Das Spiel mit der Meinungsfreiheit
Eine jüngst veröffentlichte Umfrage ergab, dass 45 Prozent der Befragten Rassismuskritik für übertrieben halten und als Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit ansehen. Stellt sich die Frage, was diese Menschen unter Meinungsfreiheit verstehen.
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut unserer Verfassung. Auch Tatsachenbehauptungen werden als Meinungen geschützt – aber nur, wenn sie erforderlich sind für die Bildung von Meinungen. Nicht geschützt sind hingegen bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, also Lügen. Um was es sich im Einzelfall handelt, selbst darüber gehen die Meinungen oft auseinander.
Das haben wir immer so gemacht
Eine Politikerin des Bundestages äußerte sich beispielsweise in einem Interview zur Klimakrise. Sie war der Meinung, dass im Vergleich zu früheren Zeiten heutzutage einfach nur häufiger die Sonne scheint. Daraus schlussfolgerte sie, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gäbe und demzufolge alle Maßnahmen diesbezüglich unnötig seien. Folgt man dieser Meinung und erklärt sie zur Tatsache, kann man mit gutem Gewissen an liebgewonnenen Verhaltensweisen festhalten. Das Rasen auf der Autobahn zum Beispiel, oder der tägliche Fleischkonsum.
Ein weiteres Beispiel: In einer Diskussion über Coronabeschränkungen war ein Politiker der Meinung, es dürfe nur geringe Einschränkungen geben. In seinem Plädoyer schlussfolgerte er damals, dass die Gesundheit zwar ein hohes Gut unserer Verfassung sei, dass höchste Gut aber doch die Freiheit wäre. Tatsache scheint jedoch nur, dass sich mit dieser Meinung illegale Kneipengänge von alten Parteispezies während des Lockdowns optimal rechtfertigen lassen. Das der Markenkern seiner Partei die “Freiheit” ist scheint ebenfalls kein Zufall zu sein.
Viele Menschen wiegen sich gerne in der Sicherheit schon immer alles richtig gemacht und gesagt zu haben. Zweifel daran könnten Ängste und Unsicherheit hervorrufen. Die Einsicht der Notwendigkeit Verhaltensweisen und Gewohnheiten ändern oder gar aufgeben zu müssen käme schließlich einem Eingeständnis gleich bisher falsch gelegen zu haben. Auch die Furcht nicht mehr sicher zu sein was noch gesagt und getan werden darf steigert die Blockadehaltung. Mit Floskeln wie „Tradition“ und „Werte bewahren“ versuchen Leute an alten Gewohnheiten festzuhalten.
Politiker*innen geben vor solche „Ängste“ der Menschen ernst zu nehmen, klären sie aber nicht auf um wichtige gesellschaftliche Veränderungen voranzubringen. Stattdessen reden sie verängstigten Bürger*innen gerne nach dem Mund und vermitteln ihnen das gute Gefühl niemand müsse seine Komfortzone verlassen. Parteien gewinnen Wahlen nur mit Mehrheiten, folglich passen deren Vertreter*innen gerne ihre Meinung der aktuellen Stimmungslage an. Es gilt die größtmöglichen Schnittmengen der Mehrheitsmeinungen abzudecken.
Rassismus ist keine Meinung
Gut zu beobachten war dies bei Bundeskanzler Scholz. Ein aufgebrachter Kleingärtner war bei einer Wahlkampfveranstaltung der Meinung, dass Z-Wort sei als Namensbestandteil in seinem Lieblingsschnitzel als gutes altes traditionelles deutsches Wortgut zu verteidigen. Scholz versicherte ihm daraufhin, er dürfe auch im Falle seiner Kanzlerschaft bedenkenlos weiter das Z-Wort verwenden und es würde mit ihm als Kanzler diesbezüglich keine Vorschriften geben. Eine dringend notwendige Aufklärung über die Gewaltwirkung die vom Z-Wort ausgeht hätte diesen potentiellen Wähler wohl gänzlich vergrault. Wer will das schon im Wahlkampf?
Die Würde des Menschen
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. In dem genannten Beispiel wird den betroffenen Menschen, durch Auslegungen und Interpretationen von Meinungen über die Verwendung des Z-Wortes, dass Grundrecht auf ein würdevolles Leben vorenthalten. Verschiedene Staatsrechtler*innen sagen, dass dieses Menschenrecht das höchste Gut unserer Verfassung sei. Dies sei erkennbar, weil es vom Verfassungsgeber bewusst an die vorrangige erste Stelle gesetzt wurde. Oder ist das etwa auch nur eine Meinung?
Wert unserer Gesellschaft
Einem früheren Bundespräsidenten wird der Satz zugeschrieben: „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder verfährt.“
Dies war letztendlich auch nur die Meinung des damaligen Bundespräsidenten, aber mir stellt sich fernab aller Meinungen dann doch die Frage nach den gelebten Werten unserer Gesellschaft, wenn Minderheiten unserer Gesellschaft seit Jahrzehnten durch rassistische Fremdbezeichnungen in Apotheken-, Hotel- und Straßennamen entwürdigt werden und der Mehrheitsgesellschaft ist dies vollkommen egal.
Mit Minderheiten werden keine Wahlen gewonnen
Zum Schluss eine Meinung vom parlamentarischen Geschäftsführer der CDU in Sachsen-Anhalt die diese Haltung vollends wiedergibt:
„Wir sind der Meinung, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oft Minderheitenmeinungen stärker vorkommen als die Meinung der Mehrheit.”
Mit dieser Meinung begründete er das Anstreben seiner Partei die ARD abschaffen zu wollen.
Diese abstruse Meinung wurde aber schnell wieder zurückgenommen. Die abwegige Meinung hingegen, dass das M-Wort mit dem Familiennamen Mohr zu vergleichen wäre, diese Meinung hält sich seit Jahrzehnten.
Meinungsbildung durch Fakten
Zur Meinungsbildung über die Bedeutung diskriminierungssensibler Sprache empfehle ich den Besuch der Vortragsveranstaltung „Sprache und Rassismus – und warum wir darüber sprechen müssen“ mit Frau Professorin Dr. Susan Arndt im ruruHaus am kommenden Freitag um 19 Uhr. Zur Anmeldung geht es >>>hier.
18.04.2022
Beitrag des mittendrin Autors Thomas Hunstock
Herr Hunstock schreibt als Gastautor für die Frankfurter Rundschau, den Stern und die Berliner Zeitung