Debatte: Besuch der alten Dame – Brauchen wir noch eine Statue in Kassel?
Zwei Positionen, die sich mit der jüngsten Kasseler Statue beschäftigen, die unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit nun ihren Standort auf dem Scheidemann-Platz gefunden hat.
Meinung von Dr. Harald Kimpel zu dem Monument, das Elisabeth Selbert würdigt.
Die künstlerische Würdigung Lebender wie auch Verstorbener ist ein heikles Unterfangen. Nicht nur, dass der Ruhm der zu Rühmenden oftmals flüchtig ist, flüchtig ist auch die Form, in der die Rühmung vonstattengeht: Bleibenden Ruhm durch eine zeitabhängige Gestaltung fassen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Besonders prekär aber, wenn eine Formensprache angewandt wird, die bereits im Moment ihrer Anwendung aus der Zeit gefallen ist. Dies zu bestätigen, bleibt nun auch einer Frau nicht erspart, die zu den bedeutendsten gerechnet wird, die Kassel hervorgebracht hat. Der Juristin und Politikerin Elisabeth Selbert, untrennbar verbunden mit der Formel „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, die sie ins Grundgesetz eingeschrieben hat, wurde zu ihrem 125. Geburtstag ein lebensgroßer Auftritt am Scheidemannplatz gegönnt.
Bekanntlich setzt im öffentlichen Raum der Stadt Kassel die documenta die Maßstäbe für die künstlerische Möblierung. Diese Messlatte liegt hoch, und es versteht sich, dass es nicht immer möglich ist, sie zu erreichen. Doch die Luft nach unten wird selten so genutzt wie im Fall jener Statue, mit der sich der Anspruch verknüpft, Elisabeth Selbert nicht nur darzustellen, sondern in ihrer Leistung nachhaltig zu würdigen. Nach den zahlreichen Ehrungen, die der Kasseler Ehrenbürgerin überregional in jeglichem Format – von der Briefmarke bis zum Straßennamen – bereits zuteilwurden, hat ein bronzenes Standbild gerade noch gefehlt. Oder auch nicht! Denn mit seinen detaillierten Ausformulierungen von Aktenmappe, Frisur, Kostüm, Schleife und Mimik – teils der fotografischen Vorlage abgelauscht, teils zur Karikatur verzogen – fällt der Prototyp eines naturalistischen Realismus hinter alles zurück, was die Plastik der Gegenwart zu leisten in der Lage ist. Das zeitgebundene Outfit bleibt stumm gegenüber der überzeitlichen Bedeutung der Person. Nichts verweist auf Allgemeines, alles bleibt in den Erscheinungsformen des Individuellen stecken. Dabei liegt doch die Besonderheit der zu würdigenden Frau gerade nicht in deren äußerer Erscheinung, sondern in der gesellschaftspolitischen Funktion, die sie vertreten hat. Wenn es heute als politisch unkorrekt gilt, einen Menschen auf seine Äußerlichkeiten zu reduzieren und nach dem Kleidungsverhalten zu beurteilen, so gilt dies auch für ein Bildwerk, bei dem keine andere Ambition spürbar wird als die, eine historische Person anhand ihrer äußerlichen Merkmale herbeizusimulieren. Mit kalkuliert eingesetzten Bewegungseffekten, die ein Leben und eine Dynamik vortäuschen wollen, die es nicht besitzt, zeugt das Werk von einer Kunstauffassung, die nichts mit dem zu tun hat, was Kunst im Stadtraum heute ausmachen könnte und stattdessen ins denkmalselige 19. Jahrhundert verweist.
In einem Moment der Unaufmerksamkeit muss den zuständigen Gremien entgangen sein, dass hier ein Kunstwerk vorliegt, das weder der zu rühmenden Persönlichkeit noch deren Lebenswerk gerecht zu werden vermag. Denn dass seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts figürliche Personaldenkmäler ausgedient haben, sollte sich gerade in der documenta-Stadt herumgesprochen haben. So wird das Denkmal zum Mahnmal dafür, dass nicht jedes noch so gut gemeinte Kunstgeschenk angenommen werden muss. Bundespräsidentliche Weihen ändern nichts daran, dass diese abgestandene Form statischer Erinnerungskultur geradezu als ein Anschlag auf den öffentlichen Raum zu sehen ist. Im ästhetischen Dunstkreis des „Vertikalen Erdkilometers“ von Walter De Maria, der Stadtverwaldung durch Joseph Beuys oder des vielsagend zergliederten Granitblocks Ulrich Rückriems – der immerhin 1981 als Heinrich-Heine-Denkmal für Hamburg konzipiert war – wäre ein wenn schon nicht zukunftsweisendes, so doch wenigstens gegenwartskompatibles Konzept nicht zu viel verlangt. Solche Vorbilder vor Augen, schrumpft die neue Kunstbeifügung zu einem Stück belangloser Stadtmöblierung, das die Chance verpasst, jenseits biederer Schleifchen- und Frisuren-Ikonographie eine allgemeingültige Form zu finden, die das Potenzial besitzt, ästhetische Geschmackswandlungen zu überdauern.
An die „Mutter des Grundgesetzes“ wird in Deutschland bereits auf vielfältige Weise erinnert, selbstverständlich und nicht zuletzt auch in Kassel – wenngleich dort nicht immer glücklich. So verendet die „Elisabeth-Selbert-Promenade“ auf halbem Weg im Zickzack-Kurs des Grundstückzuschnitts in der Unterneustadt, ohne recht zum Promenieren Anlass geboten zu haben; und über die Ausführung des „11 Frauen – 11 Jahrhunderte“-Monuments am „Motzberg“, in das sie als eine der elf Prominenten integriert ist, motzten selbst die Initiatorinnen. Und nun noch dies: eine skulpturale Wirklichkeitsauffassung, die für die Marktplätze der Umgebung ausreichen mag, die innerstädtische Aufgabe aber verfehlt. Zum schwachen Trost ist allerdings absehbar, dass auch diesen unzeitgemäßen Platzschmuck das Schicksal aller Denkmäler ereilen wird: eingereiht zu werden in jene Übersehenswürdigkeiten, die unbemerkt aus der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet sind. Elisabeth Selbert hätte in ihrer Geburts- und Wirkungsstadt für ihre Lebensleistung Besseres verdient, als in Metall erstarrt sich wie eine Schachfigur in der Karree-Struktur des Platzes den gleichgültigen Blicken flüchtiger Passanten aussetzen zu müssen. Die beste Würdigung bestünde darin, die von ihr vertretenen Maximen ernst zu nehmen und in tägliche Tat zu verwandeln.
Die Meinung von Dr. Eva Schulz-Jander, Ehrenbürgerin der Stadt Kassel und Mitglied im Soroptimist Club Kassel-Elisabeth Selbert zu der Monument lesen Sie >> hier
Dr. Harald Kimpel
studierte Kunstpädagogik und Kunstgeschichte in Kassel und Marburg. Er ist tätig als Kunstwissenschaftler, Kurator und Autor.
Auch in der StadtZeit 107, Dezember/Januar-Ausgabe zu lesen >> hier