Fehlende Gleichheit bringt Demokratie ins Wanken
Demokratiefeindliche Bewegungen scheinen weiter an Zuspruch zu gewinnen. Demokratinnen und Demokraten blicken angesichts der jüngsten Ereignisse rund um das “Reichsbürger-Milieu“ mit Sorge auf diese Entwicklungen und fürchten eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft.
Was hält uns zusammen?
Die Furcht vor dem auseinanderdriften der Gesellschaft bewegt derzeit viele Menschen. Die letzte ARD-Themenwoche beschäftigte sich auch mit diesem Thema und titelte „WIR gesucht – was hält uns zusammen?“ Mehr Solidarität scheint die Lösung zu sein, sie gilt als Kleber der Gesellschaft. Freiheit – Gleichheit – Solidarität (Brüderlichkeit), allerdings wurde diese aus der Zeit der Aufklärung stammende Devise bis zum heutigen Tage nicht für Schwarze Menschen verwirklicht.
Was spaltet unsere Gesellschaft?
Unsere Demokratie wird aus eurozentrischer Perspektive gedacht, Weißsein gilt dabei als Norm. Menschen die von dieser vermeintlichen Norm abweichen werden mit rassistischen Fremdbezeichnungen als anders und fremd markiert, durch die allgegenwärtige Verwendung dieser Begriffe wird das Othering maßgeblich getragen. So bleiben Menschen mit internationaler Geschichte vielfach ausgeschlossen und werden benachteiligt. „Sprache ist die Speerspitze des Rassismus“, so titelte im letzten Jahr ein Interview im missio-magazin mit Frau Professorin Dr. Susan Arndt. Schon der Titel bringt die Bedeutsamkeit der Sprache im Kampf gegen rassistische Diskriminierung zum Ausdruck.
Rassismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie
Der aktuelle Rassismusmonitor der Bundesregierung bescheinigt Deutschland ein Rassismusproblem und der neueste Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt das rassistische Übergriffe ein alarmierendes Ausmaß erreicht haben. Gleichzeitig ist das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzt (AGG)“ eines der unwirksamsten Gesetze überhaupt und rassistische Begriffe wie das M-Wort dürfen weiter legal für Straßen-, Firmen- und Produktbezeichnungen verwendet werden.
Politikverdrossenheit und Frustration
Politiker:innen scheinen ihre Wahlversprechen regelmäßig zu brechen und die Bürger:innen haben das Gefühl keinen Einfluss auf Entscheidungen ausüben zu können. Sie fühlen sich in unserer repräsentativen Demokratie machtlos und die Wahlbeteiligung sinkt. Die vielerorts vorherrschende Politikverdrossenheit nutzen antidemokratische Parteien für ihre Propaganda und füllen die Lücke der fehlenden Gleichheit mit Hass und Hetze gegen marginalisierte Menschen um die Spaltung der Gesellschaft weiter zu forcieren.
Eine Besinnung auf unsere demokratischen Werte und mehr Bürger:innenbeteiligung sind geeignete Mittel zur Stärkung unserer Demokratie. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat das erkannt und wirbt bei allen Bürger:innen mit dem Slogan “Demokratie braucht Sie!“ für die Teilnahme am Programm “Demokratie leben“. Demokratin oder Demokrat zu sein bedeutet auch sich bürgerschaftlich zu engagieren und Stellung gegen menschenverachtende Phänomene zu beziehen. Der Minderheitenschutz hat in unserer Demokratie ebenfalls einen hohen Stellenwert, der Schutz der Würde aller Menschen ist das höchste Gut unserer Verfassung.
Im Sinne dieser demokratischen Werte hat die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel im letzten Jahr in beeindruckender Weise Haltung bewiesen und sich eindeutig gegen Anti-Schwarzen Rassismus positioniert. Die demokratisch gewählten Vertreter:innen der Kasseler Bürgerschaft haben zwei der gewaltvollsten Begriffe für Schwarze Menschen geächtet, wodurch jegliche Verwendungen von N- und M-Wort im Wirkungskreis des städtischen Handelns der Stadt Kassel nicht mehr zulässig sind.
