KLOSTER HAYDAU
„Immer wieder freitags…“: Die Serie des Vereins der Gäste- und Museumsführer in Kassel und Region e.V.
Ich möchte euch „Kloster Haydau“ (=KH) nahe bringen. Aber nicht so, wie man das vielleicht erwarten würde: Daten, Geschichte usf. – all das ist auf klassischen Wege leicht zugänglich. Natürlich nenne ich (v. a. für alle, die KH gar nicht kennen) die üblichen Fakten, allerdings sehr „eingedampft“. Was mir am Herzen liegt, das sind die Geschichtchen, das „noch-immer-nicht-Sichere“, die nicht ganz offen liegenden Bezüge.
Schon die Benennungen (wie „Hotel Kloster Haydau“) sind einer Relativierung wert: Die Phase „Kloster“ ist zwar die längste der diversen Nutzungen, aber nur gerade mal 12 Jahre länger als die nachfolgende feudale. Und vom Klösterlichen ist auf den ersten Blick herzlich wenig zu sehen! Nur wenn man in den Innenbereich des Gebäudegevierts gelangt, ist der Klosterbezug sofort da. Allerdings ist der Kreuzgang nicht offen, weil dies der landgräflichen Nutzung zu kalt war. In den Innenbereich gelangt man nur bei Führungen oder bei (Kultur-) Veranstaltungen, aber derzeit leider nicht!
Hier nun einige Faken, wobei ich einschränkend aber erwähnen muss, dass es neben den (belegten) Fakten einige gibt, die so tun, als wären sie solche! Manchmal liegt es daran, dass eine ernsthaft naheliegende Vermutung als Tatsache ausgegeben wird, manches Mal aber auch, weil es „wunderbar passt“. Ich werde auf diese Nuancen nicht eingehen: Macht euch selbst ein Bild oder genießt meine Darstellungen!
Vereinfachte Zeitleiste:
vor der Klosterstiftung, ca. 100 n. Chr. Ausgrabungsartefakte deuten auf eine Besiedlung „Auff der Heyde“
723/724 Bonifatius ließ eine Kapelle errichten halbwegs zwischen Fritzlar und Eisenach; vermuteter Standort vorm Diensteingang der Kirche; keine Grabungen, keine Belege!
1098 Robert von Molesme, Benediktiner (Citeaux/Rhonetal, südl. des heutigen Dijon),
löst Modernisierungsbestrebungen aus, ohne die in Morschen kein Kloster
gegründet worden wäre.
1235 Stiftung KH; hierum rankt sich eine Geschichte, in der Fritzlar, ein Ritter von Treffurt-
Spangenberg, ein Landgraf, ein Probst, nackte Hinterteile und das Bistum Mainz
vorkommen.
1280 Fertigstellung der got. Hallenkirche (die mehrfache Umgestaltung erfahren wird).
1450 endgültig baulich geschlossenes Geviert, wie es sich uns heute darbietet
1319 Kirche brennt nieder (Folge einer Fehde?)
1527 Ende der Klosterzeit; Lg. Ph.d.G. erklärt es zur Vogtei; (Eine Folge der
Beschlüsse des Landtages In Homberg/Efze).
1609 umfassende Neu- und Umbauten zum Jagdschloss; Errichtung einer
Dorfschule (!); die Gestaltung des Lustgartens zieht sich bis 1627 – das
Kloster hatte nie einen Park!!
1612 Juliane v. Hessen wird Besitzerin; wieder Umbauten, v.a. „praktische“:
Küche, WC´s, Heizung, Wasserversorgung.
1619 Endausbau zum heutigen architektonischen Erscheinungsbild
1643 – 1789 Mit Erbe Hermann v. Hessen-Rotenburg beginnt ein turbulenter Besitzerwechsel; der 11. Eigentümer Wilhelm IX. hat kein Interesse an Haydau, „verschiebt“ das gesamte Inventar.
1807 franz. Besetzung
ab 1810 Beginn der bürgerlichen Nutzung: Abrisse / Um- und Neubauten von
Brennerei über Agrarversuchsanstalt bis Molkerei …
1937 Besitzaufteilung an Gemeinde Morschen, Hessische Heimat und erbfähige
Bauernstellen.
1939 – 1985 In Stichworten: Gefangenenlager, Notwohnungen für mehr als 30 Familien,
Kleingewerbe, Schrottablage, Quelle für Baumaterialien, Tummelplatz für
Jedermann.
