Die Plukon Story und der Streik in der Fleischfabrik
Gudensberg, wenige Kilometer südwestlich von Kassel gelegen, ist vielen nur als eine Ausfahrt der A49 bekannt. Es ist ein schönes Städtchen, doch ein silbernes Gebäude am Ortsrand stört die Idylle. Der niederländische Konzern Plukon betreibt hier einen Großschlachthof, in dem pro Jahr weit über 30 Millionen Hähnchen ihr unschönes Ende finden. Wer Chicken Nuggets in der bekanntesten Schnellrestaurantkette Deutschlands konsumiert oder billige Hähnchenschenkel in bestimmten Supermärkten und Discountern erwirbt, konsumiert gewissermaßen „regionale Ware“.
Von Anfang an gab es viele Anlässe für Proteste. Als der erste Demonstrationszug der BI Chattengau vor 7 Jahren durch Gudensberg zog, war eine der Parolen „Für Mensch und Tier – kämpfen wir“. Mit den Menschen waren zwar auch die Anwohner in der Nähe des Großschlachthofes gemeint, doch schnell wurden dann die Arbeitsbedingungen der häufig osteuropäischen Leiharbeiter bekannt: Miese Löhne für Schwerarbeit, Ausbeutung durch Matrazenvermietung und Transferkosten. Ein Bischoff aus NRW sprach von „Lohnsklaverei“.
Auf der Webseite von Plukon Gudensberg wurden anfangs noch Kundenreferenzen aufgeführt (Mc Donalds, netto u.a.), doch diese verschwanden dort schnell. Offenbar wollte niemand öffentlich mit dieser Tiertötungsfabrik in Verbindung gebracht werden.
Der aktuelle Warnstreik in Gudensberg erinnert an die Ausbeutung von Mensch und Tier
Die Gewerkschaft NGG, deren Büro in Kassel für die Region Nord- und Mittelhessen zuständig ist, kämpft für die Gudensberger KollegInnen schon lange für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn. Schon im April fand auf dem Gudensberger Markplatz eine Kundgebung statt unter dem Motto „Mehr Geld, mehr Urlaub, Tarifvertrag jetzt!“. Der Kasseler Gewerkschaftssekretär Stefan Walter erklärt dazu: „Die Lohnunterschiede zwischen dem Plukon-Werken in Gudensberg und Visbek sind erschlagend. Aktuell bekommen die Kollegen am niedersächsischen Standort ganze 18,6 % mehr Lohn, mehr Urlaub und wesentlich höhere Zuschläge.“
Die Vorgeschichte dieses Warnstreiks ist bezeichnend. Es gab vier Verhandlungsrunden, in denen laut Gewerkschaft die Arbeitgeberseite nicht bereit war, ein Angebot zu machen. Stattdessen seien Mitarbeiter durch den Betriebsleiter unter Druck gesetzt worden und man habe versucht, aktive Gewerkschaftsmitglieder durch Geldzahlungen ruhig zu stellen.
NGG-Geschäftsführer Andreas Kampmann ist sauer: „Wenn Plukon inhaltlich nicht auf uns zukommen möchte, rücken wir gerne näher an sie heran. Wenn es dazu längere Streikmaßnahmen braucht sind wir dazu bereit.“
Unternehmerisches Risiko. Für die Beschäftigten
Das Elend der Arbeiter in den Schlachthöfen ist seit dem Coronaskandal bei Tönnies einer breiten Öffentlichkeit stärker ins Bewusstsein gerückt. Es führte zu Gesetzesänderungen im Arbeitsrecht, die gegen den Widerstand der CDU/CSU in der GroKo durchgesetzt wurden. Unvergessen sind die Auftritte der stellvertretenden Frakionsvorsitzenden der Union Gitta Connemann, die sich gegen ein Verbot der Leiharbeit einsetzte und in derem friesischen Wahlkreis Unterems neben Rothkötter auch der Schlachthof Weidemark liegt, der im letzten Jahr ein weiterer Corona-Hotspot war. Connemann betonte, sie sei „bekennende Lobbyistin“ ihrer Region. Das darf sie sicher sein, doch zu den Arbeitsumständen der rumänischen Arbeiter in Sögel konnte sie wenig sagen. Mit der Betriebsleitung von Weidemark und Clemens Tönnies war sie dagegen in Kontakt, wie die Zeit berichtete. (Zeit Nr. 46/2020).
Ein Blick nach Gudensberg zeigt auch wenig Erfreuliches. Morgen werden viele der ausländischen Arbeitnehmer in Kleinbussen herangefahren und verschwinden dann abends wieder in den umliegenden Dörfern in irgendwelchen Unterkünften. Auch Gudensberg selbst hat einige einschlägige Häuser. Das Schlimme daran ist, dass hier nach der schlecht bezahlten Arbeit die ohnehin gebeutelten Menschen auch noch ausgenommen werden für ihre Unterkunft. Es ist überall das Gleiche, auch Wilke Wurst in Berndorf hatte ein ähnliches „schönes“ Umfeld.
