Sehnsucht nach Stille
Kolumne zum achtsamen Sein
Von Lärmverschmutzung und unserem Bedürfnis nach Ruhe
Gefühlt wird die Welt immer hektischer und lauter. Das Bedürfnis nach Ruhe ist so groß, dass Angebote von stillen Seminar-Orten, Schweigekursen und Klostern wie Pilze aus dem Boden schießen. Stille ist heutzutage ein Verkaufsschlager geworden! Müssen wir wirklich in die Ferne reisen, um zur Ruhe zu kommen? Wir alle kennen wahrscheinlich den Umstand, dass wir ruhebedürftig von der Arbeit nach Hause kommen und alles andere als Stille vorfinden. Selbst auf dem Balkon oder im Garten finden wir stattdessen Baulärm, laute Rasenmähgeräusche, Lärm von Grillfesten und irgendwo telefoniert immer jemand laut im Freien. Diese Sehnsucht nach Ruhe hat dabei durchaus ihre Berechtigung. Das Umweltbundesamt zählt Gehörschäden, Bluthochdruck, Herzinfarkte und sogar erhöhte Blutzuckerwerte zu den möglichen Folgen chronischer Lärmbelastung, weil der Körper bei einer solchen sein Stressverarbeitungssystem hochfährt, wodurch der nervtötende Lärm gesundheitsschädigend wird.
Angst vor der Stille?
Laut einer Umfrage des Instituts Allensbach sind 75 Prozent der Bürgerinnen und Bürger davon überzeugt, dass der Umgebungslärm jedes Jahr zunimmt. Früher war die Welt auch nicht gerade leise. Der Lärm der Kutschen die über das Kopfsteinpflaster holperten, und Vieles mehr, war eben auch nicht gerade leise. Heute kommt zum Lärm aber noch die Reizüberflutung, die Rastlosigkeit und das Verhalten von uns oftmals hektischen Menschen dazu. Es ist doch verrückt, dass die meisten Menschen sich nach Ruhe und Stille sehnen und das Gegenteil finden. Wo können wir die heilsame Stille, von der auch bei Achtsamkeitstrainings immer die Rede ist, noch finden und ist diese Stille tatsächlich auch immer heilsam? In Kirchen, im Wald, im Urlaub, auf dem Örtchen oder im Ruhebereich der Bahn suchen die Menschen nach Stille. Kündige ich im Rahmen eines Achtsamkeitskurses an, dass der Achtsamkeitstag in Stille, also im Schweigen stattfindet, berichten manche Kursteilnehmer, dass sie Angst davor haben. Carl Gustav Jung, ein Schweizer Psychiater gibt zu bedenken: „Der Lärm schützt uns vor peinlichem Nachdenken, er zerstreut ängstliche Träume, er versichert uns, dass wir ja alle zusammen seien und ein solches Getöse veranlassen, dass niemand es wagt, uns anzugreifen.“ Vielleicht haben die Menschen unbewusst Angst davor, dass der innere Lärm erst durch die Stille hörbar wird. Von einer Kindergärtnerin und einer Grundschullehrerin habe ich erfahren, dass in den letzten vier Jahren, die Unruhe bei den Kleinsten zugenommen hat und damit auch das Weinen und Schreien. Die schreienden Kinderseelen könnten so etwas sein, wie ein Spiegel, der uns zeigt, dass in unserer Gesellschaft etwas nicht stimmt.
Die Kraft der Ruhe nutzen
Dabei kann Stille so heilsam sein! Friedrich Nietzsche schrieb: „Die größten Ereignisse – sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden.“ In einem Zustand der Stille sorgen Neurotransmitter, also Botenstoffe, die als Verbindungsstelle zwischen den Nervenzellen fungieren, für einen inneren Entspannungszustand. Um das Heilsame in der Stille zu erfahren, braucht es Raum und Zeit – und manchmal sogar Übung. Brauchen wir eine neue Anti-Lärm-Bewegung, wie sie 1908 durch Theodor Lessing ins Leben gerufen wurde? Zu einem gewissen Grad ist es möglich, den Lärm-Stress nicht durch eigene Wutgedanken noch zu vermehren. Die Wut, die entsteht, wenn wir uns über den Lärm aufregen, können wir achtsam beobachten und wenn es uns gelingt, sie nicht zu bewerten, haben wir wenigstens nicht noch zusätzlichen Stress aufgrund unserer negativen Gedanken aufgebaut. Gleichwohl finde ich es wichtig, Lösungen zu finden, wie wir die Lärmverschmutzung grundsätzlich reduzieren können. Hier ist vielleicht die ganze Gesellschaft gefragt. Je früher wir ein Bewusstsein für Ruhe entwickeln, desto eher kann sie unser Leben bereichern. In Dänemark gibt es bereits Achtsamkeit in den Lehrplänen von Grundschulen mit dem Ergebnis, dass die Kinder lernen, sich zu entspannen, und ruhiger werden. Um den Herausforderungen unserer Zeit lösungsorientiert begegnen zu können, sind wir gut beraten die Kraft, die in der Ruhe liegt, zu nutzen. Soren Kierkegaard, ein dänischer Philosoph drückt es so aus: „Wenn alles still ist, geschieht am meisten.“
Kolumne von Eva Metz
Die Liebe zur Natur, das Interesse an Ernährungsthemen und die Schulung der Achtsamkeit prägen Ihr Leben. Als studierte Oecotrophologin und MBSR-Achtsamkeitslehrerin ist es Ihr ein Anliegen, die Begeisterung und das Bewusstsein für eine vitale Lebensweise bei Ihren Klienten zu wecken.