Deutschland hat ein Rassismusproblem
Zur Veröffentlichung des ersten Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), sagte die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan:
„Deutschland weiß um sein Rassismusproblem. 90 Prozent der Befragten sagen klar und deutlich: Es gibt Rassismus in Deutschland. Die breite Erkenntnis ist eine gute Nachricht, denn sie ist ein wichtiger Schritt für Veränderung.
Die Reaktionen auf die gewaltvollen Silvesterkrawalle zeigen exemplarisch, wie tief hierzulande der Rassismus verwurzelt ist. Wenn die Gewalt an Silvester eskaliert, wird reflexartig eine rassistische Integrationsdebatte über Menschen mit “Migrationshintergrund“ entfacht. Es entsteht der Eindruck, einige Politiker:innen warten geradezu auf solche Geschehnisse, weil sie diese als Chance erachten ihre rassistische Ideologie zu etablieren und zu festigen.
Schon der Begriff “Migrationshintergrund“ ist zu Recht umstritten. Er dient in diesem Kontext ausschließlich zur Spaltung unserer Gesellschaft. Menschen ohne internationale Geschichte schlüpfen dabei in die Rolle des WIR und Menschen mit “Migrationshintergrund“ wird die Rolle der Täter:innen zugewiesen. Die Botschaft nach solchen Ereignissen wie an Silvester lautet: Es waren nicht WIR, es waren “die Anderen“.
Die vom weißen Denken beherrschte deutsche Politik hat noch nicht realisiert, dass es hierzulande in naher Zukunft keine Menschen ohne internationale Geschichte mehr geben wird. Aktuell liegt der Anteil der in Frankfurt lebenden Jugendlichen ohne internationale Geschichte gerade noch bei 30 Prozent, in Offenbach sind es sogar nur noch 20 Prozent. In Städten wie München, Stuttgart oder auch Kassel liegt ihr Anteil gesamtgesellschaftlich nur noch bei etwas mehr als der Hälfte. Unter demografischen Gesichtspunkten ist es also keineswegs verwunderlich, dass sich bei Zusammenkünften von Menschen eine dementsprechende Quote widerspiegelt.
Das Betreiben von Krankenhäusern, die verletzte Personen nach solchen Ereignissen versorgen, wäre heute ohne Menschen aus Einwandererfamilien nicht möglich. Polizei und Rettungsdienste, gegen die sich die Gewalt an Silvester auch richtete, beschäftigen ebenfalls viele Menschen mit internationaler Geschichte. Berechnungen zeigen, dass in 20 bis 30 Jahren alle Familien in Deutschland mindestens ein Familienmitglied mit einem “Migrationshintergrund“ haben werden.
Welchen Informationswert hat es also, wenn bei der öffentlichen Berichterstattung auf einen “Migrationshintergrund“ hingewiesen wird und welcher Zweck verbirgt sich hinter diesem Hinweis in Pressemitteilungen der Polizei? Die Antwort ist: Dieser Hinweis ist schlichtweg sinnlos und spielt für den Sachverhalt keine Rolle. Allerdings trägt er dazu bei, dass Vorurteile entstehen bzw. geschürt werden.
Insbesondere wenn wir über Schwarze Menschen und Menschen of Color sprechen, die in unserem Land geboren, aufgewachsen, zur Kita gegangen sind, hier studiert oder eine Ausbildung gemacht haben. Eine Diskussion über Integration und Integrationsmaßnahmen geht in solchen Fällen komplett am Thema vorbei. Die eigentliche Frage sollte doch sein, wo diese Wut der jungen Menschen herrührt und warum sie sich gegen Ordnungshüter und Rettungskräfte richtet, also gegen den Staat?
Wenn Menschen von Geburt an mit rassistischen Fremdbezeichnungen als anders, fremd und nicht zugehörig markiert werden, ihr Leben lang, direkt und indirekt zu verstehen bekommen nicht dazuzugehören, dann stauen sich Frustrationen auf die sich an solchen Tagen entladen. Menschen werden in unserem Land rassistisch diskriminiert, in der Schule, am Arbeitsplatz, bei der Suche nach Arbeit und bei der Wohnungssuche. Von der viel beschworenen Härte des Gesetzes und einer Zero-Toleranz gegenüber Rassismus ist dann auf einmal nicht mehr die Rede. Im Gegenteil, rassistische Ressentiments sitzen tief und werden durch Politiker*innen noch befeuert.
Fast alle Länder in Europa beklagen einen immensen Fachkräftemangel. Der CDU Vorsitzende stellt fest, dass aus allen Staaten der Europäischen Union Menschen nach Deutschland kommen können, um hier zu arbeiten – ohne jede Bürokratie. Aber sie kommen nicht! Woran das wohl liegt?
24.01.2023
Beitrag des mittendrin Autors Thomas Hunstock
Herr Hunstock schreibt als Gastautor für die Frankfurter Rundschau, den Stern und die Berliner Zeitung