Der ICE-Bahnhof in Kassel-Wilhelmshöhe
Bis zu 30.000 Reisende nehmen ihn täglich in Anspruch, er ist die zugigste Versuchung, seit es Bahnhöfe gibt …
Kassel hat viel zu bieten – unter anderem den „Palast der tausend Winde“, der 1991 eingeweiht wurde, damals noch mit Toilettenwagen, weil es keine WCs gab …
Originell ist er, unser Bahnhof Wilhelmshöhe. Schon allein der Bahnhofsvorplatz mit diesem unglaublichen Vordach und den 59 Säulen, inspiriert von den Bäumen im Reinhardswald – beeindruckend: Neunzig Meter lang, fünfundsechzig Meter breit ist das Dach, und wenn du – vom Vordach im Außenbereich noch tief ergriffen – den Eingangsbereich betrittst, dann überkommt dich ein … boah, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Einzigartig in Deutschland wird unser schöner Bahnhof in Wilhelmshöhe aber leider immer mal wieder bemeckert. Ja, okay, hat aber einen langen Bart, die Geschichte mit den Toiletten. Angeblich wurden die bei der Planung vergessen, deshalb der Toilettenwagen bei der Eröffnung. Hat sich die Presse dann gleich drüber lustig gemacht, typisch. Dabei gab es nur Streit mit der Stadt, wo genau die Toiletten hinkommen sollen, sagen die Verantwortlichen. Einzig allein aus diesem Grund wurden die stillen Örtchen erst ein paar Tage nach der Eröffnung fertig. Wegen Verzögerungen am Bau, nicht aufgrund von Fehlplanung. Ich will aber auf etwas anderes hinaus. Auf die „Winde“. Beschwerden, dass es im Bahnhofsgebäude zieht, gibt es zuhauf. Warum eigentlich? Es gibt Strickjacken, Schals, Windjacken. Wir sind hier nicht in der Oper. Ich zum Beispiel hab mir für den Bahnhof Wilhelmshöhe extra ein Multifunktionstuch gekauft. Im Notfall kann ich mich mit dem Ding vom Schlüsselbein aufwärts komplett verhüllen, nur noch Nase und Augen gucken raus. Mit der Verkleidung könnte ich selbst in Saudi Arabien punkten. Hält außerdem schön warm im Winter. Und nebenbei bemerkt, das ist hier ein Durchgangsbahnhof, wie der Name schon sagt. Durchgehen ist das Gegenteil von verweilen, bedeutet zügig voranschreiten. Zügig (fortlaufend, ohne Unterbrechung) ist natürlich was anderes als zugig (luftig, windig), aber mein Gott, die zwei Pünktchen. .Ich finde, die Planer (Frauen waren, soweit ich weiß, nicht dabei) haben Großartiges geleistet: Die wussten im Gegensatz zu unseren Politikern bereits in den 1980ern, dass der Klimawandel kommt und mit ihm die Erderwärmung – die haben mitgedacht. Daher weht nämlich der Wind. Irgendwie Avantgarde, finde ich. Egal – wie man es auch dreht und wendet, ob Luftzug oder Zugluft, sie gehört einfach dazu … zu unserem außergewöhnlichen Bahnhof. Punkt. Und ist nebenbei bemerkt durchaus produktiv, um nicht zu sagen beglückend. Was für ein Geschenk: Unsere Sorgen und Probleme lösen sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft auf. Dadurch reinigen wir uns, können innerlich leer werden, anschließend dann neue Kraft tanken. Und mit dieser Power dann wieder im Hier und Jetzt ankommen. Vielleicht sogar die nun unmittelbar bevorstehende, nächste Prüfung des Lebens besser verkraften: Träwelling wis Deutsche Bahn.