Welche:r Oberbürgermeister:in setzt die Ächtung des M-Wortes um?
Am 14. Juni 2021 beschloss die Kasseler Stadtverordnetenversammlung die Ziele der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung umzusetzen und erkannte damit insbesondere an, dass jegliche Verwendung des M-Wortes rassistisch ist. Dieser Beschluss wird allerdings seit mittlerweile 20 Monaten beharrlich ignoriert. Die bevorstehende OB-Wahl in Kassel gab den Anlass in Erfahrung zu bringen, ob sich nach der Wahl etwas daran ändern wird.
Am 16. Juni 2020 sagte unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:
„Neutralität ist keine Antwort auf Rassismus. ´Ich bin doch kein Rassist´ ist keine Antwort auf Rassismus und darf es nicht sein. Jedenfalls nicht für Demokratinnen und Demokraten! Nein, es reicht nicht aus, ´kein Rassist´ zu sein. Wir müssen Antirassisten sein!“
Rund zwei Jahre später, am 5. Mai 2022, stellte die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Staatministerin Reem Alabali-Radovan, bei der Veröffentlichung des ersten Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) fest:
„Deutschland weiß um sein Rassismusproblem. 90 Prozent der Befragten sagen klar und deutlich: Es gibt Rassismus in Deutschland. Die breite Erkenntnis ist eine gute Nachricht, denn sie ist ein wichtiger Schritt für Veränderung.“
Ferda Ataman, die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, sagte am 18. Februar 2023:
„Deutschland hat weiter ein Rassismusproblem. Ende 2020 beschloss die Bundesregierung Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus, doch diese müssten auch umgesetzt werden.“
Diese Aussagen, Feststellungen und Aufrufe offenbaren das fest verankerte Rassismusproblem in Deutschland. All diese Forderungen, Mahnungen und Appelle laufen seit Jahrzehnten ins Leere. Politiker:innen beschließen zwar Maßnahmen, umgesetzt werden diese allerdings nicht. Auch in Kassel wird ein demokratischer Beschluss zur Beendigung einer rassistischen Tradition nicht umgesetzt. Die Verantwortlichen missachten den Beschluss der Ächtung des M-Wortes seit nunmehr 20 Monaten und verschließen ihre Augen vor den Realitäten. Die von Staatsministerin Alabali-Radovan geforderten Schritte für dringend notwendige Veränderungen werden aktiv blockiert und die Forderung der Antidiskriminierungsbeauftragten Ataman wird ignoriert.
Grundpfeiler unserer Demokratie
Außerhalb der Stadt Kassel erfährt der Beschluss der Ächtung des M-Wortes jedoch eine große Zustimmung. Auch der demokratische Prozess, der zu diesem Beschluss führte, wird als beispielgebend angesehen. Eine hochrangige Jury des Bündnisses für Demokratie und Toleranz (BfDT), der auch Staatministerin Reem Alabali-Radovan angehört, stufte das zugrunde liegende bürgerschaftliche Engagement als vorbildlich ein. Ferda Ataman begrüßte die Ächtung des M-Wortes in Kassel ausdrücklich und beurteilte sie als wichtigen Schritt gegen Ausgrenzung und Herabwürdigung. Der Referent unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier beurteilte im Oktober 2022 die Ächtung des M-Wortes in Kassel wie folgt:
„Rassismus kann sich auch in Sprache ausdrücken. Althergebrachte Worte und Begrifflichkeiten, deren Herkunft und Bedeutung lange Zeit nicht hinterfragt wurden, stehen heute unter kritischer Beobachtung. Menschen, darunter vor allem negativ von Rassismus Betroffene, äußern ihre Kritik. Diese Form des zivilgesellschaftlichen Engagements liegt dem Bundespräsidenten am Herzen. Sie ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie“.
