Der Nachttisch im Garten
Eine Kurzgeschichte von Nuria Rojas Castañeda
“Das Haus ist zu klein“, das sagte sie an einem Morgen im Sommer. Sie war vor allen anderen aufgestanden und hatte sich in den Garten gesetzt und nachdem die anderen Bewohnerinnen gefrühstückt hatten, kam sie zerzaust und mit vom Tau nassen Abdrücken auf der Kleidung wieder hinein und verkündete, dass sie mehr Platz brauche. Ihre Mitbewohnerinnen wurden ihre Nachbarinnen, denn sie zog innerhalb eines Tages auf die andere Seite des Gartens. Sie trug ihr Bett hinaus, das Nachttischchen schob sie unter die Pappel und sie stellte ihren Schreibtisch und Sessel an die Straße.
Ihre Nachbarinnen beobachteten sie durch die Fenster, begegneten ihr ein letztes Mal auf dem Flur ihres ehemaligen Hauses. Sie sprachen sie an, rüttelten sie. Doch unbeirrt zog sie aus. Ihre Nachbarinnen trugen den Schreibtisch und den Sessel zurück ins Haus bevor es regnete. In der Nacht ließen sie die Tür zum Garten offen, falls ihre Nachbarin wieder zu ihrer Mitbewohnerin werden wollte. „Warten wir den ersten Regen ab. Dann wird sie wieder kommen.“ Darauf einigten sich die Bewohnerinnen des Hauses.
Der Regen kam lange nicht. Als würde er sich wehren, die Nachbarin wieder ins Haus zu treiben. Ihr eine Auszeit gönnen. Das Gras im Garten trocknete und die Blumen hingen träge wie die Äste einer Trauerweide. Das Bett stand frisch gemacht mittendrin. Die Nachbarin kam am Abend nachhause und legte sich hinein. Früh am morgen war sie fort und kam wieder, wenn es dämmerte.
Dann kam der erste Regen und bohrte sich in die trockene Erde, sammelte sich in den Kuhlen und an den Wurzeln der Pappel, unter der das Nachttischchen stand. Als das die Bewohnerinnen des Hauses bemerkten, stürmten sie mitten in der Nacht hinaus zum Bett ihrer Nachbarin. Niemand lag darin. Sie wollten zurück ins Haus, da lachte die Nachbarin unter ihrem Bett und rief ihnen zu: „Immerhin. Der Regen ist warm.“
Nuria Rojas Castañeda
Die aktuelle Kurzgeschichte auch in der StadtZeit-Ausgabe 121, Herbst 2024 zu lesen
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