Wie der Großschlachthof nach Gudensberg kam
Gerhard Köcher fing klein an. Auf dem elterlichen Hof in Gudensberg züchtete und mästete er nach anderen beruflichen Stationen Puten. Mit Erfolg. Mitte der 1970iger Jahre bauten die Brüder Köcher in Gudensberg bereits großzügig, denn aus dem kleinen Projekt einer Putenfarm und -schlachterei war ein ständig wachsendes Unternehmen geworden. Doch mit der Einführung von Fleischkühltheken für Selbstbedienung in Supermärkten und Discountern um die Jahrtausendwende ging es wirtschaftlich bergab. Nach Teilinsolvenz folgte der Konkurs.
Diese Vorgeschichte ist insofern interessant, weil sich jahrelang hartnäckig Gerüchte hielten: Warum war die Stadt Gudensberg derart versessen darauf, dass die Ansiedlung des niederländischen Schlachthofkonzerns Plukon klappte? Im Frühjahr 2000 hatte die damalige Insolvenzverwalterin die Geldgeber scharf kritisiert, die nicht rechtzeitig die Reißleine gezogen hätten. Banken haben einen Aufsichtsrat. Es wurde von Bürgschaften gemunkelt, doch das sind offiziell nur Gerüchte. Bis 2014 war Köcher dann noch Geschäftsführer der Frizzi Tiernahrung GmbH.
Wie auch immer: 2013 wurde es dann Gewissheit, Plukon kommt nach Gudensberg und wird einen großen Schlachtbetrieb im industriellen Stil aufbauen. Doch es regte sich Widerstand. BürgerInnen und AnwohnerInnen fürchteten den Gestank, bangten um Lebensqualität und den Wertverlust ihrer Immobilien. Im Dezember fand erstmals eine Versammlung statt, bei der sich über 100 Menschen trafen und überlegten, wie man sich wehren könne.
Protest formiert sich – breite Ablehnung in der Bevölkerung
Großställe gab es ja schon einige in der Umgebung, Niedenstein-Metze galt mit seinen Mastanlagen als abschreckendes Beispiel. Auch wenn erst im Laufe der Proteste und „Informationsveranstaltungen“ der Stadt allmählich Zahlen durchsickerten, es war klar, dieser Schlachthof würde die nordhessische Landschaft verändern.
Denn die Tiere mussten ja irgendwo gemästet werden, und irgendwann kamen es sukzessive ans Tageslicht: 37 Millionen Hähnchen sollten hier getötet und verarbeitet werden, für die meisten Menschen eine unvorstellbare Zahl. Umwelt- und Tierschützer fanden zusammen, Tierrechtler aus Kassel waren dabei und jede Menge Leute, die aus ganz verschiedenen Gründen die Massentierhaltung ablehnten. So entstand, zunächst als loser Zusammenschluss, die Bürgerinitiative Chattengau gegen Massentierhaltung.
Natürlich kamen die Protestierenden nicht nur aus den Chattengau-Gemeinden Gudensberg, Edermünde und Niedenstein. Selbst wenn eine Mastanlage mit einer Kapazität von 40.000 Tieren und mindestens sechs Durchläufen im Jahr etwa eine halbe Millionen Tiere an den Schlachthof liefern kann, werden immer noch viele Mastanlagen gebraucht, die dann in der Landschaft stehen und für Mensch und Natur unangenehme „Nebenwirkungen“ haben. Abgesehen davon, dass in der gesamten Gesellschaft die Form der industrialisierten Tierhaltung immer mehr auf Ablehnung stösst.
Der Protest formierte sich und wurde so zu einer Art Keimzelle der Bewegung gegen Massentierhaltung in Nordhessen. Im Frühjahr 2014 zogen bei einer Demonstration 600 Menschen mit Transparenten, selbstgebastelten Protestschildern und Kostümen durch das Städtchen, das mit seinen 7 Stadtteilen auf knapp 10.000 Einwohner kommt. Die mediale Aufmerksamkeit von Presse bis TV war entsprechend.
Die Lokalpolitik funktioniert wie immer
Auffallend war schon damals, mit welcher Vehemenz Bürgermeister Börner (SPD) die Ansiedlung befürwortete. Eine kurzfristige Unterschriftensammlung, die in weniger als zwei Tagen die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl an Befürwortern einer Bürgerbefragung ergeben zustande brachte, wurde mit verwaltungsrechtlichen Tricks beiseite geschoben. Wer wann im Aufsichtsrat einer kreditgebenden Bank saß, die viel zu leichtfertig die Firma Köcher finanzierte, wäre eine eigene Betrachtung wert.
Ähnlich wie aktuell in der Chattengau-Gemeinde Edermünde, wo ein Bürgermeister derselben Partei sich massiv für den Bau eines Logistikzentrums auf 18 ha Ackerfläche stark macht, war auch hier sicher der Wunsch auf Gewerbesteuereinnahmen ein gewichtiges Motiv. Allen Protesten zum Trotz jedenfalls wurde das Genehmigungsverfahren zum Bau des Schlachthofs durchgezogen.