Magistrat setzt Beschluss zum Abbau von Rassismus nicht um
Während außerhalb der Kasseler Stadtgrenzen die hochrangigsten Demokrat:innen unseres Staates ausschließlich anerkennende und wertschätzende Worte für die Ächtung des M-Wortes finden, blockieren die Verantwortlichen der Stadt die Umsetzung des Beschlusses. Diesbezügliche Nachfragen vom 31. Juli und 12. August 2022 beantwortete Oberbürgermeister Geselle am 5. Dezember 2022 wie folgt:
- Unser Handeln hat jedoch seine Grenzen, wenn private Rechte von Dritten betroffen sind. Die Verwendung des M-Wortes im Firmennamen einer juristischen Person des Privatrechts ist gesetzlich nicht verboten. Es besteht somit keine gesetzliche Grundlage für die Stadt Kassel konkrete Maßnahmen gegen juristische Personen des Privatrechts einzuleiten, damit diese ihren Firmennamen ändern.
In Anbetracht der bevorstehenden OB-Wahl in Kassel am 12. März 2023 galt es nun in Erfahrung zu bringen, wie alle Kandidat:innen heute zum Beschluss der Ächtung des M-Wortes stehen.
- Die Frage lautete: Welche Maßnahmen gedenken Sie als Oberbürgermeister:in zu ergreifen, um dem demokratischen Beschluss der Ächtung des M-Wortes vom 14. Juni 2021 gerecht zu werden?
Christian Geselle:
- Nach seiner Stellungnahme vom 5. Dezember 2022 gab es keine weitere Antwort von ihm.
Eva Kühne-Hörmann – CDU:
- Die CDU-Kandidatin antwortete nicht.
Dr. Sven Schoeller – Bündnis90/Die Grünen:
- Als Stadtverordneter habe ich dem Beschluss zur Ächtung des M-Wortes und zur Umsetzung der Ziele der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung selbstverständlich zugestimmt. Rassistische und menschenverachtende Sprache dürfen in unserer Stadt keinen Platz haben. Als Oberbürgermeister werde ich aktiv den stadtgesellschaftlichen Diskurs zur Ächtung des M-Wortes vorantreiben. Das Amt für Chancengleichheit und antirassistische Initiativen wie SidebySideNordhessen, die dies schon in der Vergangenheit durch Diskussionsveranstaltungen getan haben, können sich auf meine Unterstützung verlassen. Themenbezogene Veranstaltungen, wie z.B. die Ausstellung “Blind Spots Exposed” im KAZ im Kuba habe ich persönlich besucht. Auch wenn die Stadt keine Möglichkeit hat, das M-Wort etwa für Produkte oder in Unternehmensnamen zu untersagen, können wir klare Signale setzen, dass wir als Stadtgesellschaft rassistische Fremdbezeichnungen für schwarze Menschen ablehnen.
Dr. Isabel Carqueville – SPD:
- Kassel war die erste Stadt in Deutschland, die vor zwei Jahren das M-Wort durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung geächtet hat. Leider hat in diesen zwei Jahren das Rathaus versäumt, diesen Beschluss umzusetzen. Das betrifft nicht nur den Oberbürgermeister, aber es liegt final in seiner Verantwortung. Dabei ist nur eine Apotheke in Kassel betroffen. Ich bedauere das sehr. Ich meine, man muss gerade in Deutschland mit Sprache und damit einhergehenden Diskriminierungen sehr achtsam umgehen. Die Ächtung des M-Wortes zeugt von Respekt vor den betroffenen Menschen und fördert sensible Sprachverwendung. Und man muss als Demokrat:innen mutig genug sein, zu den eigenen Beschlüssen zu stehen und die nötigenfalls immer und immer wieder Menschen zu erklären, die Fragen dazu haben. Außerhalb der Stadtverwaltung sind die Handlungsoptionen für Verwaltung, Magistrat und Oberbürgermeister in dieser Frage jedoch begrenzt. Deshalb kommt es hier auf die Kraft des Wortes und des Argumentes an. Als Oberbürgermeisterin werde ich persönlich das Gespräch mit der Apothekerin suchen und Beispiele außerhalb Kassels zeigen, dass Umbenennungen möglich sind. Bei dieser Gelegenheit will ich gern auf das Beispiel Kassels auch in anderer Hinsicht hinweisen. Der Beschluß der Stadtverordnetenversammlung wurde ausgelöst durch eine Bürger-Eingabe an die Stadtverordnetenversammlung. Das zeigt, Bürgerengagement ist ein wichtiger Teil der Demokratie. Zu Recht sind die Petenten jetzt Preisträger im Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“. Ich danke den Petenten für ihr Engagement und gratuliere zur erfolgreichen Teilnahme an diesem Wettbewerb.
