
Kunst kann jeder.
Für Viele ist Kunst (und die die sie ausüben) etwas Abgehobenes. Dabei ist alles was Wir tun etwas Abgehobenes, etwas, das sich abhebt. Auch Kunst.
Wie Kinder so schön sagen: „Hä?!“
„Schau mal!“ Eine meiner Grundschülerinnen hält mir stolz ein Bild hin, das sie in einer Minute hingekritzelt hat. Meinen ersten Impuls – ein trockenes Was soll das sein? – unterdrücke ich. Stattdessen: „Wow! Das ist ja ein… Pinguin!“ – „Eine Katze!“ – „Eine Katze, na klar! Mit, äh, Ohren. Magst du Katzen?“
Wenn der blasierte Blick eines Erwachsenen auf kindliche Fantasie trifft, besteht oft Klärungsbedarf. Aber das ist nicht per se schlecht.
Zugangsbeschränkungen
Marcel Duchamps Urinal („Fountain“, siehe Bilder) hat 1917 bereits für viel Unverständnis gesorgt. Spätestens bei Performance-Art, wie Roman Signers umfallende Eimer voll Sand („Countdown“, siehe Bilder), überschlagen sich Online-Kommentare mit Spott.
Viele steigen aus, wenn sie nicht verstehen, was sie sehen, oder glauben, es sofort zu durchschauen. Andere meinen, Kunst sei nur etwas für „Eingeweihte“. Und tatsächlich gibt es diese, die gerne kontrollieren würden, wer Teil ihrer elitären Welt sein darf.
Aber Kunst ist nicht exklusiv. Sie ist nicht mal rein menschlich – selbst Elefanten können Bäume malen. Und jetzt gibt es auch noch K.I.s, die „bessere“ Kunst erzeugen als viele Menschen.
Doch was heißt schon besser? Und was ist Kunst jetzt eigentlich?
„Ist das Kunst, oder kann das weg?“
Ich selbst komme aus bildungsfernem Haushalt, für den Kunst und Kultur längste Zeit nur Randerscheinungen waren. Mit meinem Schauspiel- und Drehbuchstudium hörte ich dann aber verschiedenste Standpunkte zum Thema „Was ist Kunst?“. Von Anhängern Platons, mit „Kunst als Nachahmung der Wirklichkeit“, oder Befürwortern Kants „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“, bis zu Denen, für die der Kunstmarkt vorgibt, was Kunst ist. An Antwortmöglichkeiten mangelt es nicht.
Mich persönlich zieht es zu Joseph Beuys, der sagte „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Für ihn war Kunst nicht nur Bilder und Skulpturen, sondern eine kreative Gestaltung des Lebens selbst; Ein sozialer Prozess, ein Werkzeug für gesellschaftliche Veränderung. Jeder Mensch hat schöpferisches Potenzial – egal ob er malt, kocht, unterrichtet oder Daten verarbeitet. Und so ist Kunst für mich vor allem eine Form des Ausdrucks und der Kommunikation.
Wieso? Weshalb? Warum?
Was wir durch Kunst ausdrücken wollen, kann tiefgründig sein – oder ganz simpel: „Das finde ich schön.“ / „Das finde ich doof.“ oder „Das macht mir Spaß“. Man braucht keine Ausbildung, um etwas zu empfinden – nur den Mut, es kundzutun.
Denn die Grundlage jeder Kommunikation ist die Absicht: Warum sage ich, was ich sage? Warum tue ich, was ich tue? Und vor allem: wie? Frei nach Beuys: Mein Feierabend kann aus Chips und Social Media bestehen – oder aus einem Film und Drei-Gänge-Menü. Jedes Wort, jede Aktion und Reaktion sagt etwas über Uns aus; wenn auch im Alltag meist unterbewusst. Kunst macht sich diese Prozesse bewusst und setzt sie gezielt ein. Mit Bewusstsein und Hingabe wird so jede Handlung zu einer Form des Ausdrucks.