Ein Informationsabend der Stadt wurde organisiert, im Stadtparlament wurde diskutiert, doch nur die Grünen sprachen sich explizit gegen den Großschlachthof aus. Die Stadtverordneten beschlossen im Oktober 2014 die Änderung des Flächnutzungsplans und wiesen ein neues Industriegebiet für den Schlachthof aus. Damit wurde auch die Erweiterung des Schlachthofs möglich.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU Dieter Heer sprach von dem Recht einer Mehrheit auf „Lebensmittel zu vernünftigen Preisen“ und packte die rhetorische Keule aus. Die Tierschützer und Schlachthofgegner seien doch alles Lehrer und Beamte, die sich den Luxus von Ökolebensmitteln leisten könnten. Rote Socken light – immer wieder beliebt. Nur die Grünen protestierten und meldeten Bedenken an.
Interessant aus heutiger Sicht ist die Kommunalwahl im März diesen Jahres: Die SPD verlor knapp 24% der Wählerstimmen und damit ihre absolute Mehrheit von 2016. Möglicherweise ist eine Mehrheit der Bürger doch nicht so zufrieden mit der „Wachstumspolitik“ der Partei und ihres Bürgermeisters, der ja auch einen großen Acker für ein Logistikzentrum geopfert hat bei gleichzeitigem Leerstand im Industriegebiet.
Die Schlacht um den Schlachthof verloren. Doch der Protest geht weiter
Obwohl die Verwaltung sich über den vermutlichen Mehrheitswillen der BürgerInnen hinwegsetzte und Plukon erweitern konnte, wuchs in der ganzen Region der Widerstand. Denn entgegen der Ankündigung des niederländischen Geschäftsführer Kees van Oers, es werde in Nordhessen wegen dem Schlachthof keine Stallneubauten geben („Wir haben langfristige Lieferverträge“), startete Plukon Mitte September 2015 gemeinsam mit dem Deutschen Geflügelzüchterverband, einem Futtermittelhersteller und anderen Lobbyisten eine Imagekampagne bei den Landwirten. Nach einer Besichtigung des Schlachthofs – oder zumindest der Kühlhäuser und der Kantine – wurde geworben für Investitionen, sprich den Bau von Mastanlagen.
Dies ist für die Fleischkonzerne auch deshalb so wichtig, weil sie so das Risiko auf viele Schultern abwälzen und vor allem vom priviligierten Baurecht der Landwirte profitieren. Versprochen wird der Landwirtschaft eine sichere Rendite über viele Jahre. Schon damals argumentierten Tierschützer und Gegner, dass Massentierhaltung kein Zukunftsmodell sein könne. Schaut man aktuell auf die Preiskrise beim Schweinefleisch und jetzt auch bei der Vermarktung von Puten, ist dies schneller bittere Realität geworden als vermutet.
Spätestens mit dieser Werbeveranstaltung war klar, dass Nordhessen noch weitere Hähnchenmastanlagen bekommen würde. Im Juni 2015 wurde die Bürgerinitiative Chattengau gegen Massentierhaltung ein eingetragener Verein. So konnte gezielter gearbeitet werden und über Spenden auch die Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit finanziert werden. Auch wenn alle Beteiligten ehrenamtlich arbeiteten, entstanden ja u.a. Druckkosten oder Gebühren für den Internetauftritt.
Die BI Chattengau wurde relativ bekannt und auch an anderen Orten gründeten sich Bürgerinitiativen. Schließlich lag der Gedanke nahe, ein Netzwerk zu gründen, zumal auch lokale und regionale Gruppen anderer Organisationen die BIs unterstützten. Greenpeace in Kassel war von Anfang an dabei, bald auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und der NABU, Kreisverbände des BUND schlossen sich an. Schließlich wurde bei einem ersten Treffen in Seigertshausen die Gründung einer regionalen Dachorganisation diskutiert und im März 2018 dann offiziell in Niedenstein die Aktionsgemeinschaft Agrarwende Nordhessen e.V. gegründet, kurz AGA-Nordhessen genannt.
Diese Dachorganisation hat in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens erfolgreich an verschiedenen Stellen agiert. Info-Veranstaltungen, Protestaktionen, Unterstützung bei Einsprüchen gegen Genehmigungsverfahren, Schulprojekte, Infostände und eine umfangreiche, informative Webseite, die von einem ehrenamtlichen Redaktionsteam betreut wird, gehören dazu.
Inzwischen ist die Klimakrise auch in den meisten Köpfen der Deutschen angekommen, das ist bekannt. Ebenso klar und bekannt ist, dass die Tierdichte in Deutschland drastisch reduziert werden muss, um den Anteil der Landwirtschaft an klimaschädlichen Emissionen zu reduzieren. Auch wenn Lobbyisten der industriellen Tierhaltung weiterhin unverdrossen teilweise sogar das Gegenteil propagieren, die Massentierhaltung ist längst angezählt.
„Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft“, sagte schon 2014 der Geschäftsführer eines Schlachtunternehmens. Das stimmt wohl. Bestimmte Entwicklungen lassen sich nicht aufhalten, und wenn damit noch so schön Geld verdient wurde. Deshalb sollten Landwirte, die über einen Massentierstall nachdenken, sich auch an diesen Spruch halten: Die Gegenwart ist der Beginn der Zukunft.