Debatte: Besuch der alten Dame – Brauchen wir noch eine Statue in Kassel?
Zwei Positionen, die sich mit der jüngsten Kasseler Statue beschäftigen, die unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit nun ihren Standort auf dem Scheidemann-Platz gefunden hat.
Meinung von Dr. Eva Schulz-Jander zu dem Monument, das Elisabeth Selbert würdigt.
Haben wir nicht schon genug? Entspricht es noch unserer Zeit Denkmäler oder Statuen zu errichten?
Die Liste der öffentlichen Kunstwerke und Denkmäler in Kassel ist lang und eindrucksvoll. Landgraf Karl auf dem Karlsplatz, Friedrich II auf dem Friedrichsplatz, Louis Spohr, Denis Pepin oder der gigantische Herkules, der alle überragt. Wirkungsvoll, Ehrfurcht gebietend stehen sie auf einem Sockel. Wir schauen auf zu ihnen, ihnen ins Gesicht blicken können wir nicht, zu hoch stehen sie über uns. Wurde Geschichte, Wissenschaft, Kunst nur von Männern bestimmt und gestaltet? Haben Frauen nichts bewegt, nichts geleistet? Es gibt sie zwar, die Statuen von Frauen, nicht für ihre Leistungen wurden sie geschaffen, sondern als Symbolträgerinnen für Tugend, Schönheit, Liebe. Wir treffen sie als Heilige in Kirchenräumen, als Nymphen und Göttinnen in Parks und Alleen, jenseits der Geschichte schweben sie in einer ewigen Gegenwart. Warum nicht auch den Leistungen von Frauen einen Platz im öffentlichen Raum schaffen, ihre Verdienste sichtbar machen? Für uns Frauen als Identifikationsfiguren.
Die Heimkehr Elisabeth Selberts als Frau aus bronze
Unser Club heißt SI-Club Kassel-Elisabeth Selbert, weil sie uns ein Vorbild ist, und wir sie und ihre Leistungen zurückholen möchten ins öffentliche Gedächtnis, aus dem sie weitgehend verschwunden war. Wir sind stolz auf ihr Vermächtnis, wollen es ehren und mit möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern teilen. Gibt es hierfür einen besseren Weg, als Elisabeth Selbert heimzuholen in ihre Stadt und so größere Aufmerksamkeit auf ihr Wirken zu lenken als eine bürgerliche Statue auf einem belebten Platz der Innenstadt?
So wurde die Idee einer Bronze-Statue geboren, der Auftrag an Karin Bormann, eine Künstlerin der Region, vergeben, Geld gesammelt, Anträge gestellt, ein Fest geplant. Es gab eine breite Unterstützung für diese Idee, bei den städtischen Behörden, bei den Bürgerinnen und Bürgern aller Parteien, finanzielle Unterstützung kam aus der ganzen Bundesrepublik. Und dann war sie fertig. Pünktlich zum 125. Geburtstag von Elisabeth Selbert schenkte der Club die Bronze Statue der Stadt Kassel Enthüllt wurde sie gleich zwei Mal, morgens vor dem Renthof durch den Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier, und nachmittags auf dem Scheidemannplatz von drei Frauen: der Kulturdezernentin Dr. Susanne Völker, der Bürgermeisterin, Ilona Friedrichs und der SI-Deutschland-Präsidentin Dr. Renate Tewaag.
Viele waren gekommen, Frauen und Männer, junge und alte, die Sonne schien und es herrschte eine ausgelassene Volksfeststimmung auf dem Scheidemannplatz, als Elisabeth Selbert, beklatscht und bejubelt, buchstäblich herabschwebte aus dem blauen herbstlichen Himmel auf die Schachbrettmuster-Platten des Scheidemannplatzes. Und als sie endlich stand, gab es Sekt, zum 125. Geburtstag einer besonderen Bürgerin unserer Stadt.
Sie steht nicht auf einem Sockel, nein sie steht nicht, sie geht, der linke Fuß setzt an für den nächsten Schritt. Sie ist in Bewegung, geht einen Schritt nach vorn, strahlt in der Bewegung Ruhe und Gelassenheit aus. Erhobenen Kopfes, den Blick nach vorn gerichtet, eine Aktenmappe in der linken Hand scheint sie direkt aus ihrer Kanzlei zu kommen, die im zweiten Stock der heutigen Handwerkskammer lag. So begegnen wir ihr, eine Frau wie du und ich; wir können ihr ins Gesicht blicken, mit ihr reden.
Jetzt, einige Wochen später, habe ich mich auf die Einfassung der Rasenfläche gesetzt und beobachtet, wie interaktiv eine Statue sein kann. Eine Frau, legt den Arm um die Statue, lächelt und macht ein Selfie; zwei junge Frauen bücken sich, lesen die kurze Erläuterung auf der Bronzeplatte und gehen diskutierend weiter; ein älterer Herr in Windjacke und tippt mit dem Finger an seine Baseballkappe, nickt ihr zu und schmunzelt.
Dialog mit einer Statue
Und ich frage mich, was die Statue ihnen wohl bedeutet, reden sie mit ihr, was mag sie ihnen sagen? Und so sitze ich und fange selbst ein Gespräch mit ihr an. Du Elisabeth hast jahrelang und gegen viele Widerstände gekämpft, Netzwerke geknüpft, bevor der einfache wirkungsmächtige Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ endlich doch ins Grundgesetz geschrieben wurde. Es lohnt sich also, für meine Visionen zu kämpfen, du bist ein Beispiel dafür. Dein Leben war nicht leicht, zwei Kinder, beim Telegrafenamt hast Du gearbeitet, warst oft die Einzige, die das Geld für die Familie verdiente, aber du wolltest mehr, hast das Abitur im Selbststudium nachgeholt, studiert, promoviert, welch Energie du hattest, immer das Ziel vor Augen. Spät, aber dennoch, wurdest du 1984 zur Ehrenbürgerin der Stadt Kassel ernannt. Ermunterst du Mädchen, und Jungen, Frauen und Männer, sich einzumischen, sich politisch zu engagieren, für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen? Mich inspirierst du auf jeden Fall.
Ein Denkmal entspricht unserer Zeit, wenn:
• es von einer breiten Mehrheit gewollt und unterstützt wird
• an Leistungen erinnert, die uns heute noch betreffen
• uns noch etwas zu sagen hat, uns anspornt
• sich Aktivitäten rundherum entwickeln können.
Treffen wir uns doch auf dem Scheidemannplatz zu einem Kaffee und einem Gespräch mit Elisabeth Selbert.
Die Meinung von Dr. Harald Kimpel zu der Monument von Elisabeth Selbert auf dem Scheidemannplatz lesen Sie >> hier
Dr. Eva Schulz-Jander, Ehrenbürgerin der Stadt Kassel und Mitglied im Soroptimist Club Kassel-Elisabeth Selbert
Auch in der StadtZeit 107, Dezember/Januar-Ausgabe zu lesen >> hier