Mehr Hirn und Verstand!
Kolumne von Markus Exner
Wer mich kennt, weiß, dass ich Fahrradfahrer bin. Nicht, weil ich besonders sportlich, umwelt- oder trendbewusst sein will, ich fahre einfach Rad, weil ich das von Kindheit an mache, es praktisch und schön finde. Ich bewege mich an der frischen Luft, komme schnell ins Büro, erspare mir Parkplatzsuche und Strafzettel, kann kurz mal für ein Schwätzchen Halt machen und bin auch sonst dank der Wahrnehmung mit allen Sinnen immer gut mit meinem Umfeld verbunden und informiert. Ich genieße diese entschleunigende, stressfreie Fortbewegung.
Nur nehme ich inzwischen verstärkt Verhaltensweisen anderer Verkehrsteilnehmer oder vergnügungshungriger Mitmenschen wahr, die mir das Fahrradfahren deutlich erschweren. Da wäre beispielsweise die Spezies der Fußgänger, die ihr Haupt so tief in das Display ihres Smartphones versenken, dass sie es schon gar nicht mehr merken, wenn sie einen Fahrradweg betreten. Bei Autofahrern besonders beliebt ist hingegen das „Halten“ auf dem Fahrradweg in Höhe eines Ladens, obwohl zehn Meter weiter ein freier Parkplatz wäre. Die Krönung ist allerdings das sinnfreie Zerschlagen von Flaschen und Gläsern auf den schmalen Fahrstreifen durch feiernde Kneipengäste. Wenn über hunderte von Metern der Fahrradweg wie ein Meer aus Swarovski-Steinen glitzert und der Scherbenteppich eine Gefahr sogar für meine Reifen Marke „unplattbar“ darstellt, dann frage ich mich schon, wie es um den Verstand mancher Zeitgenossen bestellt ist. Liegt es wirklich daran, dass immer mehr Menschen ihr Hirn bei Google & Co. abgeben und sich mit den fortschreitenden Errungenschaften künstlicher Intelligenz beim Homo sapiens eine Zunahme digitaler Demenz einstellt? Brauchen die grauen Zellen, die unsere Daumen so flink über die Smartphone-Tastatur gleiten lassen, so viel Platz, dass es fürs Denken nicht mehr reicht?
Zugegeben, auch bei manchem Radfahrer vermisse ich den gesunden Menschenverstand: Ignorieren roter Ampeln, Fahren auf Gehwegen oder nachts ohne Licht. Auch könnte man durchaus die 15 Sekunden verkraften, die ein Halt kostet, um Fahrgäste aus einer Tram aussteigen zu lassen. Vielleicht sollten wir uns einfach immer wieder mal in die Situation der anderen Verkehrsteilnehmer begeben, um die Folgen gewisser Verhaltensweisen am eigenen Leib zu erfahren. Ansonsten könnten wir es natürlich wie Karl Valentin halten: „…täglich von 7 bis 8 Uhr Personenautos, 8 bis 9 Uhr Geschäftsautos, 9 bis 10 Uhr Straßenbahnen, 10 bis 11 Uhr Omnibusse, 11 bis 12 Uhr die Feuerwehr, 12 bis 1 Uhr die Radfahrer, 1 bis 2 Uhr die Fußgänger…“
Die feierwütigen Glaszertrümmerer bekämen dann natürlich eine Stunde, um als Straßenkehrer ihre Runde drehen zu können. Doch was spricht eigentlich dagegen, schlicht aufeinander Rücksicht zu nehmen und mehr Hirn und Verstand zu nutzen? Das Miteinander könnte so herrlich entspannt und stressfrei sein.
Markus Exner ist Leiter der GrimmHeimat NordHessen und wohnt im Vorderen Westen.