Letztere weitgehend planlose Nutzung war defakto Verwahrlosung aus Not und wurde schließlich in den achtziger Jahren durch lokale Impulse mit dem Ziel der Bewahrung beendet. Sanierung durch das Land Hessen, die Gemeinde Morschen, den Förderverein KH, die DSDS (das ist nicht die Fernsehshow!) und die Fa. BBraun Melsungen führten zu dem heutigen, bewundernswürdigen Zustand! Der moderne Riegelbau nördlich des Geländes von KH ist „Hotel Kloster Haydau“, eines der am besten ausgelasteten Hotels weit und breit (vor Corona!).
Nordwestlich grenzt eine monströse Ansammlung von Bauwerken direkt an KH: Ein seit vielen Jahren stillgelegtes Kraftfuttermischwerk von Raiffeisen. Diese Immobilie wurde 2019 von B. Braun gekauft. Was daraus wird, ist Gegenstand von blumigen Vermutungen. Es gibt noch viele, viele Details rund um KH, die bei Führungen je nach Gruppenzusammensetzung thematisiert werden. Dieser Text ist aber schon anstrengend lang, sodass ich mich beschränke. Heute ist die Anlage ein wirkliches Kleinod. Eine wunderschöne Parkanlage mit alten Apfel- und Birnbäumen, Rosen unterschiedlichster Art, Prachtexemplare von Pyramideneichen, … – einfach ein Ort zum Verweilen! Heiraten geht hier auch gut: Standesamt, Kirche, Hotel, Park und Festsaal (Orangerie) sind äußerst beliebt. Nur Termine bekommt man schwer!
An Sonn- und Feiertagen ist von April bis Oktober das Klostercafé (sic!) geöffnet. Selbstgefertigte Torten und Kuchen vom „Schmeckewöhlerchen“ sind unter dem Motto „Alles unter 300g sind Kekse!“ im Angebot. Und wer noch mehr Einkehr braucht: Im ganz nahen Neumorschen gibt es die „Märchenschmiede“: Essen, Trinken und Schlafen – gastlich, bodenständig und märchenhaft! Erreichbar ist KH mit der Bahn RT / RB 5 (8 Minuten Fußweg), mit dem Auto über die B83, mit dem Fahrrad auf dem R1.
Zum Schluss noch ein paar Ungereimtheiten:
– Mauerkrone und Böden in den Umgängen sind bedeckt mit merkwürdig zugeschnittenen Sandsteinplatten?!
– Am südlichen Giebel ist ein komisches Muster im Verputz?!
– In der Fassade von Julianes Wohnzimmer sind seltsame, vergitterte „Höhlen“?!
– In der nordwestlichen Ecke des Parks ist ein auffälliger Hügel?!
– Gab es wirklich mal einen Tunnel zwischen dem Keller unter dem Refektorium und dem mörscher Weinberg?!
– Welchen Beitrag hat du Ry wirklich geleistet?! („Kleine Wilhelmshöhe“)
– Was hat es mit den zugemauerten Eingängen zwischen Kirche und Kreuzgang auf sich?!
– Wo sind die Standbilder aus dem „Grünen Wohnzimmer“ ?!
…..
So, nun habt ihr hoffentlich Lust, selbst in Morschen zu forschen – oder euch führen zu lassen! Führungen kosten 5€ p.P. jedoch 30€ Minimum, Buchung sind über die Hotelrezeption möglich: 05664-939100.
Text und Foto: Wilfried Marställer
Immer wieder freitags…
In einer E-Mail an seine Mitglieder schrieb der Vorstand der des Vereins der Gäste- und Museumsführer in Kassel und Region e.V.: „Nachdem nun auch die Wasserspiele bis auf Weiteres abgesagt wurden und tatsächlich nicht abzusehen ist, dass es in den nächsten Wochen Führungen geben wird, haben wir uns im Vorstand überlegt, wie wir diese Zeit dennoch sinnvoll nutzen können. So ist die Idee entstanden, dass wir ab sofort jeweils freitags eine Persönlichkeit, ein Objekt in einem Museum, eine Pflanze oder auch einen etwas unbekannteren Ort vorstellen.“
Gesagt, getan.
Den Auftakt machte ein Beitrag von Claudia Panetta-Möller, den die mittendrin dokumentierte.
Wilfried Marställers Text zum Kloster Haydau ist bereits der wzölfte in der Reihe. Diesen veröffentlicht die mittendrin in Korrespondenz zu seinem Erscheinen. Text 2 und 3 folgen zu einem anderen Zeitpunkt.
Kontakt/Info:
Verein der Gäste- und Museumsführer in Kassel und Region e.V.
Claudia Panetta-Möller
Tel. 0561 / 60290204
Mobil: 0176 / 54466016
info(at)kassel-gaestefuehrer.de
www.kassel-gaestefuehrer.de