Eine solidarische Stadt für alle
Von Regine Beyß
Die Idee einer „Solidarity City“ klingt ambitioniert, dabei geht es um eine Selbstverständlichkeit: ein gutes Leben für alle Bewohner der Stadt – und zwar unabhängig von Aufenthaltsstatus, Herkunft oder finanziellen Mitteln. Kasseler wollen diese Idee nun mit Leben füllen.
44 Prozent der über 14-Jährigen sind heute ehrenamtlich aktiv – zehn Prozent mehr als vor 15 Jahren. Sie engagieren sich z.B. in Sportvereinen, Kultureinrichtungen, sozialen Bereichen, Umwelt- oder Tierschutz. Das alles tun sie trotz der vorherrschenden Erzählungen von Wettbewerb und Ausgrenzung. Unser Alltag ist geprägt von solidarischem Handeln – insbesondere auf der lokalen Ebene.
Das gilt auch für Kassel: Im Vorderen Westen hat im vergangenen Jahr das „Aktionsbündnis gegen Entmietung – für gutes & bezahlbares Wohnen“ eindrücklich bewiesen, wie viel Kraft in kollektivem Handeln liegen kann. Mieter aus der Goethestraße sollten aus ihren Wohnungen ausziehen, damit diese modernisiert und teurer vermietet werden können. Dagegen wehrten sie sich. Inzwischen solidarisiert sich die Initiative mit Mietern in der Südstadt. Dort sollen drei Häuser in der Rembrandtstraße abgerissen werden, obwohl sie völlig intakt sind und bezahlbaren Wohnraum bieten.
„Die Stadtteile, in denen wir leben, sind Orte, an denen wir uns konkret einmischen und etwas bewegen können“, sagt Annalena Rommel von „Solidarity City“ Kassel. Mieter-Initiativen seien nur ein Beispiel, wie Menschen versuchen, ihr Leben wieder selbstbestimmter zu gestalten, und sich dabei an Bedürfnissen orientieren – statt an Profit und Konkurrenz. Weitere Beispiele dafür könnten Foodsharing, Gib-und-Nimm-Schränke, Nachbarschaftshilfen, Stadtteilfeste und -märkte oder Stadtteilzentren sein.
Die Idee des Munizipalismus
„Klingt nicht nach großer Politik? Für uns schon“, so Axel Garbelmann, der sich ebenfalls bei der Initiative engagiert. Er bezieht sich auf die Autorin Julia Fritzsche, die in ihrem Buch „Tiefrot und radikal bunt“ schreibt: Echte politische Teilhabe sei nur „face to face“ möglich. Besonders in Übergangszeiten, in denen sicher geglaubte Wahrheiten wie z.B. jetzt der Neoliberalismus aufbrechen, sei die lokale Ebene wichtig. Hier würden globale Fragen von Gleichheit oder Ungleichheit, Versorgung oder Armut, Bleibeperspektive oder Verdrängung alltäglich erfahrbar.
Beim „Solidarity City“-Treffen auf dem Kasseler Klimacamp, das Ende September im Nordstadtpark stattfand, haben sich 35 Menschen aus verschiedenen Stadtteilen und Bewegungen getroffen, um an diese Idee des „Munizipalismus“ anzuknüpfen. Sie wollen konkretisieren, wie in Kassel solidarische Strukturen aussehen könnten, die allen ein gutes Leben ermöglichen und politische Wirksamkeit entfalten. Weitere Treffen sind in Planung – Interessierte und weitere Mitstreiter sind herzlich willkommen.
Bei den „Solidarity City“-Aktionstagen im September 2018 stellten sich im Sandershaus verschiedene Kasseler Initiativen rund um das Thema Flucht vor.
„Solidarity City“-Aktion: Frühstück vor der Ausländerbehörde, um Menschen zu unterstützen.