Meisterhaft
Dieser weite Kunstbegriff ist keine Geringschätzung professioneller Künstler:innen. Im Gegenteil: Menschen, die sich über Jahre einer Disziplin widmen, üben, zweifeln, über sich hinauswachsen, verdienen besondere Anerkennung. Sie loten Grenzen aus und zeigen, was durch Können und Hingabe möglich ist. Diese Meisterschaft ist kostbar, aber sie schließt andere Formen von Kunst nicht aus. Im Sport ist es ähnlich: Auch wer nie Profi wird, kann Sport treiben; als Hobby, oder für die Gesundheit. Und genauso kann man sich auch im Bewusst-sein üben und damit etwas kreieren, gestalten und einen Beitrag zur eigenen mentalen Gesundheit leisten und zur Gesellschaft. Meister ihrer Zunft waren uns dabei schon immer Vorbilder.
Und jetzt Kunst mit künstlicher Intelligenz?
Eins vorweg: es gibt (noch) keine wirkliche “künstliche Intelligenz”. Mit diesem Schlagwort werden heutzutage Sprachmodelle beworben, die auf riesige Datenbanken zugreifen. Im Prinzip eine komplexe Form der Autovervollständigung Ihres Handys. Und diese “K.I.s” erzeugen heute nicht nur Texte, sondern auch Bilder und Musik. Aber ist das jetzt Kunst? Das Internet schreit: „Es fühlt doch nichts! Und „Es hat kein Bewusstsein!” – berechtigte Einwände. Wir stellen mal hintan, dass die Datenbanken eine Art Spiegel unserer Medienlandschaft und gesellschaftlichen Konsens sind und von Uns gefüttert werden. Aber wenn ein K.I.-Werk mich bewegt, irritiert oder inspiriert, entsteht dann nicht ein Dialog? Vielleicht ist das nicht unmittelbar menschliche Kunst, aber sie bringt menschliche Reaktionen hervor.
Wenn niemand den Sack Reis umfallen sieht…(ist er dann umgefallen?)
Auf professioneller Ebene gehört eine Reaktion unweigerlich zur Kunst dazu. Ganz gleich, ob sie „gefällt“ oder nicht. Wir haben zwar festgestellt, dass alles Kunst sein kann – mit Bewusstsein und Absicht – doch Kunst ist keine geschlossene Definition. Sie ist ein Raum der Resonanz, ein Hin und Her, ein Dialog. Etwas wird zu Kunst, wenn es etwas mitteilt und jemand bereit ist, es zu vernehmen. Der Dialog macht den Unterschied, nicht die Bewertung. Und das gilt für K.I. genauso wie für Kinderzeichnungen oder Konzeptkunst.
Wer will, kann.
Daher braucht auch meine Grundschülerin kein Urteil zu fürchten, um stolz auf ihr Schaffen zu sein. Sie hat ihre Fähigkeiten genutzt, mit ihrem Bild auszudrücken, was sie mag. Und ich bin überzeugt, dass jeder Einzelne da draußen Fähigkeiten besitzt, die mir fehlen; Ausdrucksformen, die ich nie beherrsche. Und es wäre ein Verlust, sie der Welt vorzuenthalten.
Kunst ist also weniger Berufung, sondern eine Einladung an Alle, (sich selbst) zuzuhören und sich mitzuteilen. Sie liegt weniger im Produkt, als im bewussten Prozess.
Und vielleicht brauchen wir daher weniger Urteile darüber, was Kunst ist – und mehr Gespräche darüber, was uns berührt. Selbst wenn es ein Pinguin ist… pardon, eine Katze.
Marcel Duchamps „Fountain“, 1917 & Roman Signers „Countdown“, 2008
07.08.2025
Der Autor:
Klaus Beleczko ist ein in Bad Hersfeld ansässiger Schauspieler und Autor und wurde Ende der 80er Jahre im sich erhebenden Temeschburg geboren. Vor dem damaligen Regime geflüchtet, ließ sich seine Familie in Süddeutschland nieder. Als Kind – auch Dank des Fußballvereins – schnell integriert, absolvierte er vor seinem Abitur den Grundwehrdienst, arbeitete im Zuge des Zivildienstes im Krankenhaus und wurde gelernter Fremdsprachenkorrespondent. 2013 schloss er sein Schauspielstudium in Aachen ab, war knapp 10 Jahre landesweit an Theatern tätig und erhielt 2025 sein Diplom an der Filmakademie Baden-Württemberg, mit Schwerpunkt Drehbuch.