Kassel wird Anti-Rassismus Modellstadt
Unter dem Motto “Kommunale Allianzen und Strategien gegen Rassismus und Hass -gemeinsam Entscheidungsträger*innen stärken”, will die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan Kommunen bei der Rassismusbekämpfung stärken. Zu diesem Zweck werden insgesamt 10 Kommunen zu Anti-Rassismus Modellstädten ernannt, neben Kassel unter anderem auch Berlin.
Das Projekt der Anti-Rassismus Modellstadt sollte sich allerdings zunächst an die städtischen Entscheidungsträger*innen selbst richten. Sie wirken in allen kommunalen Behörden und die wenigsten von ihnen dürften wissen was Rassismus ist, trotzdem behaupten sie aber von sich selbst nichtrassistisch zu sein. Der amerikanische Politologe Prof. Ibram X. Kendi, der laut dem US-Magazin „Time“ zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gehört, erkennt in diesem typischen Verhalten einen Widerspruch. Nach Prof. Kendi können nur sehr wenige Menschen erklären was Rassismus ist, trotzdem definieren sich alle erst einmal weit weg davon. Schließlich stellt der Rassismusforscher fest, dass es keine Nichtrassist*innen gibt, aber durchaus Antirassist*innen.
Es gibt keine Nichtrassist*innen, nur Antirassist*innen
Als Beispiele für solche „nichtrassistischen“ Handlungen von Entscheidungsträger*innen der Kasseler Behörden, lassen sich gleich zwei demokratische Beschlüsse der Kasseler Stadtverordnetenversammlung zur Beendigung rassistischer Traditionen heranziehen. Der Magistrat der Stadt Kassel lässt diese wegweisenden Beschlüsse nun schon seit über 3 Jahren in der Schublade versauern, offensichtlich um diese Beschlüsse zum Schutz Schwarzer Menschen ganz bewusst in Vergessenheit geraten zu lassen. Trotz ausdrücklichen Bekenntnissen zur UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung und den damit einhergehenden Verpflichtungen die Ziele der internationalen Dekade umzusetzen, werden die Ächtungen von N- und M-Wort von den Entscheidungsträger*innen der Kasseler Behörden beharrlich ignoriert.
Nach den Erkenntnissen von Prof. Kendi stellt dieses Nichtstun kein passives nichtrassistisches handeln dar, weil es ein „nichtrassistisch sein“ nicht gibt. Die Nichtumsetzung eines demokratischen Beschlusses gegen Rassismus auf kommunaler Ebene, spiegelt nach seinen Forschungsergebnissen eine rassistische und antidemokratische Kommunalpolitik wider. Würden die Beschlüsse jedoch umgesetzt, entspräche dies einer antirassistischen und demokratischen Politik. Wird das Projekt „Anti-Rassismus-Modellstadt“ also wirklich von den Akteur*innen der Stadt Kassel ernst und beim Namen genommen, ist unbedingt eine grundlegende Änderung der bisherigen Kommunalpolitik erforderlich. Allein die Bezeichnung Anti-Rassismus verlangt nach einer antirassistischen Politik.
Bisher keine Projekte zur effektiven Rassismusbekämpfung
Bisher beschränken sich städtische Aktivitäten gegen Rassismus lediglich auf die finanzielle Förderung und Unterstützung von Initiativen und Vereinen, die beispielsweise unter den Schlagwörtern „Vielfalt“, „Sensibilisierung“, „Sichtbarmachung“ und „Empowerment“ zu finden sind. Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen lassen sich damit allerdings nicht zu einer antirassistischen Politik bewegen. Solche Projekte lösen in der Dominanzgesellschaft lediglich eine „Bewunderung“ des Problems der negativ von Rassismus Betroffenen aus, welche sich dann auch relativ schnell wieder verflüchtigt. Generell werden hierzulande im Regelfall alle staatlichen Maßnahmen gegen Rassismus unter der Rubrik „Integrationsmaßnahmen“ subsumiert. Ein sehr beliebtes System, spricht es doch die weiße Dominanzgesellschaft von jeglicher Verantwortung für Rassismus frei. Diese wird so elegant den negativ von Rassismus Betroffenen aufgebürdet. „Die Anderen“ müssen sich nur besser integrieren, „wir“ müssen hingegen gar nichts verändern. Gleichzeitig reduziert dieses Vorgehen Rassismus auf zugewanderte Menschen und Deutsche mit internationaler Familiengeschichte, die bereits über viele Generationen hier leben, werden zu Fremden gemacht und geandert. So leben rassistische Weltanschauungen weiter. Die erste Maßnahme zur Stärkung der kommunalen Entscheidungsträger*innen einer Anti-Rassismus Modellstadt sollte daher die verpflichtende Fortbildung aller Mitarbeitenden der kommunalen Behörden zum Thema Anti-Rassismus sein.
23.10.2023
Beitrag des mittendrin Autors Thomas Hunstock
Herr Hunstock schreibt als Gastautor u.a. für die Berliner Zeitung und die taz.