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Çiğdem Özdemir
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Çiğdem Özdemir2025-11-13 10:12:182025-11-13 10:12:18Examen 25 – a script, a sketch, a showEin Baustein für die Stadt der Zukunft
Ein ressourcenschonendes und kostengünstiges Wohnhaus aus ökologischen und wiederverwendeten Materialien bildet den abschließenden Baustein des Martini Quartiers.
Auf dem Gelände der ehemaligen Martini Brauerei im Vorderen Westen entstand in den letzten zehn Jahren ein modernes, nachhaltiges Quartier mit vielfältigen Projekten. Ein fünfgeschossiges Wohnhaus an der Uhlandstraße schließt nun die städtebaulichen Entwicklungen ab: das Suffizienzhaus U10. Eingepasst in eine ehemalige Baulücke, reiht es sich mit seiner Höhe und kompakten Bauweise in die umgebende Gründerzeitbebauung ein. Seine hölzernen Balkone, bodentiefe Fenster und graumelierte Fassade, hinter denen sich fünf flexibel aufteilbare Wohnungen verbergen, machen es dennoch als Neubau kenntlich. Im Erdgeschoss heben sich die Klinkerfassade und hellgrünen Metalltore gestalterisch ab. Auf den ersten Blick wirkt das Gebäude uneinheitlich; eher ungewöhnlich für einen Neubau. Der Grund: Das Suffizienzhaus besteht zu großen Teilen aus wiederverwendeten Materialien. Die Baugruppe hat sie in einem aufwendigen Prozess gesucht, geborgen und zwischengelagert.
Baumaterialien wiederverwenden
Der Hintergrund eines ressourcenschonenden Bauens liegt darin, dass der Bausektor mit einem Anteil von geschätzten 40 Prozent zu den Hauptverursachern globaler CO2-Emissionen gehört. Über den Energiebedarf im Betrieb hinaus ist vor allem die sogenannte „graue Energie“, also die Energiemenge, die für Herstellung, Transport und Einbau der Materialien aufgewendet wird, bedeutend. Während sich der Betriebsenergiebedarf durch Maßnahmen wie hochwirksame Wärmedämmung und effiziente, klimafreundliche Heizsysteme deutlich senken lässt, geht das Suffizienzhaus in der Uhlandstraße einen Schritt weiter: Es setzt bereits bei der Errichtung an und minimiert den Energie- und Ressourcenverbrauch von Anfang an. Das Architekturbürofoundation 5+ schuf ein Gebäude, das in seinem Umgang mit gebrauchten oder fehlproduzierten Bauteilen einen Modellcharakter hat.
Die Fassadenverkleidung besteht zu großen Teilen aus wiederverwendetem Naturschiefer und Wellblech, ebenso stammen die Sanitärobjekte, Heizkörper und Balkongeländer aus zweiter Hand. Der Klinker im Erdgeschoss ist Abbruchmaterial einer Baustelle. Die Hälfte der Fenster stammt von einem Hersteller, der bereits in die Produktion gegangen war, dessen Projekt aber dann nicht verwirklich wurde.
Zentral für das Projekt war das Engagement der Baugruppe, die sich aktiv der Praxis des „Urban Minings“, also dem gezielten Suchen, Bergen und Lagern gebrauchter Baumaterialien widmete. Einige der Bauherren sind zugleich Teil des Planungsteams, was die Motivation stärkte, das Projekt als Reallabor für neue Wege im Bauen zu verstehen.

Die Holzfassade des Neubaus in der Uhlandstraße hebt sich von den Gründerzeitbauten ab und fügt sich gleichzeitig in die Blockstruktur ein. Foto: Constantin Meyer
Auf das Wesentliche reduzieren
Suffizienz steht für einen schonenden und bewussten Umgang mit Ressourcen, ob es sich um bestehenden Wohnraum, die Nutzung von Bestandsbauten oder die Wiederverwendung von Materialien handelt. In diesem Sinne verzichteten die Planenden gezielt auf Übermaß bezüglich Wohnfläche, Technik und Ausstattung. Die Architektur folgt dem Prinzip der Reduktion. Besonders deutlich zeigt sich dies in der kompakten Bauform, die Wärmeverluste über die Gebäudehülle minimiert. Nur die Wohnräume sind beheizt, während Treppenhaus und Laubengänge als unbeheizte Zonen außen liegen, was den Energiebedarf weiter senkt. Die Wohnungsgrundrisse erstrecken sich über die gesamte Gebäudetiefe und ermöglichen eine effektive Querlüftung, was eine Lüftungsanlage überflüssig macht. Solarthermie liefert Warmwasser und Heizenergie und eine Regenwasseranlage sammelt Gießwasser für den Garten.
Eine Besonderheit des Gebäudes ist die flexible Raumaufteilung. Zusätzlich zu einer abgeschlossenen Wohnung im Erdgeschoss verfügt jedes Obergeschoss über eine große Einheit mit Zimmern, zwei Bädern, zwei Küchen und einem großzügigen Wohnbereich. In Absprache mit den Mietenden teilten die Bauherren die oberen vier Etagen in jeweils zwei Wohnbereiche, sodass das Haus aktuell neun Wohnbereiche umfasst, was bei Bedarf aber reversibel ist. Zu den privaten Räumen kommen gemeinschaftlich nutzbare Flächen wie eine Werkstatt, Aufenthaltsbereiche und ein „Waschsalon“. Diese Räume reduzieren den individuellen Wohnflächenbedarf auf nur 32 Quadratmeter pro Person. Im Vergleich: der bundesweite Durchschnitt liegt bei fast 50 Quadratmetern.
Gemeinschaftlich wohnen
Das Wohnhaus ist vollständig an eine feste Hausgemeinschaft vermietet. Die Bewohnenden haben viel Platz auf den Gemeinschaftsflächen für Feiern und Gruppentreffen, zum Beispiel im Garten und auf der großen Dachterrasse. Gleichzeitig verlangt das praktizierte Mietmodell, für das sich die Hausgemeinschaft wegen des engeren Zusammenhalts und der stärkeren Identifikation bewusst entschied, eine eigenverantwortliche Organisation und Verwaltung der gemeinsamen Räume und Ausstattungsgegenstände. Auch bei der Zusammensetzung der Mieterschaft wirkt die Gemeinschaft mit: Bei Neuvermietung haben die aktuellen Wohnparteien ein Vorschlagsrecht für neue Nachbarn, was zur sozialen Stabilität im Haus beiträgt. Das Suffizienzhaus steht beispielhaft für ein nachhaltiges Selbstverständnis, das zukunftsweisend für unser Bauen und Leben sein kann. In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Erfurt entstand eine umfassende Lebenszyklusanalyse, die zeigt, dass das Gebäude im Vergleich zu konventionellen Neubauten deutlich geringere Emissionen verursacht. Möglich war die gelungene Umsetzung des Projektes durch die enge Zusammenarbeit der Baugruppe, den Planenden, den ausführenden Firmen und späteren Bewohnenden. Entsprechend fällt das Fazit von Matthias Foitzik von foundation 5+ aus: „Durch ihre Bauweise, Materialwahl und ihr Bewirtschaftungsmodell zeigt die Uhlandstraße 10 Wege zu einer neuen Baukultur der Suffizienz und des Wiederverwendens auf.“

Recycelte Materialien prägen das Raumgefühl der neuen Wohnbereiche. Foto: Constantin Meyer
13.10.2025
Diesen Artikel auch zu lesen in der StadtZeit-Ausgabe 125, Herbst 2025, S. 4
>>hier zu lesen









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