Whiskey und Wodka an der Werra
“Immer wieder freitags…”: Die Serie des Vereins der Gäste- und Museumsführer in Kassel und Region e.V.
Auf den Spuren von deutscher Trennung und deutscher Einheit
Unterwegs auf einem Weg aus Lochbetonplatten zwischen Bäumen, bergauf, im Sommer fast zugewuchert. Dann begleitet ein Zaun den Weg, etwas rostig, aber durchgehend. Da öffnet sich das Gelände zu einem schmalen Wiesengrund, das Gras kurz geschnitten, dazu ein akkurater Sandstreifen, ein kleiner Beobachtungsbunker taucht auf, schließlich thront ein großer Wachturm oben auf der Hangkante: die Grenzanlagen der DDR sind wieder gegenwärtig.
Oberhalb von Bad Sooden-Allendorf liegt das Grenzmuseum Schifflersgrund. Hier wird nicht nur ein Stück der Grenzanlagen inklusive Kfz-Sperrgraben und Spurensicherungsstreifen erhalten – Fotos und alte Zeitungsausschnitte dokumentieren die deutsche Trennung hier vor Ort und erinnern an den Fluchtversuch von Heinz-Josef Große 1982, der dabei erschossen wurde.
Was überall an der innerdeutschen Grenze Realität war, hatte hier im Werrabergland eine besondere Schärfe. Von einem Tag auf den anderen gehörten im September 1945 die benachbarten Orte Sickenberg und Asbach sowie Vatterode und Weidenbach – allesamt hessisch – plötzlich zur Sowjetischen Besatzungszone. Werleshausen und Neuseesen dagegen wurden der Amerikanischen Besatzungszone zugeschlagen. Der Friedhof von Sickenberg, nur zwanzig Minuten vom heutigen Grenzmuseum entfernt, lag nun direkt an der Grenze. Bei Beerdigungen konnten Verwandte aus Allendorf nur vom Zaun aus zuschauen. Gespräche zwischen Verwandten waren nicht möglich, und erlaubte ein Kommandant sie dennoch, wurde er wenige Tage später strafversetzt.
Grund für den Gebietstausch war die Bahnlinie von Bebra nach Göttingen, die im Bereich der thüringischen Dörfer Werleshausen und Neuseesen ein Stück durch die Sowjetische Besatzungszone lief. Obwohl der Krieg bereits vorbei war, beschossen sowjetische Soldaten die Züge, ein Lokführer kam ums Leben. Angeregt von den Amerikanern, die auf die wichtige Bahnverbindung nicht verzichten wollten, kam es zu einem Treffen des amerikanischen Brigadegenerals William Thaddeus Sexton und des russischen Generalmajors Wassili S. Askalepov. Ort der Verhandlungen war Wanfried, etwas weiter die Werra aufwärts hinter Eschwege gelegen – genauer der Kalkhof, heute ein Gutshof mit Pferden, Schafen und Ferienwohnungen. Am 17. September 1945 wurde der Gebietstausch vereinbart, der dafür sorgte, dass die Bahnlinie durchgehend durch amerikanisches Gebiet verlief. Die militärischen Herren besiegelten ihre Vereinbarung mit Alkohol: Whiskey von amerikanischer Seite, Wodka von sowjetischer. Die Bahnverbindung wurde nach dem Wanfrieder Abkommen daher scherzhaft »Whiskey-Wodka-Linie« genannt. Im Keudellschen Schloss in Wanfried befand sich bis vor kurzem das Dokumentationszentrum der Deutschen Nachkriegsgeschichte.
Mittendrin in Deutschland, von Kassel nur einen Tagesausflug entfernt, wird also die Geschichte der deutschen Trennung erlebbar. Aber auch die deutsche Einheit, im Oktober vor 30 Jahren vollzogen: ganz unmittelbar ablesbar am Gesicht der Landschaft, als ein Prozess. Der Grenzstreifen – wegen der gestaffelten Anlage ursprünglich 50 bis 200 m breit – verbindet heute als »Grünes Band« die ehemals getrennten Teile. Dieser größte Biotopverbund Deutschlands mit einer Länge von 1.400 km wurde von Umweltschützern, insbesondere dem BUND, sowie von Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung der DDR angeregt und durchgesetzt. Das Grüne Band ist heute sichtbar als Grünstreifen zwischen Ackerflächen, als Schneise im Wald (freigehalten von Schafen und Ziegen, um das spezielle Biotop zu erhalten) oder auch als gemischter Pionierwald zwischen dem homogenen alten Waldbestand, zum Beispiel oberhalb von Lindewerra.
Der Abschnitt im Werrabergland und Eichsfeld, in der Hessischen Schweiz, gehört zu den schönsten des Grünen Bandes. Die Schutzgebiete reihen sich wie Perlen aneinander und auch die Premiumwanderwege: P 16 bei Asbach-Sickenberg, P 4 bei Hitzelrode, P 5 an der Plesse bei Wanfried und einige mehr. Zahlreiche Aussichtspunkte erlauben eine weite Perspektive von den Kalkfelsabbrüchen über das Werratal hinüber ins Ringgau und zum Hohen Meißner, manchmal auch schwindelerregende Tiefblicke.
Nach der Wanderung laden schmucke Orte an der Werra, viele mit reichen Fachwerkbauten, zum Abendessen ein – vielleicht ja auch zu einem Glas Whiskey oder Wodka.
© Text und Fotos: Diana Rothaug
Literatur
Reiner Cornelius: Vom Todesstreifen zur Lebenslinie. Eichsfeld – Werrabergland. Mensch und Natur am Grünen Band Deutschland, hg. vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Thüringen, Niederaula: Auwel-Verlag, 2009
Museen
Grenzmuseum Schifflersgrund, https://www.grenzmuseum.de/ (zuletzt abgerufen 19.7.2020)
Heimatmuseum Wanfried (mit Dokumentationszentrum der Deutschen Nachkriegsgeschichte), https://www.wanfried.de/kultur-freizeit/museen/heimatmuseum-wanfried/ (zuletzt abgerufen 19.7.2020)
Filmbeitrag
Karl Brunnengräber (Offener Kanal Kassel): Die Whiskey Wodka Linie – Erinnerungen an eine deutsch-deutsche Grenze, 41:01 min, https://www.mediathek-hessen.de/index.php?ka=1&ska=medienview&idv=7161 (zuletzt abgerufen 19.7.2020)
Immer wieder freitags…
In einer E-Mail an seine Mitglieder schrieb der Vorstand der des Vereins der Gäste- und Museumsführer in Kassel und Region e.V.: “Nachdem nun auch die Wasserspiele bis auf Weiteres abgesagt wurden und tatsächlich nicht abzusehen ist, dass es in den nächsten Wochen Führungen geben wird, haben wir uns im Vorstand überlegt, wie wir diese Zeit dennoch sinnvoll nutzen können. So ist die Idee entstanden, dass wir ab sofort jeweils freitags eine Persönlichkeit, ein Objekt in einem Museum, eine Pflanze oder auch einen etwas unbekannteren Ort vorstellen.”
Gesagt, getan.
Die mittendrin dokumentiert diese Beiträge, in denen sich die Expertise der Gästeführerinnen und -führer zu Kassel und der Region widerspiegeln.
Kontakt/Info:
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