Bedeutung der Beschlüsse
Insbesondere das M-Wort wird noch bis heute vielfach in Apotheken-, Straßen-, und Produktbezeichnungen verwendet. Sogar Stadtwappen und Volksfeste tragen diesen entwürdigenden Begriff im Namen. Die Frage ob eine generelle Weiterverwendung des M-Wortes in Kassel noch erlaubt ist, sollte mit einem Bewusstsein für unsere demokratischen Wertvorstellungen beantwortet werden. Demokratie leben heißt einen demokratisch gefassten Beschluss zu akzeptieren, auch wenn der Inhalt des Beschlusses der eigenen Meinung widerspricht. Demokrat:innen in Kassel brauchen keine gesetzlichen Vorschriften um auf die Weiterverwendung des M-Wortes zu verzichten, sie tun dies aufgrund einer Selbstverpflichtung die sich aus dem demokratischen Beschluss heraus ergibt.
Beispiele für den Verzicht auf die Verwendung verletzender Begriffe im Sinne unserer demokratischen Werte gibt es in Nordhessen einige. Der Inhaber des Kasseler Restaurants „Eckstein“ entschloss sich beispielsweise Ende 2021 das Z-Wort aus der Speisekarte zu streichen, im gleichen Jahr entschloss sich der NVV den negativ konnotierten Begriff „Schwarzfahren“ abzuschaffen und ein Jahr später strich Frau Cordula Markowski das rassistische M-Wort aus dem Namen ihrer Apotheke in Hofgeismar.
Die Gemeinde ist die Grundlage des demokratischen Staates. Ein kommunaler Beschluss auf Basis einer Bürger:inneneingabe ist Demokratie aus der Gemeinde, für die Gemeinde. Die Ächtung des M-Wortes ist solch ein bedeutsamer Beschluss. Die erste Bürger:inneneingabe die jemals in Kassel beschlossen wurde machte die Stadt Kassel zur ersten und bisher einzigen Kommune die jegliche Verwendung des M-Wortes offiziell als rassistisch anerkannte. Es ist ein Beschluss zur Durchsetzung des ersten Artikels unseres Grundgesetzes, sowie des ersten Artikels der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 für Menschen afrikanischer Abstammung. Dieser Beschluss zur Beseitigung einer rassistischen Tradition auf kommunaler Ebene stellt also gleich in mehrfacher Hinsicht ein Novum dar und kann durchaus als historischer Erfolg im Kampf gegen Rassismus bezeichnet werden. Folglich wurde die Ächtung des M-Wortes vom Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) als vorbildliche Maßnahme zur Stärkung unserer Demokratie ausgezeichnet.
White Supremacy in Kassel
Der Wille der Kasseler Bevölkerung wurde in dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung klar formuliert, aus der Ächtung des M-Wortes geht konkludent ein generelles Verbot der Nutzung dieses Begriffes hervor. Rechtlich bindend ist dieses Verbot innerhalb des Wirkungskreises der Stadt Kassel, dies bedeutet aber nicht das die Stadt keine Maßnahmen zur Umsetzung des Beschlusses auch außerhalb des Wirkungskreises ihres Handelns ergreifen könnte. Im Gegenteil, der Beschluss gilt generell innerhalb der Kasseler Stadtgrenzen und vor dem Hintergrund eines demokratischen Beschlusses zur Beseitigung einer rassistischen Tradition auf kommunaler Ebene sind zu ergreifende Maßnahmen mehr als geboten.
Der Oberbürgermeister formuliert aus diesem Sachverhalt allerdings eine Begründung mit der er versucht die Umsetzung des Beschlusses zu umgehen. Die Frage nach der Umsetzung der Beschlüsse der Ächtungen von N- und M-Wort innerhalb des Wirkungskreises des städtischen Handelns lässt er unbeantwortet. Damit offenbart er ein fragwürdiges Demokratieverständnis und stellt sich nicht gegen die Weiterverwendung rassistischer Begriffe. Bleibt zu hoffen, dass der Beschluss nach dem 12. März 2023 umgesetzt wird.
19.12.2022
MEINUNG! des mittendrin Autors Thomas Hunstock
Herr Hunstock schreibt als Gastautor für die Frankfurter Rundschau, den Stern und die Berliner Zeitung