind traumhaft schön. Mit geliehenen Rädern fahren wir die Küste ab. Besonders gut gefällt uns der Strand an der Punta Uva. Wir toben in den warmen Wellen und entdecken Faultiere. Während wir diese Worte schreiben liegen wir auf der Terrasse unseres Stelzenhauses auf der Inselgruppe Bocas del Toro in Panama. Vor uns glasklares Wasser und ein Korallenriff. Wir schnorcheln mit Fischen in allen Farben, sehen Seesterne, Tintenfische und einen schwarzen Rochen mit weißen Punkten.
Oh, wie schön ist Panama.
Nun sind wir wieder zurück in Kassel. Wir haben uns auch wieder auf zu Hause gefreut und Finn besonders auf seinen besten Freund Juri. Zurück in Kassel bauen die beiden erstmal Lego.
11.08.2023
Bilder aus dem Reisearchiv und ein Reisebericht von Kristina Gruber und Thomas Schwander
Weiteres über die Reise in Nicaragua und auch Infos über die Planung von Eltrenzeit lesen Sie auch im StadtZeit Kassel Magazin,
Ausgabe 116, Juni/Juli 2023