UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung 2015 – 2024
Deutschland gelobte die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung umzusetzen. Nach 7,5 Jahren ist die Bilanz mehr als ernüchternd.
Bei allen Bundesregierungen war noch nie ein wirkliches Interesse erkennbar Anti-Schwarzen Rassismus (ASR) nachhaltig zu bekämpfen. Einerseits lassen sich mit dem Einsatz für die Rechte einer Minderheit wohl nicht genügend Wähler*innenstimmen generieren, andererseits wären effektive Maßnahmen gegen den ASR für die Mehrheitsgesellschaft mit dem Verlust von Macht und Privilegien verbunden, was unter dem Strich wohl größere Stimmenverluste zur Folge haben dürfte.
In der Außendarstellung gilt es allerdings für die jeweilige Regierung das antirassistische Profil aufrechterhalten. Zu diesem Zwecke werden den Betroffenen gelegentlich kleinere Zugeständnisse bewilligt. Hier und da ein Zuschuss für eine neue Begegnungsstätte, hier und da die Genehmigung einer Demonstration oder die Förderung eines Projektes zur Sichtbarmachung von ASR. Diese Zugeständnisse werden den Betroffenen wie Placebo-Schmerztabletten verabreicht, sie bekämpfen nicht die Ursache der Schmerzen und lindern sie nur scheinbar. Dafür dienen sie zur Gewissensberuhigung der Verantwortlichen und befreien sie vom Vorwurf der kompletten Untätigkeit. Zudem wird der Eindruck eines zarten Pflänzchens der Bewusstseinsbildung für die Belange Schwarzer Menschen vermittelt.
Diese Suggestion bezweckt die Verfestigung der Vorstellung es müsse nur weiter Geduld aufgebracht werden und schon bald würden sich die Entscheidungsträger*innen, sowie große Teile der Mehrheitsgesellschaft, einsichtig zeigen und einen Wandel herbeiführen. Diese Zeit der großen Veränderungen stünde bald bevor, zunächst gelte es aber weiter Aufklärungsarbeit zu leisten. Übermäßige und vorschnelle Forderungen würden den Bogen überspannen und alles bisher erreichte drohe verloren zu gehen.
Dieses System funktioniert seit vielen Jahren, von einer Legislaturperiode zur nächsten. Aus dem zarten Pflänzchen gedeihen aber immer nur weitere kleine Zugeständnisse, die als Pillen verabreicht werden und keine größeren Wirkungen entfalten. Auch wenn die beispielhaft genannte Errichtung einer neuen Begegnungsstätte in ihrer Bedeutung nicht zu schmälern ist, so kann sie doch maximal nur als Beiwerk von wirksamen noch zu ergreifenden Maßnahmen gegen ASR dienen und darf diese nicht ersetzen.
Hoffnungsstifter UN-Dekade
Im Dezember 2014 wurde von der UN-Generalversammlung die Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung (2015 – 2024) ausgerufen. Die Internationale Gemeinschaft erkannte damit an, dass Menschen afrikanischer Abstammung eine eigenständige Gruppe darstellen deren Menschenrechte gefördert und geschützt werden müssen. Das Hauptziel der Internationalen Dekade ist die Förderung der Achtung, des Schutzes und der Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten von Menschen afrikanischer Abstammung, gemäß der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948.
Mit anderen Worten ließe sich das Ziel der Internationalen Dekade wohl am ehesten mit „Inklusion der Menschen afrikanischer Abstammung“ beschreiben. Auch Deutschland bekannte sich zu diesem Ziel und erhielt so die Chance endlich das System der kleinen Zugeständnisse aufzugeben.
N-Wort stoppen und M-Wort ächten
Aktivitäten sind bisher allerdings nur aus der Zivilgesellschaft zu beobachten. Viele Initiativen haben sich bundesweit organisiert und die Ächtungen rassistischer Fremdbezeichnungen auf Grundlage der Internationalen Dekade durchgesetzt. Mittlerweile wurde in 13 Städten das N-Wort geächtet, darunter Metropolen wie Köln und München. In Kassel wurde neben dem N-Wort sogar erstmals das M-Wort geächtet.
Wissenschaftliche Fakten über die Bedeutung rassistischer Begriffe und deren verheerender Wirkung der Zementierung rassistischer Weltanschauungen liegen seit vielen Jahren vor. Nicht nur die Initiativen @nwortstoppen und @mwortaechten kämpfen gegen die Weiterverwendung dieser Begriffe, auch die ISD Bund e.V., die älteste und größte deutsche Selbstorganisation Schwarzer Menschen, setzt sich von Beginn an gegen die Verwendung des M-Wortes für Straßen-, Apotheken- und Produktbezeichnungen ein. Unzählige Schwarze Aktivist*innen wehren sich seit vielen Jahren gegen den Gebrauch dieser Wörter und all diese Aktivitäten stellen einen deutlichen Auftrag an die Bundesregierung dar, diesen Punkt mit in den Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Dekade aufzunehmen. Schließlich formuliert die UN-Dekade explizit den Willen der teilnehmenden Staaten den Stimmen der Menschen afrikanischer Abstammung in besonderem Maße Gehör zu schenken.
Eine Koordinationsstelle wurde eingerichtet
Auf den letzten Metern der Dekade gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bekannt, dass eine Koordinationsstelle in Form eines Beirates eingerichtet wurde, um einen Beitrag zur UN-Dekade zu leisten. Die Integrationsbeauftrage der Bundesregierung, seit Februar 2022 auch deren Antirassismus Beauftragte, spielt in diesem Beirat offensichtlich eine entscheidende Rolle.
Diesbezüglich erscheint folgendes bemerkenswert: Das Thema Anti-Schwarzen Rassismus wird offenbar erneut mit dem Thema Integration vermengt, ein*e eigenständige*r Beauftragte*r für dieses wichtige Thema wurde offenbar nicht in Erwägung gezogen. Die neuerliche Benennung der Internationalen Dekade nach „Herkunft“ statt „Abstammung“ definiert sprachlich Schwarze Menschen nach deren Herkunft (Afrika) und reduziert sie gleichzeitig darauf. Die Ziele des neu berufenen Beirates sind ASR in den Fokus setzen und Empowerment. Mit welchen Kompetenzen der Beirat ausgestattet wurde bleibt allerdings vage.
Anscheinend versucht die Bundesregierung die Dekade umzudeuten, weg von der Inklusion von Menschen afrikanischer Abstammung, hin zur Integration von Menschen afrikanischer Herkunft. Das uminterpretieren der UN-Dekade als Integrationsmaßnahme ermöglicht ihre Abwicklung nach altbewährtem System der kleinen Zugeständnisse und des zarten Pflänzchens. Sollte sich dies bewahrheiten, die Umsetzung der Internationalen Dekade wäre gescheitert.
07.07.2022
Beitrag des mittendrin Autors Thomas Hunstock
Herr Hunstock schreibt als Gastautor für die Frankfurter Rundschau, den Stern und die Berliner Zeitung