Rettet die Freiheit der Kunst!
Petition setzt auf geltendes Recht
Wegsehen oder Hinschauen?
Der Streit um die Frage „documenta – wie weiter?“ zeigt:
Deutschland benötigt neues Vertrauen der Kunstwelt.
Ein einfaches ‚Weiter so‘ geht nicht“, sagte documenta Geschäftsführer Andreas Hoffmann in der HNA vom 1.2.2024. Wem ruft er das zu? Im November letzten Jahres trat die gesamte sechsköpfige Findungskommission zurück, die erst im März vom Aufsichtsrat berufen worden war. Warum? Die letzten vier Mitglieder diagnostizierten: “In the current circumstances we do not believe that there is a space in Germany for an open exchange of ideas and the development of complex and nuanced artistic approaches that documenta artists and curators deserve.“
Weiter so? Der Rücktritt der Findungskommission ist ein Skandal. Schon bei Berufung der Findungskommission hatten Catherine David, Roger M. Buergel, Carolyn Christov-Bakargiev und Adam Szymczyk festgehalten: “Wir möchten nicht verhehlen, dass unsere Diskussion unter einer strikten Auflage stand. Es war der Wunsch der Gesellschafter, die Findungskommission der documenta 16 nicht zum Gegenstand einer erneuten BDS-Debatte zu machen. Diesen Wunsch haben wir akzeptiert, möchten aber deutlich unterstreichen, dass die künstlerische Freiheit unbedingt geschützt werden muss und das Recht zur Kritik am Verhalten jedes Staates.
documenta muss Vertrauen wiedergewinnen
Die documenta geht „angesichts eines Klimas extremer Polarisierung, fast toxischer Debatten sowie der ‚Strike Germany’-Initiative das Risiko ein, dass Kuratoren und Künstler nicht bereit sein könnten, nach Kassel zu kommen“ (Hoffmann lt. HNA 1.2.2024).
Trotzdem wird derzeit folgende Empfehlung der Managementberatung METRUM erwogen: “Im Vertrag der Künstlerischen Leitung soll festgehalten werden, dass sie in den ersten 100 Tagen nach Vertragsbeginn diesen eigenen Code of Conduct erstellen soll, und, dass dieser geeignet sein soll zu gewährleisten, dass die Menschenwürde in der Ausstellung nicht verletzt wird“, und weiter: “Das Besondere ist, dass bei der documenta Ausstellung – ganz bewusst – das Thema Code of Conduct ein Stück weit in den kuratorisch-künstlerischen Bereich hineinragen soll.“ Das Grundgesetz untersagt jede Diskriminierung. Es gibt bereits jetzt, schon unterhalb der Strafbarkeitsgrenze, die Möglichkeit der Distanzierung. Aber es gibt kein Instrument, welches gewährleistet, dass nur Werke ausgestellt werden, an denen niemand Anstoß nimmt. Zu verschieden die Werke, zu verschieden die Betrachtenden.
Hans Eichel warnte in seinem Beitrag (HNA 25.01.2024) vor Selbstzensur der documenta: „Der Ruf der documenta, der Ruf Deutschlands, der Welt ein Bei- spiel für Kunstfreiheit zu geben, wird verspielt. Man muss nur die Absage der Mitglieder der Findungskommission lesen“, und: „Die Künstler müssen frei sein in der Gestaltung der Kunst, die Gerichte sollen entscheiden, niemand sonst!“
Niemand hat gesagt, es solle nach der d15 einfach so weitergemacht werden, im Gegenteil, auch Eichel bekennt sich zu Verbesserungsbedarf. Gefragt sind Lösungen, die dem Gesetz entsprechen und der documenta nicht den Boden entziehen. Die Alternative‚ ein bisschen Diskriminierung oder ein bisschen Rechtsbeugung‘ darf es nicht geben.
Standwithdocumenta: ein Weckruf gegen jeden Versuch, die Kunstfreiheit über geltendes Recht hinaus einzuschränken
Seit 1955 versammelt die documenta alle fünf Jahre Kunstschaffende aus aller Welt, um Kunst der Gegenwart auszustellen. Die documenta erreicht mit zuletzt 730.000 Besuchern so viele Menschen wie keine andere Ausstellung von Gegenwartskunst. Das kann sie nur leisten, wenn die Kunstfreiheit garantiert ist.
#standwithdocumenta wurde initiiert von Kasseler Kunst- und Medienschaffenden. Die drei ehemaligen Kasseler Oberbürgermeister Hans Eichel, Wolfram Bremeier und Bertram Hilgen unterstützen die Initiative. Die bleibt nicht untätig, wenn die documenta in Gefahr ist. Innerhalb weniger Tage zeichneten rund 3.000 Menschen die Petition #standwithdocumenta, Tendenz steigend.
#standwithdocumenta fordert, dass die Kunstfreiheit, wie sie in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert ist, weiterhin gewahrt bleibt und nicht durch politische oder andere externe Einflüsse eingeschränkt wird.
mittendrin dokumentiert die vom StadtZeit Kassel Magazin angestoßene Debatte zur Zukunft der Weltkunstausstellung.
Meinung von Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH lesen Sie >> hier
Meinung von Dr. Harald Kimpel, Kunstwissenschaftler, Autor und Kurator lesen Sie >> hier
22.03.2024
Dieser Debattenbeitrag erschien am 28.2.2024 erstmals im StadtZeit Kassel Magazin.
studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und Musik. Er war von 1996 bis 2021 Verlagsleiter im Bärenreiter-Verlag Kassel. 2022 initiierte er die Petition DOCUMENTA fifteen: Danke!
Die documenta Debatte komplett in der StadtZeit-Ausgabe 119, Frühjahr 2024, ab Seite 56
>> hier zu lesen