„Das Los als Jude ist unerträglich.“
Von Wolfgang Matthäus
Sechs neue Stolpersteine im Vorderen Westen
Flucht in den Tod“ heißt es auf drei von sechs neuen Stolpersteinen, die am 19. September im Vorderen Westen zur Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus verlegt wurden. Levi Katz, der in der Querallee 36 wohnte, ertränkte sich bereits im Mai 1933 im Asch im Bergpark, nachdem die Nationalsozialisten vor allem auch in Kassel den Terror gegen politische Gegner und Juden entfacht hatten. Seine Schwägerin, die Witwe Anna Katz, erhängte sich im April 1937 in ihrer Wohnung in der Prinzenstraße 10 (Pestalozzistraße). Die verwitwete Eigentümerin des Hauses Kaiserstraße 73 (Goethestraße), Bertha Katz, kam dem Schicksal von mehr als 20 ihrer Mieter zuvor, die von Kassel aus in den Tod deportiert werden sollten – darunter auch Levi Katz‘ Witwe Johanna und sein Sohn Arthur. Sie starb im April 1941 an einer Überdosis Veronal-Tabletten. „Motiv: Lebensüberdruss“ heißt es in ihrer Sterbeurkunde.
Von einem lebenswerten Leben waren Jüdinnen und Juden allerdings schon lange ausgeschlossen. Wie Levi Katz hatten viele die Hoffnung darauf bereits früh aufgegeben. Die einsame Anna Katz schrieb 1937 in ihrem Abschiedsbrief: „Ich kann nicht mehr weiterleben. Das Los als Jude ist unerträglich.“ Und Dr. Felix Blumenfeld, viele Jahre Nachbar von Levi Katz, schrieb zum Abschied an seine Kinder im Januar 1942 von einer „Welt der Gemeinheit, Niedertracht und Unmenschlichkeit“, einer „Hölle“, wo es „ehrbarer und charaktervoller“ sei, „lieber freiwillig als ein Toter aus dem Haus getragen zu werden, als von den Schergen der Gestapo hinausgejagt zu werden“. Mit dem Freitod entzogen sich Menschen der totalitären Allmacht eines Staates, der selbst noch in den Konzentrationslagern jeden Versuch zu dieser Form der Selbstbestimmung zu verhindern suchte, weil er sich selbst die Entscheidung über Leben und Tod vorbehalten wollte.
Auch für Leon Boczkowski, für den nun an der Breitscheidstraße 3 ein Stolperstein liegt, bedeutete die Errichtung der NS-Herrschaft das Ende eines lebenswerten Lebens und den Beginn eines lebenslangen Leidens. Als Mitglied der Kommunistischen Partei 1933 verhaftet, wurde er 1934 zu einer Haftstrafe verurteilt, nach deren Verbüßung sich die willkürliche „Schutzhaft“ in mehreren Konzentrationslagern anschloss: in Lichtenburg, Buchenwald, Dachau und Flossenbürg. Am 20. April 1945 von amerikanischen Soldaten befreit, sollte er von dem Erlittenen nie wirklich befreit werden. Im Gedenkblatt für seinen Onkel schreibt Jochen Boczkowski: „Leon Boczkowski hat 138 Monate in 9 Haftstätten bei ständiger Ungewissheit und Todesangst hinter sich. Sie haben Spuren hinterlassen. Ein langwieriger und nervenaufreibender Kampf um Entschädigung, Rentenzahlung und Kostenübernahme für Heilbehandlung und Klinikaufenthalte schließt sich an. Er stirbt am 7.10.1976 in Kassel.“
Alle Verlegorte von Stolpersteinen in Kassel und die entsprechenden Biografien finden Sie auf www.kassel-stolper.com.
Wolfgang Matthäus ist Mitglied im Vorstand des Vereins Stolpersteine in Kassel und in der regionalen Sprechergruppe von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.
Stolpersteine für Johanna, Levi und Arthur Katz
(Querallee 36/Ecke Goethestraße).