Violetta Bock – Die LINKE:
- Der Beschluss allein ist wenig wert, wenn es lediglich ein Lippenbekenntnis ist. Als Linke im Rathaus haben wir kürzlich erst eine Anfrage zu dem Thema gestellt. Bislang will sich die Stadtverwaltung aus der Affäre ziehen. Ein Armutszeugnis wie wir finden. Wenn eine Apotheke an einem zentralen Platz das M-Wort im Namen führt, ist das keine Privatsache. Das mindeste wäre als OB einen Brief zu schreiben. Nach meiner Kenntnis wäre die Apotheke für eine Umbenennung offen, und hat es bislang aufgrund der Kosten nicht gemacht. Wir können uns als Gesellschaft jedoch Rassismus nicht leisten. Ich würde auch mit der Bäckerei, die ein Gebäck mit dem M-Wort verkauft, das Gespräch suchen und sie mit Initiativen aus Kassel, die sich zu diesem Thema engagieren zusammenbringen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die zwei Betroffenen Geschäfte den Ernst des Themas nicht gemeinsam mit der Stadt und den Initiativen erkennen werden und man gemeinsam Lösungen finden kann, wenn man zu ihnen drängt. Und als OB würde ich das tun. Auch das Thema Straßenumbenennung würde ich mithilfe einer divers besetzten städtischen Kommission mit Wissenschaftler:innen und den tollen Initiativen, die es dazu gibt in der Stadt wie Kassel postkolonial schnell angehen. Auch hier beobachten wir als LINKE, dass dem Thema nicht viel Bedeutung beigemessen wird. Es kann doch nicht angehen, dass wir in Kassel mind. 4 Straßen haben, die nach Rassisten und Kolonialverbrechern benannt sind. Andere Städte haben erfolgreich Geschäfte oder Apotheken und Straßen zur Namensänderung gebracht. Es gibt keinen Grund, warum das nicht auch in Kassel klappen sollte. Es braucht schlicht den politischen Willen dazu und den bringe ich mit. Wie auch im Beschluss Angela Davis zitiert wurde: Es reicht eben nicht aus “kein” Rassist zu sein. Wir müssen Antirassisten sein.
Stefan Käufler – Die PARTEI:
- Als Kandidat der Partei die PARTEI verstehe ich das Problem nicht. Keine Geschäftsfrau dieser Welt stellt sich gegen eine Neuerung, wenn der Scheck genügend Nullen hat. Als Oberbürgermeister würde ich einfach die Umbenennung der M-Apotheke am Bebelplatz bezahlen. Ist denn mal jemand seitens der Stadt auf die Apothekerin zugegangen? Guten Tag Frau H., gerne möchten wir Sie auf einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 14. Juni 2021 hinweisen, der jegliche Verwendung des M-Wortes als rassistisch anerkennt. Vor diesem Hintergrund unterbreiten wir ihnen ein Angebot, welches sie nicht ablehnen können… P.s.: Wenn Sie noch Fragen haben, Hilfe oder Unterstützung brauchen. Einfach anrufen. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Amt für Chancengleichheit der Stadt Kassel.
24.02.2023
Beitrag des mittendrin Autors Thomas Hunstock
Herr Hunstock schreibt als Gastautor für die Frankfurter Rundschau, den Stern und die Berliner Zeitung