Die documenta hat Zukunft
Meinung von Timon Gremmels, Politiker und Politikwissenschaftler, seit 2024 Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur.
Stadt und Land haben die Aufarbeitung der documenta fifteen konsequent vorangetrieben und die nötigen Schlüsse daraus gezogen. Mit der Strukturreform ist die documenta jetzt gut für die Zukunft aufgestellt.
Vor 69 Jahren hat die erste documenta-Ausstellung ihre Türen in Kassel geöffnet. Seitdem hat die documenta sich zur weltweit wichtigsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst entwickelt. Die antisemitische Bildsprache bei einigen Werken der documenta fifteen und der Umgang mit ihr haben die documenta jedoch in eine tiefe Krise gestürzt. Dadurch ist viel Vertrauen verloren gegangen. Gleichzeitig gab es Befürchtungen, dass zukünftige Vorgaben die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit beschneiden.
Mein Ziel ist es, aus dem Krisenfall documenta 15 einen Beispielsfall documenta 16 zu machen. Mit der auf den Weg gebrachten Strukturreform kann
dies gelingen.
Aufarbeitung des Geschehenen, lernen für die Zukunft
Bereits während der documenta fifteen im Jahr 2022 haben Stadt und Land eine fachwissenschaftliche Begleitung gestartet. Mit seiner herausragenden wissenschaftlichen Expertise hat das Gremium unter der Leitung von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff wertvollen Input geliefert. Auf die umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitung hat eine extern begleitete Organisationsentwicklung der documenta und ihrer Gremienstrukturen aufgebaut. Sie überprüfte ab Dienstantritt des neuen Geschäftsführers Prof. Dr. Andreas Hoffmann die Strukturen inklusive Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der gGmbH und ihrer Gremien sowie die Abläufe. Dabei verglich sie die Organisation mit anderen bedeutenden Kunstausstellungen und zog externe Expertinnen und Experten hinzu. Auf dieser Basis erarbeitete sie Vorschläge für die Weiterentwicklung der documenta gGmbH.
Transparenz und Beteiligung
Die Ergebnisse der Organisationsuntersuchung wurden Ende 2023 dem Aufsichtsrat vorgelegt, der erste wichtige organisatorische Entscheidungen traf. Der documenta gGmbH und den Gesellschaftern war und ist es wichtig, auf Transparenz und Beteiligung zu setzen. Daher wurden alle Unterlagen öffentlich zugänglich gemacht und zu den zentralen Empfehlungen der Organisationsuntersuchung ein öffentliches Kommentierungsverfahren durchgeführt. Die Rückmeldungen wurden ernst genommen.
Zwei Empfehlungen wurden vom Aufsichtsrat verändert: Die Einführung eines „Codes of Conduct“ für die Künstlerische Leitung wurde von Beginn an kontrovers diskutiert. Die Kritiker sahen darin einen möglichen Eingriff in die Kunstfreiheit. Die Gesellschafter haben beraten, wie der Schutz vor Diskriminierung, insbesondere Antisemitismus, und die Wahrung der Kunstfreiheit am besten gestaltet werden kann. Es wird deshalb einen „Code of Conduct“ für die documenta gGmbH geben, der den Orientierungsrahmen für die Gesellschaft bildet. Der Künstlerischen Leitung wird kein „Code of Conduct“ zur Auflage gemacht. Vielmehr wird sie bei der öffentlichen Vorstellung ihres künstlerischen Konzepts darlegen, wie die Achtung der Menschenwürde auf der documenta 16 sichergestellt werden soll. Auch wurde beschlossen, den Aufsichtsrat nicht zu verkleinern. So sind die Stadt Kassel und das Land Hessen angemessen vertreten. Auch der Bund wird seine beiden Plätze im Aufsichtsrat wieder wahrnehmen.
Diese Strukturreformen sind das Ergebnis eines umfassenden Entscheidungsprozesses, um eine praktikable Balance zwischen dem Schutz der Kunstfreiheit und der Wahrung der Menschenwürde zu finden. Ich bin zuversichtlich, dass sich mit der klar definierten Aufgabenteilung zwischen Geschäftsführung und Künstlerischer Leitung Vorgänge wie auf der documenta 15 nicht wiederholen.
Auf dem weg zur documenta 16
Die Künstlerische Leitung wird durch eine unabhängige Findungskommission
gesucht. Es ist gelungen, hochkarätige Expertinnen und Experten zu gewinnen.
Die Mitglieder der neuen Findungskommission versprechen große Erfahrung und Neugier auf unterschiedliche künstlerische Positionen der zeitgenössischen
Kunst. So unmittelbar nach den notwendigen Strukturreformen der documenta
eine Findungskommission für die d16 einzusetzen, ist ein wichtiges Signal an
die Kunstwelt, dass die documenta lebt. Wir können schon jetzt gespannt sein
auf den Vorschlag für die kommende künstlerische Leitung, der im Dezember
dieses Jahres präsentiert werden soll. Vor allem aber freue ich mich, dass die
internationale Kunstwelt wieder gewohnter und willkommener Gast in Kassel sein wird und zeitgenössische Kunst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen wird.
30.08.2024
Timon Gremmels
studierte Politik- und Rechtswissenschaften, war ab 2009 Abgeordneter im Hessischen Landtag und seit 2017 des Deutschen Bundestags. 2024 übernahm er das Amt des Hessischen Ministers für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur.
Dieser Debattenbeitrag erschien am 28.8.2024 erstmals im StadtZeit Kassel Magazin.
Die documenta Debatte komplett in der StadtZeit-Ausgabe 121, Herbst 2024 zu lesen ab Seite 57
>> hier zu lesen
mittendrin dokumentiert die vom StadtZeit Kassel Magazin angestoßene Debatte zur Zukunft der Weltkunstausstellung.
Meinung von Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH lesen Sie >> hier
Meinung von Dr. Wendelin Göbel, Initiator der Petition DOCUMENTA fifteen: Danke! lesen Sie >> hier
Meinung von Dr. Harald Kimpel, Kunstwissenschaftler, Autor und Kurator lesen Sie >> hier
Meinung von Lutz Freyer, Künstler und Kurator lesen Sie >> hier
Meinung von Dr. Eva M. Schulz-Jander, Doktorin der Romanistik und Philosophie und Ehrenbürgerin der Stadt Kassel lesen Sie >> hier
Meinung von Dr. Harry Lehmann, Dozent an der Universität Luxemburg und Autor des „Buchs Ideologiemaschinen” lesen Sie >> hier
Meinung von Dr. Sven Schoeller, Oberbürgermeister der Stadt Kassel sowie Aufsichtsratsvorsitzender der documenta und Museum Fridericianum gGmbH lesen Sie >> hier